Bautzen. Tausende Menschen sind tagtäglich vor dem Kornmarkthaus in Bautzen unterwegs, laufen zum Einkaufen, auf den Wochenmarkt oder zur Arbeit. Doch wer von ihnen hat wohl bemerkt, dass sich in der Woche vom 18. bis 22. März dort ein ganz besonderes Ereignis abgespielt hat?
Sonne scheint durchs Sonnentor am Kornmarkthaus
Georgia und Heinz Brauer vom Bautzener Sternwartenverein kennen das Geheimnis. An der Gesteinsformation, die an der Ecke zur Karl-Marx- und Tuchmacherstraße steht, haben sie an mehreren Abenden interessierte Passanten darauf aufmerksam gemacht: Denn nur an den Tagen um die Tag-und-Nacht-Gleiche am 20. März sowie am 21. September herum geht die Sonne in der Flucht zwischen Kornmarkt-Center und gegenüberliegender Häuserzeile so unter, dass ihre Strahlen als schmaler Streifen durch das sogenannte Sonnentor auf den dahinterliegenden Basaltstein mit eingravierter Sonne fallen.
Das Sonnentor ist ein auffälliges Steingebilde aus zwei speziell geformten Säulen, auf denen einen pyramidenförmiger Stein ähnlich eines Daches thront. Steigt die Sonne im Laufe des Frühsommers immer höher, werden ihre Strahlen von dem oben aufliegenden Stein abgefangen oder ohnehin durch das Kornmarkt-Center verdeckt. Nur zur Tag-und-Nacht-Gleiche hat die Sonne, wenn sie im Westen untergeht, die richtige Position, um durch den Spalt des Sonnentors auf den Basaltstein zu scheinen. Der Fachbegriff lautet übrigens Äquinoktium und bezeichnet den Tag, an dem überall auf der Erde Tag und Nacht gleich lang sind.
Sonnentore waren frühzeitliche Jahreskalender
Für die Kelten und germanischen Stämme, die zu ihrer Zeit die Oberlausitz bevölkerten, dienten Konstrukte wie das Sonnentor dazu, sich im Jahresverlauf zu orientieren - Uhren und Kalender funktionierten in der Antike schließlich nur mithilfe der Sonne. Fiel der Strahl im Frühjahr durch das Sonnentor, war die Zeit zur Aussaat gekommen, im Herbst kündigte der Sonnenstrahl das Ende der Ernte an, erklärt Georgia Brauer.
Natürlich steht das Bautzener Sonnentor nicht seit der Antike auf dem Kornmarkt - errichtet wurde es 2014 im Zuge des Baus des Kornmarkthauses, maßgeblich mitgestaltet von Ralf Herold und Hilmar Hensel von der Sternwarte in Sohland/Spree.
Obwohl das Sonnentor eines der prominentesten Sonnengebilde im Bautzener Raum ist, sind Sonnenheiligtümer in der Region alles andere als ungewöhnlich. Beinahe auf jedem Berg lasse sich eine Felskonstruktion finden, bei der entweder zur Tag-und-Nacht-Gleiche oder zur Sonnenwende die Sonne durch ein besonderes Loch fällt. Zum Beispiel:
- beim Teufelsstein in Pließkowitz (an der Straße "Am Steinbruch")
- beim Teufelsobservatorium auf dem Bieleboh
- beim Totenkopfaltar im Umfeld der Kälbersteine bei Sohland/Spree
- bei "Thors Hammer I." nördlich von Wehrsdorf
Die Sohlander Volks- und Schulsternwarte führt insgesamt 60 dieser Sonnenheiligtümer in der Oberlausitz, viele sind von Sagen umwoben; manche sind natürlichen Ursprungs, bei anderen scheint die menschliche Hand etwas nachgeholfen zu haben.
Georgia und Heinz Brauer wünschen sich, dass dem Bautzener Sonnentor an prominenter Stelle auf dem Kornmarkt etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt würde. Zum Beispiel könnte das Objekt bei Stadtführungen mit erwähnt werden, finden sie.