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Gelingt der Berufseinstieg trotz Corona?

Ob Azubi oder Studentin - irgendwann ist jeder fertig und steigt ins Arbeitsleben ein. Doch funktioniert das auch in Zeiten von geschlossenen Hotels und Kurzarbeit?

Von Luisa Zenker
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Statt A-la-carte-Küche am Bratwurststand: Azubikoch Philipp Lorenz weiß noch nicht, wie seine Zukunft aussieht.
Statt A-la-carte-Küche am Bratwurststand: Azubikoch Philipp Lorenz weiß noch nicht, wie seine Zukunft aussieht. © Jürgen Loesel

Es riecht nach Bratwurst und Speck. Philipp Lorenz steht am Holzkohlegrill in der Dresdner Altstadt. Der junge Mann nimmt mit der Zange eine Bratwurst und steckt sie in ein weißes Brötchen. Noch ein bisschen Senf darauf, eine Serviette drumgewickelt, fertig. "Mir hat Kochen schon immer viel Spaß gemacht."

Vor knapp zweieinhalb Jahren hat er im Dresdner Hilton-Hotel eine Ausbildung zum Koch begonnen. Schnippelte Gemüse, verzierte Süßspeisen und kochte für 200 bis 300 Gäste. Jetzt steht Philipp Lorenz am Rost und brät Würste. Sein Arbeitgeber ist immer noch derselbe, nur die Tätigkeit hat sich verschoben. Hilton Catering steht auf Philipps schwarzer Weste. In wenigen Wochen muss der Lehrling seine Abschlussprüfung absolvieren. Bratwurstbraten reicht dafür nicht aus. Und weil die Restaurants seit Dezember geschlossen haben, wird digital geübt.

Koch Kai-Uwe Klenz schnippelt Lauch in kleine Würfel. "Geht bloß nicht zur Prüfung mit unscharfen Messern." Ein Dutzend Lehrlinge schauen ihm online zu, wie er eine Sülze in der Hilton-Küche vorbereitet. Die Azubis werden es später zuhause ausprobieren.

Köchin Margit Dippmann wird von Dehoga-Geschäftsführer Axel Klein gefilmt. Bei einem digitalen Kochworkshop der Dehoga lernen die Kochlehrlinge, was sie sonst im Berufsalltag ausprobieren könnten.
Köchin Margit Dippmann wird von Dehoga-Geschäftsführer Axel Klein gefilmt. Bei einem digitalen Kochworkshop der Dehoga lernen die Kochlehrlinge, was sie sonst im Berufsalltag ausprobieren könnten. © Jürgen Loesel
Wie bereitet man eine Sülze vor? Das traditionelle Gericht wird jetzt digital gelehrt.
Wie bereitet man eine Sülze vor? Das traditionelle Gericht wird jetzt digital gelehrt. © Jürgen Loesel

Seit September arbeitet Klenz als Chefkoch im Dresdner Hilton. Davor war er in Asien und Osteuropa unterwegs. Das sei ein Traum für viele Gastronomen. Ob Australien oder per Kreuzfahrtschiff über den Atlantik - viele Köche wollen nach der Ausbildung weg, eine Reise durch die Küchenwelt machen, neue Rezepte entdecken. In Corona-Zeiten ist das schlecht möglich. Doch was wird aus den Lehrlingen, die kurz vor dem Abschluss stehen? Wie schnell finden die Berufseinsteiger - ob Azubikoch oder Germanistik-Studentin einen Job?

Es ist schwierig für die jungen Leute. Das zumindest zeigt eine Auswertung der Bundesagentur für Arbeit. "Aktuell sind in Sachsen fast 12.000 unter 25-Jährige arbeitslos gemeldet. Das sind 22,9 Prozent mehr als im Februar 2020", sagt Sprecher Frank Vollgold von der Regionaldirektion Sachsen.

Jeder zwölfte Arbeitslose in Sachsen ist unter 25 Jahre alt

Für den hohen Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit gibt es mehrere Gründe. Erstens: Besonders junge Menschen, welche zuletzt vom Unternehmen eingestellt wurden, müssen häufig zuerst gehen. Zweitens: Durch die Kontaktbeschränkungen können Beratungen kaum genutzt werden. Und drittens: Viele Betriebe stellen zur Zeit vorsichtig oder gar nicht ein. Laut der Plattform Linkedin wurden seit Frühjahr in fast allen Bereichen außer dem Gesundheitssektor weniger Stellen ausgeschrieben. Aber es kommt noch ein weiterer Grund hinzu, warum so viele Jugendliche arbeitslos sind:

Im Vor-Pandemiejahr 2019 wurden 80 Prozent der Azubis übernommen. Sprecher Vollgold von der Arbeitsagentur mutmaßt, dass diese Quote stark gesunken ist. Aktuelle Zahlen liegen dazu noch nicht vor. Diese Prognose schlägt sich bei Koch Philipp bereits nieder. Sein Arbeitgeber, Hoteldirektor Markus Rapatz hat den Azubis angesichts der Situation noch keinen weiteren Vertrag angeboten. Auch Philipps Schulkameraden haben meist keinen Übernahmevertrag.

Und selbst der Übergang vom Schüler zum Azubi gestaltet sich als schwierig. Hoteldirektor Rapatz hat 2020 nur fünf statt 22 Ausbildungsverträge ausgeschrieben. Laut IHK Dresden wurden in Sachsen letztes Jahr 697 Lehrverträge weniger abgeschlossen als im Vor-Corona-Jahr 2019. Zwar gehen die Ausbildungsstellen seit Jahren zurück, doch Corona hat diese Entwicklung beschleunigt. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) warnt vor Perspektivlosigkeit: Gerade junge Menschen, die wegen der Krise keine Ausbildung begonnen haben, könnten auf der Strecke bleiben und nie eine Lehre nachholen.

Akademiker weniger betroffen

Hat Corona auch Auswirkungen auf die akademischen Berufseinsteiger? Schaut man sich die Zahlen an, scheint das nicht der Fall. Nur 170 der knapp 12.000 arbeitslosen Jugendlichen in Sachsen sind Studenten. "Akademiker und Akademikerinnen sind generell weniger von Arbeitslosigkeit betroffen", erklärt Katharina Maier. Sie begleitet Studierende an der TU Dresden beim Berufseinstieg. Seit Corona dauere es aber länger, einen Job zu finden.

Das zeigt sich am Beispiel von Georg Rennert, der Verfahrenstechnik an der TU Dresden studiert. Eigentlich ein vielgesuchter Ingenieursberuf. Seit einem halben Jahr will der 26-Jährige ein Praktikum machen. Was Verfahrenstechnikern sonst leicht fällt, hat vergangenes Jahr lange gedauert. Über 30 Bewerbungen musste Georg Rennert schreiben. Selbst große Unternehmen wie Bosch oder Daimler waren verhalten. "Die suchen sonst dauernd Praktikanten." Nach mehreren Monaten hat der Dresdner einen Platz bei Porsche in Leipzig gefunden. Fehlende praktische Erfahrungen, Prüfungsverschiebungen, digitales Lernen - die OECD warnt vor langfristigen Folgen für junge Berufseinsteiger.

Beraterin Maier von der TU Dresden bleibt optimistisch, was die Akademiker betrifft: "Obwohl es in zahlreichen Unternehmen Einstellungsstopps gibt, dürfte sich die Situation in spätestens zwölf Monaten entspannt haben."

Hotelfachfrau Jenny Neumann sitzt trotzdem an der Rezeption und empfängt Gäste.
Hotelfachfrau Jenny Neumann sitzt trotzdem an der Rezeption und empfängt Gäste. © Jürgen Loesel

Und fragt man die Azubis, sind sie hoffnungsvoll. Jenny Neumann lernt den Beruf Hotelfachfrau im Hilton. In Pandemiezeiten sitzt sie trotzdem an der Rezeption und begrüßt die Geschäftsreisenden. "Ich werd danach schon was finden, irgendwann machen die Hotels ja wieder auf."

Auch die sächsische Arbeitsagentur nennt Zahlen, die hoffen lassen: 35.000 freie Stellen gibt es in Sachsen. Und nicht jede Berufsgruppe leidet. Laut der Karriereplattform LinkedIn sind bestimmte Berufsgruppen stark gewachsen. " Vor allem der Bereich Digital Content verzeichnet eine hohe Nachfrage, da wir alle so viel mehr Zeit online verbringen. An zweiter Stelle steht mit Juristen eine zeitlose Berufsgruppe, die zwar in absoluten Zahlen noch wenige Jobs stellt, aber dennoch 2020 stark gewachsen ist."

Philipp Lorenz steht derweil am Rost und probiert in der eigenen Küche das Handwerk aus. Wo er nach der Ausbildung Gemüse schnippelt, weiß er noch nicht. Kochen will er weiterhin.