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Fahrrad im Zug: Wie die Bahn die Verkehrswende in Sachsen ausbremst

Zwar können Azubis kostenlos ein Rad im Zug mitnehmen. Aber wenn sie den Verkehrsverbund wechseln, wird‘s teuer und kompliziert. Das zeigt ein Beispiel aus Riesa.

Von Tim Ruben Weimer
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Die ersten Tage kaufte sich der 19-jährige Azubi Sven-Luca Weiß noch jeden Tag ein Fahrradtagesticket. Dann wurde ihm das zu teuer.
Die ersten Tage kaufte sich der 19-jährige Azubi Sven-Luca Weiß noch jeden Tag ein Fahrradtagesticket. Dann wurde ihm das zu teuer. © Sebastian Schultz

Riesa. Sven-Luca Weiß aus Riesa hat Anfang September seine Ausbildung begonnen. Er lernt als IT-Techniker bei der Telekom in Leipzig. Doch das Werk am Funkturm Holzhausen ist für ihn schwierig zu erreichen. Den stündlichen Anschlussbus ab Leipzig-Engelsdorf verpasst er knapp. Er müsste mehrfach umsteigen oder einige Kilometer laufen. Also nimmt der 19-Jährige sein Fahrrad mit, um vom Bahnhof zum Arbeitsort zu kommen. Eigentlich kein Problem, denn sowohl der Verkehrsverbund Oberelbe (VVO), aus dem Weiß in Riesa startet, als auch der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) im Leipziger Umland bieten im 53 Euro teuren Azubi-Ticket kostenlose Fahrradmitnahme an.

Doch als ihn der Schaffner am ersten Arbeitstag kontrolliert, muss Weiß nachzahlen. Die Fahrradmitnahme ist zwar für Azubis innerhalb der sächsischen Verkehrsverbünde außer in der Oberlausitz kostenlos. Wechselt man jedoch auf einer Fahrt den Verbund, wird es teuer. Dann wird zusätzlich eine deutschlandweit gültige Fahrrad-Tageskarte der Deutschen Bahn gebraucht, erklärt ihm der Schaffner. Die kostet sechs Euro – täglich!

Fahrradticket doppelt so teuer wie Azubiticket

Allein für den September mit 22 Werktagen würde Weiß so 132 Euro nur für Fahrrad-Tageskarten ausgeben. Das ist mehr als doppelt so viel wie ihn sein Azubi-Ticket kostet. Von Riesa aus dürfte er sein Fahrrad gratis nach Dresden, Hoyerswerda oder ins Erzgebirge mitnehmen, nicht aber in Richtung Leipzig zu seiner Arbeitsstelle. „Wenn ich morgens 16 Kilometer mit dem Fahrrad fahren und erst in Oschatz in den Zug steigen würde, wäre es wieder kostenlos“, erklärt Weiß. Denn Oschatz liegt bereits im gleichen Verkehrsverbund wie Leipzig, dem MDV. „Ich finde das ganz schön bescheuert“, sagt er. Auch sein Vater sagt: „Das ist totale Kleinstaaterei.

Ein Fahrrad-Tagesticket der Deutschen Bahn kostet sechs Euro. Damit kann das Fahrrad deutschlandweit im Nahverkehr mitgenommen werden.
Ein Fahrrad-Tagesticket der Deutschen Bahn kostet sechs Euro. Damit kann das Fahrrad deutschlandweit im Nahverkehr mitgenommen werden. © Sebastian Schultz

Betroffen sind nicht nur Azubis. Jeder, der mit dem Fahrrad zwischen den Verbundgrenzen pendelt, muss täglich ein Fahrradticket kaufen. Die Deutsche Bahn bietet für Fahrräder kein Monatsticket an.

Bahn bietet keine Monatskarte fürs Fahrrad

Für die meisten Azubis sei es ausreichend, innerhalb des jeweiligen Verbundes das Rad kostenlos mitnehmen zu können, erklärt VVO-Sprecher Christian Schlemper. 72 Prozent aller Azubitickets in Sachsen würden für einen einzelnen Verbund gekauft. Das Azubi-Ticket sei auch nur deshalb so günstig, weil das Wirtschaftsministerium das Ticket seit 2019 bezuschusst. Der Freistaat hatte es ein Jahr später auf Plus- und Taktbusse ausgeweitet. Seitdem dürfen auch Freiwilligendienstleistende das Azubi-Ticket nutzen.

„Eine verbundübergreifende Lösung würde höhere Zuschüsse bedeuten“, erklärt Schlemper. Andernfalls würde der Preis des Azubi-Tickets steigen, obwohl ein Großteil der Nutzer nicht von der Erweiterung profitiere. Die Fahrradmitnahme hänge auch von den Kapazitäten an Fahrradstellplätzen in den Zügen ab. Schlemper rechnet damit, dass 2023 ein Drittel der Züge aus Kostengründen gestrichen wird.

Bringt der Sachsentarif die Lösung?

Mit dem Neun-Euro-Ticket habe sich gezeigt, dass es nicht reiche, einfach nur die Kosten zu senken, ohne gleichzeitig die Kapazitäten zu erhöhen, sagt auch Clemens Kahrs, Vorsitzender des Verkehrsclub-Landesverbands Elbe-Saale. „Man wird aber nie garantieren können, dass jeder jederzeit sein Fahrrad mitnehmen kann.“ Eine Fahrradzeitkarte der Deutschen Bahn halte er jedoch für sinnvoll, da es an den Verbundgrenzen immer wieder zu Unwägbarkeiten komme. Geplant ist sie derzeit aber nicht.

Kurzfristig könne sich Sven-Luca Weiß mit einem Klappfahrrad behelfen, empfiehlt Kahrs. Das zählt als Handgepäck und darf ohne zusätzliches Ticket mitgeführt werden. Mittelfristig bringe wohl der Sachsentarif die Lösung. An dem arbeitet seit Ende 2019 ein Team unter dem Dach des VVO. Der Sachsentarif soll ab 2023 Fahrten über alle sächsischen Verkehrsverbünde hinweg ermöglichen.

Dass es mit dem Sachsentarif für Fahrradfahrer billiger wird, kann VVO-Sprecher Christian Schlemper nicht versprechen. „Bisher ist alles noch völlig offen.“ Eine Fahrradmonatskarte für ganz Sachsen gebe es zwar als Idee, könnte aber frühestens 2024 verwirklicht werden. Zum kommenden Jahr sollen zunächst sachsenweit gültige Einzel- und Tageskarten eingeführt werden. Doch auch wie die strukturiert werden, ist noch unklar. Werden die Verkehrsverbünde abgeschafft? Welche Regelung gibt es stattdessen? Und wird es wirklich billiger, wenn die Verbünde weg sind?

ADFC: Mehr Fahrradstellplätze statt Fahrradmitnahme

Für den Landesverband des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) hat die Fahrradmitnahme in Sachsens Zügen nicht die höchste Priorität. „Die derzeitige Regelung ist für Herrn Weiß persönlich natürlich ungünstig. Aus unserer Sicht ist es aber wichtiger, dass Leute Fahrrad und Bahn kombinieren“, erklärt Sprecher Konrad Krause. „Die Fahrradmitnahme sehen wir vor allem als touristisches Thema.“ Zentrale Punkte von Radfernwegen wie etwa dem Oder-Neiße-Radweg müssten für Fahrradfahrer gut per Zug erreichbar sein. Es brauche dafür nicht nur genügend Fahrradstellplätze in Zügen. Diese müssten auch klar markiert sein, damit andere Fahrgäste die Plätze nicht blockieren.

Der Regional-Express 5 von Finsterwalde oder Elsterwerda nach Rostock oder Stralsund sei für ihn ein Vorbild für Sachsen: Mit einem reinen Fahrradwagen in der Mitte und unübersehbaren Markierungen auf dem Boden komme man sich als normaler Bahnfahrer schon komisch vor, wenn man auf einem Fahrradstellplatz stehe, meint Krause. Im RE 50 zwischen Dresden und Leipzig dagegen müssten die Fahrgäste ihre Fahrräder zum Teil noch an der Toilettentür vorbeiquetschen.

40 Prozent der Bahnhöfe ohne Fahrradparkplätze

Trotzdem ist für Krause eine kostenlose Radmitnahme, wie sie unter anderem die Mitteldeutsche Regiobahn generell und viele Verkehrsverbünde zumindest ihren Monatsticketinhabern anbieten, nicht zielführend. In anderen Städten wie Hamburg seien wegen der mit Fahrrädern überfüllten Züge bereits Sperrzeiten für die Räder eingeführt worden. „Das würde ich in Sachsen gerne vermeiden“, sagt er.

Für Pendler wie Sven-Luca Weiß dagegen müssten die Fahrradparkplätze an den Bahnhöfen attraktiver werden. Dann wäre es möglich, auf dem Weg zur Arbeit ein Rad am Startbahnhof stehen zu lassen und ein anderes am Zielbahnhof mitzunehmen oder Bikesharing-Dienste zu nutzen. Nach ADFC-Angaben haben aber rund 40 Prozent der sächsischen Bahnhöfe keinerlei Fahrradstellplätze. Weitere 40 Prozent verfügen nur über Stellplätze, die das Vorderrad bei einem Stoß verbiegen würden und nicht diebstahlsicher sind, weil der Rahmen nicht angeschlossen wird. „Wir müssen davon weg, dass sich viele fürchten, ihr Rad am Bahnhof abzustellen“, sagt er.

Nur vier Kommunen lassen Fahrradstellplätze fördern

Der Bahnhof Bautzen sei ein positives Beispiel. Wenige Meter von den Gleisen entfernt lässt sich das Rad in einen Fahrradkäfig schließen, der für eine geringe Monatsgebühr gemietet werden kann. Das müsste sogar kostenlos werden, findet Krause, schließlich dürfen Autos auf Park-and-Ride-Parkplätzen ja auch kostenlos stehen. „Vielen Entscheidern fehlt das Verständnis, dass man durch Fahrradparkplätze den Radius eines Bahnhofs vergrößert und Radfahrer potenzielle Kunden sind.“

Dabei werden Fahrradstellplätze an Bahnhöfen durch die Bike-and-Ride-Offensive des Bundeswirtschaftsministeriums zu 70 Prozent gefördert. Finanzschwachen Kommunen zahlt der Bund die vollen Kosten. Die Deutsche Bahn stellt dafür Flächen bereit, die die Kommune unentgeltlich nutzen darf. Trotzdem haben in Sachsen bisher nur die Städte Böhlen und Meißen davon Gebrauch gemacht, bundesweit sind es 182 Kommunen. Dresden und Werdau haben Fahrradstellplätze im Rahmen der regulären Kommunalförderung beantragt. „Die Gemeinden haben andere Probleme“, meint Krause. „Beim sicheren Parken ist Sachsen noch ein Entwicklungsland.“

Sven-Luca Weiß aus Riesa hat derweil eine Lösung gefunden, wie er um die täglichen sechs Euro für ein Fahrradticket herumkommt. Für rund 300 Euro hat er sich einen E-Scooter gekauft. Der zählt wie ein Klappfahrrad als Handgepäck. Und die Kosten hat er in zwei Monaten wieder raus.