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„Jeder Prämiensparer soll mit uns klagen können“

Im Streit um Zinserträge muss erneut das Oberlandesgericht Dresden entscheiden. Die Verbraucherschützer geben sich zuversichtlich.

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Tausende Sparkassenkunden aus Sachsen kämpfen um einen Zinsnachschlag.
Tausende Sparkassenkunden aus Sachsen kämpfen um einen Zinsnachschlag. © dpa

Am Mittwoch treffen sich Vertreter der Verbraucherzentrale Sachsen mit Juristen der Sparkassen Meißen und Vogtland vorm Oberlandesgericht Dresden. In den Musterfeststellungsklagen, die dort verhandelt werden, geht es um vierstellige Zinserträge, die langjährigen Prämiensparern vorenthalten worden sein sollen. Die SZ sprach mit Andreas Eichhorst, dem Vorstand der Verbraucherzentrale, über das juristische Tauziehen.

Herr Eichhorst, worum geht es im Detail bei den beiden Verhandlungen vor dem OLG Dresden?

Es geht, wie schon bei früheren Prozessen, um Zinsanpassungen bei Prämiensparverträgen. Wir sind der Auffassung, dass sächsische Sparkassen diese Zinsen falsch berechnet und ihren Kunden zu wenig ausgezahlt haben. Bei der Sparkasse Meißen geht es für fast 500 Sparer um durchschnittlich 4.700 Euro pro Kopf, bei der Sparkasse Vogtland für rund 1.000 Betroffene um durchschnittlich 2.400 Euro. Diese Summen sind über die gesamte Laufzeit dieser Verträge bis zur Kündigung entstanden.

Wann sind diese Verträge gekündigt worden, und wie viele Kunden sind betroffen?

Die Sparkassen machen diese Zahlen nicht öffentlich. Übrigens wäre es uns lieber gewesen, wenn es bei einer exemplarischen Klage gegen eine einzige Sparkasse geblieben wäre und die anderen Häuser einen Verjährungsverzicht erklärt hätten. Aber dazu waren die Gegenseiten nicht bereit. Wir glauben, dass dies Absicht ist. Schließlich sparen die Sparkassen durch jede Verjährung bares Geld. Deswegen haben wir die 2017 gekündigten Verträge schließlich zur Klage gebracht. Inzwischen gibt es in Sachsen rund 6.000 Verbraucher, die sich unseren Musterfeststellungsklagen angeschlossen haben.

Wie sind Ihre Erfolgsaussichten für die beiden jetzt anstehenden Verhandlungen vor dem Oberlandesgericht?

Das OLG hat zu diesem Thema ja schon dreimal entschieden. Zum ersten Mal im April 2020, als es gegen die Sparkasse Leipzig ging. Im Kern haben wir immer inhaltlich recht bekommen. Einzig das gewählte Instrument der Musterfeststellungsklage hat das OLG für falsch erklärt. Deshalb müssen wir eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs abwarten. Mit diesem Urteil, das dann die Verfahren in den niedrigeren Instanzen beeinflusst, rechnen wir noch 2021, eventuell schon im dritten Quartal.

Andreas Eichhorst (Mitte) ist diplomierter Verwaltungswirt und seit 2016 Vorstand der Verbraucherzentrale Sachsen.
Andreas Eichhorst (Mitte) ist diplomierter Verwaltungswirt und seit 2016 Vorstand der Verbraucherzentrale Sachsen. © Claudia Hübschmann

Unterscheiden sich die Fälle der Sparkassen, die Sie verklagt haben?

Nur in Nuancen. Deshalb rechnen wir auch diesmal nicht mit einer Entscheidung, die sich von den vorherigen unterscheidet. Das hieße ja, dass das OLG entgegen seiner bisherigen Rechtssprechung die eigene Auffassung ändert. Wir glauben nicht, dass so etwas passiert. Wahrscheinlich ist außerdem, dass das OLG in der Sache erneut keine finale Entscheidung trifft. Mit der bereits erwähnten Begründung, man halte die Musterfeststellungsklage nicht für das geeignete Instrument.

Was wäre, wenn der BGH dieser Auffassung folgt?

Dann ginge alles von vorn los, und alle Betroffenen müssten eine Individualklage auf den Weg bringen. Das ist das Risiko, welches wir tragen. Eigentlich sollte die Musterfeststellungsklage als neues juristisches Instrument ja genau das verhindern: dass viele Einzelklagen geführt werden müssen. Aber, um es noch einmal klar zu sagen: Wir sind uns absolut sicher, zu gewinnen. Der BGH hat bereits viermal in einer ähnlichen Sache entschieden, und unsere Klage fußt auf den Kriterien dieser früheren Klagen.

Das hat aber nichts mit der BGH-Entscheidung von 2019 zu tun, wonach Kündigungen teurer Altverträge rechtens sind?

In der Tat ist laut BGH die Kündigung von Prämiensparverträgen unter gewissen Umständen möglich. Nämlich dann, wenn die höchste Prämienstaffel erreicht wurde, frühestens aber nach 15 Jahren. Aber auch da liegt der Teufel im Detail. Ein Beispiel: Es gibt Verträge, die über 99 Kalenderjahre abgeschlossen wurden. Diese seien nicht kündbar, haben die Gerichte geurteilt. Aus diesen Kündigungen aber hat sich die aktuelle Thematik ergeben: Wir haben massenhaft Fälle auf den Tisch bekommen, bei denen unsere Nachprüfungen ergaben, dass Zinsen falsch berechnet wurden.

Was hätten Sie richtig gefunden?

Die Sparkassen hätten im Einvernehmen mit dem Sparer die Zinsen vereinbaren und verändern müssen. Das jedoch haben sie nicht getan. Stattdessen haben sie die Konditionen nach Gutsherrenart einseitig festgelegt. In der Folge haben sie Zinseinnahmen einbehalten, die sie an ihre Prämiensparer hätten weitergeben müssen.

Worin liegt der Vorteil, sich Ihrer Musterfeststellungsklage anzuschließen?

Wir klagen stellvertretend für Tausende Verbraucher, damit die es nicht selbst tun müssen. Dazu sollte man wissen: Die Klientel, die wir hier betreuen, gehört im Schnitt zur Generation Ü70. Die haben ihrer Sparkasse vertraut, das sind auch keine Prozesshanseln. Für die Beteiligten entsteht kein Kostenrisiko. Weder benötigen sie eine Rechtsschutzversicherung, noch müssen sie Prozesskostenhilfe beantragen.

Gibt es auch Nachteile?

Wir dürfen die Leistung nicht gleich mit einklagen. Normalerweise wäre es ja so, dass man sofort sein Geld erhält, wenn man die Sparkasse verklagt und ein Gericht letztinstanzlich entscheidet, dass die Zinsen anders hätten berechnet werden müssen. Wir erstreiten nur ein Urteil nach dem Motto „So hätte die Sparkasse rechnen müssen“ und müssen darauf hoffen, dass tatsächlich auch gezahlt wird, wenn der BGH in unserem Sinne entscheidet.

Wie geht es bei den anderen Sparkassen weiter, die Sie nicht verklagt haben?

Bei der Sparkasse Muldental ist die Musterfeststellungsklage bereits beim Gericht. Zurzeit haben wir 115 Kläger im Register. Als Verhandlungstermin vor dem OLG ist der 2. Juni angesetzt. Unsere Kapazitäten sind zwar begrenzt, aber eines versichere ich Ihnen: Sollte das BGH-Urteil nicht rechtzeitig kommen, werden wir auch all jene Sparkassen verklagen, die ihren Prämiensparern 2018 gekündigt haben. Jeder betroffene Sparer aus Sachsen, der das will, soll sich einer Musterfeststellungsklage anschließen können.

Welche Bedingungen muss man erfüllen, damit man sich im Klageregister eintragen lassen kann?

Zunächst muss man einen langfristig angelegten Prämiensparvertrag abgeschlossen haben. Ob der gekündigt wurde oder nicht, spielt letztlich keine Rolle. Worauf es ankommt, ist der exakte Wortlaut der Zinsanpassungsklausel. Im Fall der Sparkasse Muldental beispielsweise lautet die Formulierung: „Die Spareinlage wird variabel, zur Zeit mit ... % verzinst“ oder „Die Spareinlage wird variabel, zur Zeit mit ... % p. a. verzinst“. Bedingung Nummer drei: Diese Klausel ist im Laufe der Jahre nicht wirksam geändert worden.

In einem früheren Interview mit der SZ haben Sie gesagt, dass die Prozesse gegen die Sparkassen „ein großes Ding“ für die vergleichsweise kleine sächsische Verbraucherzentrale sind. Sind Sie zum Erfolg verdammt?

Vor Gericht und auf hoher See ist gar nichts sicher. Ändert der BGH wirklich seine Rechtssprechung, haben wir als Verbraucherschützer zumindest alles getan, was wir tun konnten. Wer so oder so mit einem riesigen Imageschaden aus dieser Sache rausgehen wird, das sind die Sparkassen.

Das Interview führte Andreas Rentsch.

Auf Nachfrage von sächsische.de erklärt der Vorstand der Sparkasse Vogtland, vor der Verhandlung am OLG keine Pressemitteilung oder sonstige Statements abzugeben. Die Sparkasse Meißen hat die Anfrage bisher nicht beantwortet.


Verbraucherzentrale kontra Sparkassen - ein Zwischenstand

  • Sparkasse Leipzig: Vertragskündigungen ab Juni 2017; Einreichung Musterfeststellungsklage am 27.05. 2019; 1300 Angemeldete (Ø Nachzahlungsanspruch: 3.100 Euro) haben sich der Klage angeschlossen; Verhandlung am OLG Dresden am 22.04. 2020; Tenor des Urteils: Klauseln in Verträgen sind unwirksam, die Verjährung beginnt für Verbraucher frühestens mit Beendigung der Verträge; Revision zum BGH mit Verhandlung in zweiten Halbjahr 2021.
  • Erzgebirgssparkasse: Vertragskündigungen ab September 2017; Einreichung Musterfeststellungsklage am 22.10. 2019, 2100 Angemeldete (Ø Nachzahlungsanspruch: 6.000 Euro) haben sich der Klage angeschlossen; Verhandlung vor dem OLG Dresden am 09.09. 2020; Tenor des Urteils: Klauseln unwirksam, die Verjährung beginnt für Verbraucher frühestens mit Beendigung der Verträge; Revision zum BGH: Verhandlungstermin noch unbekannt.
  • Sparkasse Zwickau: Vertragskündigungen ab Oktober 2017; Einreichung Musterfeststellungsklage am 04.02.2020; 750 Angemeldete (Ø Nachzahlungsanspruch: 5.800 Euro) haben sich der Klage angeschlossen, Verhandlung vor dem OLG Dresden am 17.06.2020; Tenor des Urteils: Klauseln in den Verträgen sind unwirksam die Verjährung beginnt für Verbraucher frühestens mit Beendigung der Verträge; Revision zum BGH: Verhandlungstermin noch unbekannt.
  • Sparkasse Vogtland: Vertragskündigungen ab November 2018; Einreichung MFK am 23.06.2020; 960 Angemeldete (Ø Nachzahlungsanspruch: 2.400 Euro) haben sich der Klage bisher angeschlossen; Verhandlung vor dem OLG Dresden am 31.03. 2021.
  • Sparkasse Meißen: Vertragskündigungen ab Oktober 2017; Einreichung MFK am 15.09.2020; 430 Angemeldete (Ø Nachzahlungsanspruch: 4700 Euro 4.700 Euro); Verhandlung vor dem OLG Dresden am 31.03. 2021.
  • Sparkasse Muldental: Vertragskündigungen ab September 2017; Einreichung Musterfeststellungsklage am 07.10.2020; 115 Angemeldete (Ø Nachzahlungsanspruch: 2.900 Euro); Verhandlung vor dem OLG Dresden am 02. Juni 2021; Register zur Beteiligung an der Klage bleibt noch offen.
  • Ostsächsische Sparkasse Dresden: Vertragskündigungen ab Herbst 2019; (Ø Nachzahlungsanspruch: 2.500 Euro; noch keine Musterfeststellungsklage
  • Sparkasse Oberlausitz-Niederschlesien: Vertragskündigungen seit Februar 2021; keine Gesprächsbereitschaft in Hinblick auf eine alternative Lösung für betroffene Kunden.
  • Sparkasse Bautzen: Vertragskündigungen seit August 2018.
  • Sparkasse Chemnitz: Kündigung von Verträgen „Prämiensparen flexibel“ ab Frühjahr 2020.
  • Sparkasse Döbeln: Bisher keine Kündigung von Verträgen.