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Warum ist Zittaus Innenstadt so wenig bewohnt?

Im Erdgeschoss ein Laden, in den Wohnungen darüber gähnende Leere - das Phänomen gibt es fast überall im Zentrum. Woran liegt das? Eine Spurensuche.

Von Frank-Uwe Michel
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Wer in Zittaus Innenstadt wohnt, ist fast ein Exot. In vielen Häusern sind die oberen Etagen leer. Das hat vielschichtige Gründe.
Wer in Zittaus Innenstadt wohnt, ist fast ein Exot. In vielen Häusern sind die oberen Etagen leer. Das hat vielschichtige Gründe. © Matthias Weber

Wenn mittwochs Markttag in Zittaus Zentrum ist, dann ist richtig Leben in der Stadt. Die Händler ziehen viele Menschen an. Von dem Trubel profitieren auch die Geschäfte ringsherum - an Markt und Rathausplatz, in der Bautzner, Reichenberger, in Frauen- und Innerer Weberstraße. Doch wehe, wenn der Blick nach oben geht: In den Etagen darüber sieht es meist traurig aus. Fenster ohne Gardinen sind ein deutliches Zeichen: Die Wohnungen über den Läden sind nicht belegt.

Dieses Phänomen ist sicherlich kein exklusives Zittauer Problem. Doch scheint es hier besonders ausgeprägt. Städtebauarchitekt Detlef H. Grösel findet es bedauerlich, dass sich dieser Zustand so verfestigt hat. Ein Haus müsse leben, findet der Oybiner. Sonst verliere es mit der Zeit an baulicher Substanz. Die Stadt, fordert er, "muss vorangehen, Konzepte entwickeln, private Eigentümer motivieren." Er habe den Eindruck, dass in dieser Richtung viel zu wenig passiere.

Offenbar aber sind die Gründe für den Wohnungsleerstand in der Zittauer Innenstadt vielschichtiger Natur. Wie hoch die Quote unbelegter Wohnungen ist, wird zwar nicht erfasst, teilt Susanne Mannschott von der Stadtentwicklungsgesellschaft mit. Dies habe aber auch keinen Einfluss auf die Unterstützungsleistungen der Stadt für die Eigentümer der betreffenden Häuser. Im Vordergrund stehe der Erhalt der historischen Bausubstanz.

Das Wohnen in den historischen Häusern des Stadtkerns sei nach wie vor beliebt und attraktiv. "Allerdings ist Altbau nicht gleich Altbau", erklärt die Geschäftsführerin. Aufgrund der geschlossenen Strukturen gebe es im Stadtzentrum nur geringe Gartenflächen, wenige Balkonanlagen und Stellplätze. Außerdem: "Viele Sanierungen haben in den 1990er und 2000er Jahren stattgefunden, die Wohnungen müssten jetzt erneut modernisiert werden." Doch weil wegen geringer Mieteinnahmen oft noch der Kapitaldienst für die bereits weit zurückliegende Sanierung bedient werden müsse und sich das Projekt damit noch nicht amortisiert habe, "wird nicht in die Erneuerung investiert." Erst recht nicht, wenn unter Umständen auch die Ladenmieten aus dem Erdgeschoss fehlen.

Ein Teufelskreis, der sich nach Meinung von Susanne Mannschott nur mit einer Maßnahme durchbrechen lässt: "Wir müssen die Substanz in unserer Stadt sortieren: Was brauchen wir, was brauchen wir nicht." Denn aktuell gebe es zu wenige Menschen, im Gegensatz dazu ein Wohnungsüberangebot. "Wir haben sicherlich Bereiche, die wichtig sind. Aber auch solche, die wir ausdünnen können." So sieht sie Möglichkeiten zur "Bereinigung" im Gebiet zwischen dem Stadtring und dem sogenannten "Außenring". Der beschreibt in groben Zügen die Linie Schrammstraße, Brückenstraße, Leipziger Straße, Eisenbahnstraße, Goldbachstraße.

Viele Wohnungen in der Zittauer Innenstadt wurden in den 1990er und 2000er Jahren saniert. Sie müssten jetzt erneut modernisiert werden. Dafür fehlt aber oft das Geld.
Viele Wohnungen in der Zittauer Innenstadt wurden in den 1990er und 2000er Jahren saniert. Sie müssten jetzt erneut modernisiert werden. Dafür fehlt aber oft das Geld. © Matthias Weber/photoweber.de

Seit der Wende, erklärt die Expertin, habe es umfangreiche Sanierungskonzepte gegeben, die in drei Jahrzehnten mit weit über 100 Millionen Euro unterstützt worden seien. Das Geld sei sowohl in Sanierungen als auch in den Rückbau von Wohngebäuden geflossen, "damit es zur dringend erforderlichen Reduzierung des Wohnungsbestandes kommt." Ihr Resümee: Abrissmaßnahmen hätten nur ungenügend stattgefunden. Damit stünden wertvolle Altbauten weiter in direkter Konkurrenz zu Gebäuden, die entbehrlich seien.

Ein gewisses Maß an Leerstand müsse man in der Zittauer Innenstadt wohl akzeptieren, so die Geschäftsführerin. Susanne Mannschott befürchtet allerdings, dass sich die Situation in den nächsten Jahren noch verschärfen könnte. "Eigentümer müssten Geld in die Hand nehmen, damit ihre Häuser wenigstens sicher und trocken bleiben und die Substanz auf dem jetzigen Level erhalten bleibt. Das passiert aber in vielen Fällen nicht." Weil es keine Einnahmen gebe, werde nichts an den Gebäuden gemacht.

Hat ein Besitzer die Aussichtslosigkeit seines Unterfangens erkannt und strebt nur noch danach, seine marode Immobilie endlich loszuwerden, kann er erklären, dass er nicht mehr zuständig ist. "In diesem Fall geht die Verkehrssicherungspflicht an die Kommune über, das Eigentum fällt dem Freistaat zu", erklärt die Chefin der Stadtentwicklungsgesellschaft. Das Fatale daran: Eine Sicherung steigert den Wert des Objektes nicht, kostet die Stadt nur Geld. "Vereinzelt mussten wir schon auf dieses Szenario reagieren", so Susanne Mannschott. Das Ende der Fahnenstange ist das sicherlich noch nicht.

Zwar unterstützt Zittau Sanierungsmaßnahmen in der Innenstadt auch weiterhin mit Fördermitteln. Allerdings ist die Nachfrage stark gesunken. Der Grund: Viele Bauherren können ihre Gesamtfinanzierung auch mit dieser Unterstützung nicht stemmen. "Sie gehen zur Bank, rechnen neben dem Kredit noch die Zuschüsse vom Staat dazu. Im Gegensatz dazu sehen sie die extrem gestiegenen Baukosten und kalkulieren die Mieteinnahmen, die in den nächsten Jahren zu erwarten sind. Oft stimmt dann das Gesamtpaket nicht. Hat die Refinanzierung einer solchen Maßnahme früher zehn oder 15 Jahre gedauert, sind es unter den veränderten Bedingungen jetzt 30. Damit scheitert das Projekt, ehe es begonnen hat." Und die städtischen Mittel können gar nicht in Anspruch genommen werden.

Um mit vermieteten Ladengeschäften im Erdgeschoss wenigstens die finanzielle Grundlage für ein Sanierungsvorhaben zu legen, regt Susanne Mannschott ein Umdenken in der Stadtpolitik an. "Bisher galt immer, Handwerksbetriebe gehören dorthin, wo sie keinen stören. Wir sollten überlegen, ob wir ihnen Raum in der Innenstadt geben." Auch Künstlern, Agenturen - insgesamt der Kreativwirtschaft. Perspektivisch könne die Stadt auch veränderte Regularien in Form von Satzungen beschließen, die noch deutlich mehr Bezug auf die Entwicklung des historischen Stadtkerns nehmen. "Momentan aber nicht", bremst die Fachfrau. Denn: Man befinde sich in der Haushaltskonsolidierung. Und brauche schon 15 bis 20 Projekte in der Pipeline. "Sonst hat das Ganze keinen Sinn."