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Warum die Bauern im Kreis Görlitz auf die EU sauer sind

Ab 2023 sollen Landwirte vier Prozent der Ackerfläche stilllegen. Trotz Ukraine-Krieg und Teuerung. Verhandlungen laufen. Wie Bauern im Landkreis Görlitz das sehen.

Von Anja Beutler
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Am 11. Juli protestierten Oberlausitzer Landwirte auf einer Brücke bei der A4 nahe Bautzen gegen die Pläne der EU, vier Prozent der Ackerfläche stilllegen zu müssen.
Am 11. Juli protestierten Oberlausitzer Landwirte auf einer Brücke bei der A4 nahe Bautzen gegen die Pläne der EU, vier Prozent der Ackerfläche stilllegen zu müssen. © SZ/Uwe Soeder

Zu spät. Eigentlich muss mit der Ernte eines Feldes klar sein, wie es neu bestellt wird. "Raps- und Gerstenflächen sind schon abgeerntet, aber wir wissen noch nicht sicher, ob wir nun tatsächlich im nächsten Jahr vier Prozent unserer Äcker stilllegen müssen oder nicht", sagt Hagen Stark. Der Landwirt und Tierarzt aus Kemnitz engagiert sich seit Jahren bei der Vereinigung "Land schafft Verbindung", die in den vergangenen Jahren immer wieder mit großen Protesten für Aufsehen gesorgt hat.

Und Proteste gab es auch vor drei Wochen: Oberlausitzer Landwirte mit einer Kette aus rund 40 Treckern haben gegen eben jene auf EU-Recht basierende Flächenstilllegung in Bautzen an der A4 demonstriert - trotz Erntezeit. Dass sie der "Green Deal" der EU ab 2023 verpflichtet, pauschal vier Prozent Ackerfläche brach liegen zu lassen, um weiterhin die Flächensubventionen zu erhalten, wollen sie gerade jetzt nicht hinnehmen.

Durch internationalen Druck - auch in anderen Ländern gärt es - hat zwar die EU mit Blick auf die weltweite Lage vor wenigen Tagen erlaubt, diese Green-Deal-Bestimmung für 2023 auszusetzen. Entscheiden müssen das aber die Mitgliedsstaaten. Und genau das hat Deutschland in einer Sondersitzung der Agrarministerkonferenz an diesem Donnerstag nicht getan. Man hat die Sache vertagt - was die Bauern weiter vor Unklarheiten stellt.

Welche Kritik es konkret gibt und wie das im Norden und Süden des Kreises gesehen wird, hier im Überblick:

Krieg und Inflation: Neue Regel greift zur Unzeit

Die Ukraine gilt als Kornkammer Europas. Aber die kann derzeit nicht wie gewohnt liefern. Auch wenn nicht jede Preisentwicklung auf den Krieg zurückzuführen ist, halten es viele Landwirte für ein schlechtes Zeichen, gerade jetzt mit Flächenstilllegungen zu beginnen: In Deutschland beträfe das 1,5 Millionen Hektar Ackerland - eine Fläche wie Schleswig-Holstein, summierte kürzlich "Der Spiegel". Robert Otto von der Agrargenossenschaft Eibau kann sich kaum vorstellen, wie er jetzt Pächtern oder Anwohnern erklären soll, warum auf eigentlich fruchtbaren Feldern bald Disteln wachsen, wo Getreide teurer wird. Zumal in Deutschland durch Trockenheit die Lage nicht einfacher wird.

Auch der Vorsitzende des Oberlausitzer Bauernverbandes, Joachim Häntsch, hält das für ein Unding. Gerade hier im Landkreis, wo bislang - bis auf einige Gebiete im Norden - Witterung und Klima günstig ausgefallen sind. "Klar, würde man die Welt durch das Aussetzen dieser Zwangsstilllegung nicht retten, aber es geht darum, ein Zeichen zu setzen, solidarisch zu sein", argumentiert er.

Flächenauswahl: Welche Flächen betrifft das?

Wie groß im Landkreis die Fläche wäre, die brach liegen müsste, kann man nur schätzen. Der Bauernverband Oberlausitz zählt rund 87.000 Hektar Ackerfläche im Kreis Görlitz. Vier Prozent sind knapp 3.500 Hektar. Dass die Landwirte nicht die allerbesten Flächen nehmen würden, liegt nahe. Dennoch wäre der Effekt sicht- und spürbar. Dem widerspricht das Sächsische Staatsministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft: „Auf ungefähr zwei Prozent der Ackerflächen gibt es Strukturelemente wie Bäume oder Sträucher. Wenn Landwirte weitere zwei Prozent der Fläche als ökologischen Rückzugsraum aus der Nutzung nehmen, werden das eher nicht die besten, fruchtbarsten Böden sein“, ordnet Sprecher Robert Schimke ein. Demnach könnten Landwirte bereits bestehende Flächen, die nicht genutzt werden, bereits anrechnen. Der reine "Ackerverlust" wäre deutlich geringer.

Landkreis: Sehen alle Landwirte Probleme?

Offenbar hängt der Grad der Betroffenheit von Bodenqualität und Trockenheit ab. Während man im Süden mit dem Stilllegen eher hadert, sieht das im Norden anders aus. Andreas Graf von der Agrargenossenschaft See bei Niesky betont, dass sich für ihn nichts ändern werde: "Wir lassen schon jetzt fünf Prozent unserer Flächen jährlich brachliegen", sagt er. Damit erfüllt er die aktuell geltenden EU-Vorgaben. Die besagen nämlich, dass man Flächen stilllegen kann, aber nicht muss. Alternativ darf man diese Äcker mit Zwischenfrüchten bebauen, um die Kriterien zu erfüllen. Viele Bauern im Süden machen das. "Bei uns auf dem leichten Sandboden bei Trockenheit ist das nichts, das sind nur Kosten", erklärt Graf. Zudem geht der Blick im Nordkreis in Richtung Agrivoltaik: Dabei wird auf Ackerland Fotovoltaik betrieben, die Flächen behalten aber ihren Ackerstatus, der sonst nach fünf Jahren ohne Anbau verloren gehen würde. Zwei große Projekte im Norden sind dazu in der Planung.

Kritik: Finanzierung und Unkrautproblem

Ackerflächen so richtig brach liegen zu lassen - für mindestens ein Jahr - sei kontraproduktiv, argumentiert Hagen Stark: "Wenn das Feld verunkrautet, Disteln wachsen und wir künftig aber 50 Prozent Pflanzenschutzmittel einsparen sollen - wie solle man da das Feld wieder nutzbar machen?", fragt er. Deshalb fordern Landwirte, dass sie in der Brachenzeit eine Zwischenfrucht aussäen oder die Flächen wenigstens begrünen dürfen. Das sei aber eben gerade nicht im Sinne der Biodiversität, halten Verfechter der Stilllegung dagegen. Und Biodiversität sei für die Zukunft der Landwirtschaft unabdingbar.

Da mit der neuen Regelung auch die Flächenprämie pro Hektar von 260 auf 180 Euro sinkt, rechnen laut Stark einige bereits, ob sie die EU-Gelder benötigen und nicht lieber aussteigen. Experten in der Politik gehen aber davon aus, dass die Gelder für die Betriebe notwendig bleiben und betonen, dass es weitere Zuwendungen für zusätzliche Umweltleistungen gebe.

Fahrplan: Minister will Klärung

Sachsens Landwirtschaftsminister Wolfram Günther (Grüne) betonte nach dem Agrarministertreffen, dass man bei den Flächenstilllegungen "an einer sachgerechten, praktikablen und schnellen Lösung interessiert" sei. Allerdings seien noch Fragen zum Beispiel zur globalen Ernährungssicherheit und der biologischen Vielfalt offen, ebenso zum "praktischen Vollzug durch die Betriebe". "Diese offenen Fragen wollen wir in den kommenden 14 Tagen klären", stellte er in Aussicht.