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Die ersten elektrischen Motorräder - wie fahren sie?

Für viele Biker gehört Auspuffknattern zum Lebensgefühl. Ein Chemnitzer Händler will beweisen, dass es auch ohne geht. Doch die Überzeugungsarbeit bleibt aus mehreren Gründen schwierig.

Von Andreas Rentsch
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Motorradverkäufer Mario Otto aus Chemnitz auf einer Zero SR/S: Wenn man den fehlenden Auspuff übersieht, ist das 110 PS starke E-Motorrad kaum von einem Verbrennermodell zu unterscheiden.
Motorradverkäufer Mario Otto aus Chemnitz auf einer Zero SR/S: Wenn man den fehlenden Auspuff übersieht, ist das 110 PS starke E-Motorrad kaum von einem Verbrennermodell zu unterscheiden. © kairospress

Wenn es einen Konsens unter Motorradfahrern gibt, dann vermutlich den, dass Geräusche Emotionen hervorrufen. Oder anders gesagt: Die Kiste muss blubbern, knattern, grollen, brummen, röhren, kreischen. Was, wenn diese Kulisse plötzlich fehlt, weil das Bike von einem Elektromotor angetrieben wird? „Ich rate Kunden, die überhaupt keinen Bezug zum Thema haben, dazu, einfach mal Probe zu fahren“, sagt Mario Otto, Motorradverkäufer in Röhrsdorf bei Chemnitz. Und liefert das aus seiner Sicht überzeugendste Argument für den Umstieg vom Verbrenner gleich mit: „Gigantische Beschleunigung.“

Mühelose, ununterbrochene Kraftentfaltung

Tatsächlich wuchtet der 58-Jährige die blaue Zero SR/S in knapp 3,2 Sekunden auf Tempo 100, wenn die Straße ins benachbarte Hartmannsdorf frei ist. Zum Vergleich: Selbst eine fast doppelt so starke BMW S 1000 RR schafft diesen Sprint nur eine Zehntelsekunde schneller. Noch beeindruckender als der bloße Messwert sei die ununterbrochene, mühelose Kraftentfaltung, sagt Otto. „Das maximale Drehmoment liegt sofort an. Es gibt kein Getriebe, also keinen Schaltvorgang.“ Begleitet wird die immer schnellere Fahrt durch leises Pfeifen oder Sirren.

In freier Wildbahn sind Bikes wie der Zero-Sporttourer extrem selten. Elektrisch angetriebene Motorräder genießen nach wie vor Exotenstatus auf hiesigen Straßen. Laut Industrie-Verband Motorrad (IVM) sind vergangenes Jahr gerade mal 1.606 Exemplare verkauft worden – bundesweit. Das entspricht einem Marktanteil von einem Prozent. In Sachsen dürfte sich der Bestand zugelassener Maschinen im dreistelligen Bereich bewegen, schätzt Ottos Chef, Motorradhändler Tino Böttger.

Die Geräuschkulisse macht den Unterschied: Kräftiges Beschleunigen wird von einem leisen Pfeifen oder Sirren begleitet.
Die Geräuschkulisse macht den Unterschied: Kräftiges Beschleunigen wird von einem leisen Pfeifen oder Sirren begleitet. © kairospress

„Elektromotorräder sind ein Zukunftssegment“, glaubt Verbandssprecher Achim Marten. Schon länger gefragt seien elektrische Mopeds und Roller. Diese Sparte sei zuletzt „wahnsinnig erstarkt“. Als eine der Ursachen sieht Marten die 2020 eingeführte B196-Führerscheinregelung. Das Kürzel signalisiert die Erlaubnis für erfahrene Autofahrer, nach einigen Theorie- und Praxisstunden kleinere Leichtkrafträder zu fahren. Eine separate Prüfung ist nicht nötig. Für Pendler ohne eigenes Auto und mit überschaubaren täglichen Fahrstrecken eine elegante Lösung.

Kawasaki war mit Prototyp EV auf der Intermot

Bei den größeren Maschinen dümpelt die Nachfrage. Anders ist das zurückhaltende Agieren der etablierten Marken kaum zu erklären. Niemand biete eine ähnliche Modellvielfalt an wie Zero, so der ADAC. Kawasaki beispielsweise habe auf der Intermot-Messe im Herbst 2022 seinen ersten rein elektrischen Prototypen präsentiert, knausere aber mit technischen Details und weiteren Angaben, sagt Achim Marten. „Von BMW ist auch bald etwas zu erwarten. Vermutlich aber eher im Bereich Großroller.“ Harley-Davidson hält seit 2019 ein Cruisermodell namens Livewire für die deutsche Kundschaft bereit. Inzwischen wird das Motorrad Livewire One aber nicht mehr als Harley vermarktet, sondern als eigene Marke.

Kommandozentrale: Das Display zeigt Akkukapazität, gefahrene Strecke, Batterie- und Motortemperatur, Restreichweite, Fahrmodi und natürlich auch die Geschwindigkeit an.
Kommandozentrale: Das Display zeigt Akkukapazität, gefahrene Strecke, Batterie- und Motortemperatur, Restreichweite, Fahrmodi und natürlich auch die Geschwindigkeit an. © kairospress
Tankstutzen: Geladen wird über einen Typ-2-Stecker an einer Wallbox oder Ladestation – beziehungsweise mittels Adapter einer ausreichend abgesicherten Schuko-Steckdose.
Tankstutzen: Geladen wird über einen Typ-2-Stecker an einer Wallbox oder Ladestation – beziehungsweise mittels Adapter einer ausreichend abgesicherten Schuko-Steckdose. © kairospress
Wahlmenü: Die SR/S hat vier Fahrmodi, Standard, Eco, Sport, Regen und einen Custom-Modus, dessen Charakteristika man sich selber zusammenstellen kann, indem man die Zero-App benutzt.
Wahlmenü: Die SR/S hat vier Fahrmodi, Standard, Eco, Sport, Regen und einen Custom-Modus, dessen Charakteristika man sich selber zusammenstellen kann, indem man die Zero-App benutzt. © kairospress
Kraftwerk: Die Akkus von Zero-Motorrädern gibt es in verschiedenen Größen. Dieser hier hat eine Kapazität von 15,6 Kilowattstunden, was laut Normzyklus für 200 Kilometer reicht.
Kraftwerk: Die Akkus von Zero-Motorrädern gibt es in verschiedenen Größen. Dieser hier hat eine Kapazität von 15,6 Kilowattstunden, was laut Normzyklus für 200 Kilometer reicht. © kairospress

Als Hauptproblem der Elektromotorräder sehe er die überschaubare Reichweite, sagt Mario Otto. Sein Vorführermodell mit 14,4-Kilowattstunden-Akku kommt voll geladen rund 180 Kilometer weit. „Ich würde eher von 150 Kilometern als Richtwert ausgehen“, rät er. Wer öfter am Limit fahre, müsse noch schneller zurück an die Steckdose. Doch anders als das Zapfen von Benzin dauert das Auffüllen der Energiespeicher nicht nur ein paar Minuten. Zwei Stunden vergehen an einer passenden Wallbox, ehe der Akkustand von null auf 95 Prozent gestiegen ist. An der Haushaltssteckdose vergeht sogar fast dreimal so viel Zeit. Selbst wenn der Hersteller kürzere Fristen nennt, dürften diese Zeitangaben oft abschreckend wirken.

Preiswerteste Zero kostet mindestens 13.000 Euro

Es hilft, unbelastet von früheren Gewohnheiten an das Thema heranzugehen. Tatsächlich seien Zero-Käufer oft neue Kunden und keine Umsteiger aus dem Verbrenner-Lager, sagt Mario Otto. „Das sind Menschen, die schon in Kontakt mit Elektromobilität gekommen sind, vielleicht ein E-Auto in der Garage und eine Fotovoltaikanlage auf dem Hausdach haben.“ Finanziellen Spielraum braucht es in jedem Fall: Die preiswerteste Maschine der US-Marke kostet in der Basisversion 13.000 Euro, die teuerste ist ab 27.000 Euro zu haben.

Staatliche Kaufzuschüsse wie bei Elektroautos gibt es keine. Diese Ungleichbehandlung ärgere ihn, sagt Tino Böttger. Schließlich trügen auch diese Zweiräder dazu bei, die Umwelt zu schonen. „Wenn ich mit meinem E-Motorrad auf Arbeit fahre, dann kann ich das nicht gleichzeitig mit meinem alten Diesel tun.“ Offensichtlich habe es an einer starken Lobby gefehlt, um derlei Förderung durchzusetzen. Weder Zero selbst noch seine Kundschaft seien mit ihrem Anliegen, den Status quo zu verändern, beim Bundeswirtschaftsministerium durchgedrungen.

Gänzlich leer gehen Besitzer von Akkumotorrädern allerdings nicht aus. Weil sie beim Fahren keine CO2-Emissionen verursachen, können sie ihre „Einsparungen“ an Mineralölkonzerne verkaufen. Die Unternehmen wiederum können mithilfe dieses Ablasshandels die gesetzlich vorgegebenen Minderungsziele für Treibhausgasausstoß einhalten. So spült die THG-Prämie jedem E-Motorrad-Fahrer Jahr für Jahr ein hübsches Sümmchen in die Haushaltskasse.

Dank THG-Quote jedes Jahr einige Hundert Euro Prämie

Momentan ließen sich Prämien von 250 bis 300 Euro erzielen, sagt Steven Handau aus Leipzig. Der 36-Jährige berät Privatpersonen und Unternehmen zur THG-Quote. Handau fährt auch selbst Elektromotorrad. Eine Zero S, die er 2020 bei Tino Böttger in Röhrsdorf gekauft hat. Die Fahrerlaubnis fürs Motorrad habe er bis heute nicht, sagt er. „Die Schlüsselzahl B196 im Autoführerschein macht‘s möglich.“

Ein besonderer Pluspunkt ist aus Handaus Sicht der Umstand, dass bei elektrischen Motorrädern – wie bei E-Autos auch – nicht die Maximalleistung zählt, sondern die Dauerleistung. „Mit bis zu 44 kW, also knapp 60 PS, habe ich mit der Zero enormen Fahrspaß“, schwärmt er. Doch auch die Nachteile will er nicht verschweigen. „Es fehlt an Reichweite und Ladeleistung. Auch der hohe Anschaffungspreis spricht gegen ein E-Motorrad.“

Verbrennerfahrer mögen "Steckerbiker" nicht

Zu guter Letzt gestalte sich der Austausch mit Gleichgesinnten eher schwierig. „Von Verbrenner-Fahrern erfährt man mehrheitlich Ablehnung.“ Er habe deshalb online Kontakt mit Elektromotorradbesitzern in Brandenburg und Berlin geknüpft, sagt der IT-Spezialist. „Die nennen sich Steckerbiker.“

Ökobonus auch für elektrische Zweiräder

  • Die Treibhausgasminderungsprämie können Halter eines batterieelektrischen Fahrzeugs bei einem THG-Anbieter ihrer Wahl beantragen. Davon gibt es rund 500. Das Portal efahrer.com empfiehlt derzeit Anbieter wie Elektrovorteil, Quotlix, Klima-Quote, 2Ocean oder Carbonify.
  • Die Registrierung läuft online: Nötig sind der eigene Name und die IBAN, auch ein Foto oder Scan der Zulassung muss hochgeladen werden.
  • Kleingedrucktes: Antragsteller sollten in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ihres Wunschanbieters nachschauen, ob sich die beworbene Auszahlungssumme auf ein oder zwei Jahre bezieht. Wer hier nicht aufpasst, tritt womöglich seine THG-Quote für zwei Jahre ab und erhält nur die Hälfte der erhofften Summe.
  • Höhe der Prämie: derzeit bei 250 bis 300 Euro. Das ist deutlich weniger als im vergangenen Jahr. Wer die Sofortzahleroption in Anspruch nimmt, um sein Geld nach wenigen Tagen auf dem Konto zu haben, erhält maximal 225 Euro. Die Prämie ist für Privatleute steuerfrei.
  • Das Schlupfloch: Voraussetzung für die Auszahlung der THG-Prämie ist die Existenz einer Zulassungsbescheinigung Teil 1. Findige Besitzer von E-Rollern, die maximal 45 km/h fahren, haben daraufhin einen Antrag auf freiwillige Zulassung gemäß §3 Absatz 3 der Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) gestellt, um den Bonus abzugreifen. Doch der Gesetzgeber will das Schlupfloch schließen, mit dem sich 45-km/h-E-Roller samt großem Nummernschild „bonustauglich“ machen lassen. Antragsteller dürften mittlerweile bei den Zulassungsstellen abblitzen, sagen mit der Materie vertraute Händler.
  • Künftig könnte der Ökobonus für elektrische Zweiräder und Kleinstfahrzeuge ganz wegfallen. Das sieht zumindest ein Referentenentwurf der Bundesregierung vor. Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz hat die Abschaffung gefordert. Ein neu gegründeter Interessenverband von THG-Anbietern wendet sich gegen die Pläne.