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Habeck ruft Alarmstufe des Notfallplans Gas aus

Wegen der gedrosselten Lieferungen aus Russland ruft Wirtschaftsminister Robert Habeck die Alarmstufe im Notfallplan Gas aus. Hohe Preissprünge für Verbraucher schließt er vorerst aus.

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Angesichts der deutlich verringerten Gaslieferungen aus Russland hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Donnerstag die Alarmstufe des Notfallplans Gas ausgerufen.
Angesichts der deutlich verringerten Gaslieferungen aus Russland hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Donnerstag die Alarmstufe des Notfallplans Gas ausgerufen. © Sebastian Iwersen/dpa

Nach der drastischen Verringerung der Gaslieferungen durch Russland hat die Bundesregierung die Alarmstufe im Notfallplan Gas ausgerufen. "Gas ist von nun an ein knappes Gut in Deutschland", sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck am Donnerstag. Zurzeit sei die Versorgungssicherheit aber gewährleistet. Gasverbraucher müssen zumindest im Moment nicht fürchten, dass ihre Versorger die Lieferverträge kündigen und höhere Preise verlangen. Dazu wäre ein weiterer Schritt der Bundesnetzagentur nötig.

Habeck rief dazu auf, Gas zu sparen. "Es wird eine nationale Kraftanstrengung. Aber wir können sie in Solidarität miteinander bewältigen - Bund, Länder und Kommunen, Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen, die Zivilgesellschaft." Industrie, Staat und Privathaushalte sollten den Verbrauch weiter senken. Habeck rief unter anderem dazu auf, Heizungsanlagen warten zu lassen. Dadurch seien Einsparungen von 15 Prozent möglich.

Auch wenn im Moment noch Gas auf dem Markt beschafft und eingespeichert werde: "Die Lage ist ernst, und der Winter wird kommen", sagte der Grünen-Politiker. Es seien die Versäumnisse des vergangenen Jahrzehnts, "die uns jetzt in diese Bedrängnisse geführt haben".

Habeck geht nach eigenen Worten von weiter steigenden Preisen aus. Das werde sich auf die Industrieproduktion auswirken und für viele Verbraucher eine große Last werden. Die Regierung werde Menschen mit niedrigen Einkommen entlasten. "Wir werden nicht alles auffangen können, aber da, wo schon jetzt jeder Cent zweimal umgedreht werden muss und die Angst vor der nächsten Heizkostenrechnung umgeht, müssen wir helfen."

Der Notfallplan hat drei Stufen: Die jetzt ausgerufene Alarmstufe ist die zweite nach der Frühwarnstufe. Die dritte wäre die Notfallstufe. Laut dem Plan liegt bei der Alarmstufe eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Versorgungslage führt. Der Markt ist aber noch in der Lage, diese Störung oder Nachfrage zu bewältigen.

Grund für die Ausrufung der Alarmstufe ist die Kürzung der Gaslieferungen aus Russland sowie die Preise auf dem Markt. Die deutschen Speicher seien zwar zu 58 Prozent gefüllt. "Doch sollten die russischen Gaslieferungen über die Nord-Stream-1-Leitung weiterhin auf dem niedrigen Niveau von 40 Prozent verharren, ist ein Speicherstand von 90 Prozent bis Dezember kaum mehr ohne zusätzliche Maßnahmen erreichbar", erklärte das Ministerium.

Trotz Ausrufung der Alarmstufe erhalten Versorgungsunternehmen noch keine Möglichkeit, ihre Gaspreise nach dem Energiesicherungsgesetz zu erhöhen. Der Mechanismus habe auch Schattenseiten, sagte Habeck. Daher arbeite man an Alternativen. Würde die Regelung aktiviert, könnten die Versorger ihre Mehrkosten innerhalb einer Woche an ihre Kunden weitergeben. Alte Verträge wären damit hinfällig, auch bei einer Preisgarantie.

Die Regierung will mit mehreren Maßnahmen gegen die Verschärfung der Gaskrise vorgehen. Unter anderem sollen Reserve-Kohlekraftwerke die Stromerzeugung aus Gaskraftwerken ersetzen. Das entsprechende Gesetz soll am 8. Juli vom Bundesrat beschlossen werden. "Das ist schmerzlich. Kohlekraftwerke sind einfach Gift fürs Klima. Aber für eine Übergangszeit müssen wir es tun, um Gas einzusparen und über den Winter zu kommen", sagte Habeck. Für die weitere Befüllung der Speicher wird eine Kreditlinie von zunächst 15 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Ein Auktionsmodell soll es ab dem Sommer für industrielle Verbraucher attraktiver machen, Gas einzusparen.

Wirtschaftsverbände zeigen sich besorgt

Rationierungen für die Industrie sollten nach Möglichkeit vermieden werden. "Das soll nicht passieren, in keinem Monat im besten Fall", sagte Habeck, fügte aber hinzu: "Ich kann es natürlich nicht ausschließen, weil es so voraussetzungsreich ist, was wir tun. Aber es ist kein Szenario, auf das wir hinarbeiten - im Gegenteil."

Wirtschaftsverbände äußerten sich besorgt. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Peter Adrian, sagte, es sei gut, dass die Bundesregierung die Weitergabe der höheren Gaspreise an die Kunden trotz bestehender Verträge im Moment nicht ermögliche. Es müsse ein fairer Ausgleich zwischen Versorgern und Kunden erreicht werden. Die Pläne, Gaseinsparungen in der Industrie zu belohnen, seien richtig.

Die Chemieindustrie, die nach Angaben ihres Branchenverbandes VCI 15 Prozent des Gases in Deutschland verbraucht, mahnte ebenfalls eine faire Lastenverteilung an. Die Verringerung der Gaslieferungen stelle Gesellschaft und Industrie vor gewaltige Herausforderungen, hieß es in einer VCI-Mitteilung. "Es gilt, ein transparentes Verfahren zu entwickeln, das die unvermeidlichen Lasten so gerecht und erträglich wie möglich auf alle Gasverbraucher verteilt."

Vielstimmige Reaktionen in Sachsen auf Ausrufung der Alarmstufe Gas

Die Ausrufung der Alarmstufe Gas hat auch in Sachsen vielstimmige Reaktionen ausgelöst. Einerseits wurde begrüßt, dass nun Klarheit über die Lage herrsche. Andererseits wurden verschiedene Forderungen zur Sicherung der Energieversorgung und zur Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger erhoben.

Die Industrie- und Handelskammer Chemnitz forderte, jetzt alle Hebel in Bewegung zu setzen, um eine Gasmangellage insbesondere in Ostdeutschland zu verhindern. Zur Sicherung der Energieversorgung müssten "dogmatische Denkverbote" in Bezug auf Atomstrom oder Fracking über den Haufen geworden werden, sagte der stellvertretende Geschäftsführer Martin Witschaß. Für Unternehmen, die besonders stark von Preissteigerungen betroffen seien, solle es Liquiditätshilfen und Zuschüsse geben.

Der energiepolitische Sprecher der Linken im Landtag, Marco Böhme, verlangte einen Gaspreisdeckel. "Sozial gerecht wäre ein staatlicher Preisdeckel für Gas, der allen Haushalten ein preisgünstiges, am Durchschnittsverbrauch orientiertes Kontingent zubilligt und Mehrverbrauch verteuert", teilte er mit. Auch Brennstoff- und Treibstoffpreise sollten gedeckelt werden. Böhme forderte zudem eine Übergewinnsteuer für Mineralölkonzerne.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Bernhard Herrmann erklärte, die Ausrufung der Alarmstufe Gas lass jetzt noch Zeit zum Vorbereiten auf den Winter. Das Land müsse sich jetzt schnellstmöglich "in voller Breite und europäischer Solidarität" unabhängig von fossilen Energien machen. (dpa)