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Hausärztin: "Dafür geht niemand arbeiten"

Gabriele Rösler aus Ebersbach kritisiert den neuen Bereitschaftsdienst und die Vergütung. Sie sieht darin einen Grund für den wachsenden Ärztemangel hier.

Von Romy Altmann-Kuehr
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Dr. Gabriele Rösler ist Hausärztin in Ebersbach. Sie kritisiert das Bereitschaftssystem der Kassenärztlichen Vereinigung in Sachsen, an dem sich niedergelassene Ärzte auch finanziell beteiligen müssen.
Dr. Gabriele Rösler ist Hausärztin in Ebersbach. Sie kritisiert das Bereitschaftssystem der Kassenärztlichen Vereinigung in Sachsen, an dem sich niedergelassene Ärzte auch finanziell beteiligen müssen. © Matthias Weber/photoweber.de

Ein ganz normaler Nachmittag in der Hausarztpraxis von Dr. Gabriele Rösler in Ebersbach: Das Wartezimmer ist leer, die Sprechstunde beendet. Die Schwestern sind schon nach Hause gegangen. Feierabend ist für die Ärztin aber noch lange nicht. Patientenakten stapeln sich auf dem Schreibtisch in ihrem Sprechzimmer. Die muss sie alle noch durcharbeiten. Und dann muss sie sich noch mit der Technik beschäftigen: Die Umstellung auf die digitale Patientenakte steht perspektivisch an, dazu muss sie - wie alle Praxen - neue Geräte anschaffen. Eine Investition, die gut überlegt sein will.

Die Arbeitstage in der Praxis dauern oft bis in den späten Abend, erzählt die Hausärztin. Die gestiegene Arbeitsbelastung ist ein Grund, sagt sie, weshalb immer weniger junge Mediziner eine eigene Praxis übernehmen wollen. "Das ist schlicht nicht mehr attraktiv genug", sagt Frau Rösler ganz deutlich. "Viele junge Ärzte lassen sich lieber anstellen oder gehen in ein Krankenhaus." Die Folge: Niedergelassene Ärzte finden kaum Nachfolger.

Und die Bedingungen würden keinesfalls besser. Ein Beispiel, das Gabriele Rösler besonders ärgert: das neue Bereitschaftssystem und die damit verbundene Vergütung der Ärzte. Die Ärzte müssen das System mit finanzieren, gleichzeitig aber auch selbst Bereitschaftsdienste leisten.

Im Frühjahr 2020 hat die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KVS) die Bereitschaftsdienste reformiert. Bereitschaftspraxen in Krankenhäusern wurden neu eingeführt, die gab es zuvor nicht. Die Einzugsgebiete, in denen der jeweils diensthabende Arzt zuständig ist, wurden vergrößert. Gleichzeitig wurden Fahrdienste eingeführt. Der Arzt muss nun während der Bereitschaft nachts oder am Wochenende nicht mehr selbst mit dem eigenen Auto zum Einsatzort fahren, sondern bekommt einen Wagen mit Fahrer gestellt.

Umlage: Ärzte müssen vom Honorar abgeben

Das alles kostet zusätzlich. Zwar beteiligen sich die Krankenkassen an der Finanzierung. Das reicht aber nicht, deshalb müssen die Ärzte ebenfalls einen Beitrag leisten. Das geschieht über einen Fixbetrag von 270 Euro pro Quartal, den die niedergelassenen Ärzte abgeben müssen, bestätigt die KVS auf Nachfrage der SZ. Neu hinzu gekommen ist seit dem vorigen Jahr eine prozentuale Umlage in Höhe von 0,27 Prozent des Honorars, die Ärzte zusätzlich zahlen müssen.

Zusätzlich leisten die Mediziner aber auch noch selbst die Bereitschaftsdienste. Die Bereitschaft setzt ein nach den üblichen Sprechzeiten der Ärzte, also in der Regel abends und nachts sowie an Feiertagen und am Wochenende ganztags. Braucht jemand medizinische Hilfe, rückt der diensthabende Arzt aus. Alle Ärzte müssen Dienste übernehmen, auch niedergelassene Fachärzte. "Vertragsärzte und Medizinische Versorgungszentren sind zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst verpflichtet", so Katharina Bachmann-Bux, Pressesprecherin der KVS.

Seit der Reform des Bereitschaftsdienstes müssen die Ärzte außerdem in den Bereitschaftspraxen in den Kliniken Dienst schieben. "Das nennt sich Sitz-Dienst", so Hausärztin Gabriele Rösler. Eine solche Bereitschaftspraxis gibt es am Krankenhaus in Zittau. Auch dorthin können sich Patienten außerhalb der Sprechstunden ihres Hausarztes wenden und werden vom diensthabenden Arzt behandelt.

Nachwuchsproblem bei Ärzten wächst

Für die Dienste bekommen die Ärzte ein Honorar: 50 Euro pro Stunde. Angesichts des Aufwands und der zu zahlenden Umlage plus Fixbetrag bleibt davon aber nicht viel übrig, kritisiert Gabriele Rösler. Sie rechnet ein eigenes Beispiel vor: Mit zwei jeweils Vier-Stunden-Diensten in einem Quartal in der Zittauer Bereitschaftspraxis hat Frau Rösler 400 Euro als Honorar erhalten. Abführen muss sie den Quartals-Fixbetrag von 270 Euro und zusätzlich die Bereitschaftsdienstumlage. Das sind in dem betreffenden Quartal 121,66 Euro. Rechne sie das auf die geleisteten Bereitschaftsdienste herunter, bleiben 8,34 Euro für die Dienste, die sie zusätzlich zu ihrem Praxisbetrieb gemacht hat. "Wer geht denn dafür am Wochenende beziehungsweise am Feiertag arbeiten?"

Hinzu kommen ja auch noch die Fahrtkosten, so Frau Rösler, nach Zittau zum Krankenhaus und zurück - von ihrem Wohnort in Ebersbach sind das immerhin 50 Kilometer Fahrt pro Einsatz. Besonders unverschämt findet sie, dass die Umlage nicht von dem Honorar aus den Bereitschaftsdiensten errechnet wird, sondern vom Gesamthonorar, dass der Arzt verdient hat - und wovon er auch Angestellte bezahlen, die Praxis unterhalten muss. "Wir zahlen auch noch dafür, dass wir mehr arbeiten."

Da brauche man sich nicht wundern, dass Ärztemangel herrscht, sagt die Ebersbacher Hausärztin. "So lockt man doch niemanden." Frau Rösler sieht in diesem System einen Grund für das zunehmende Nachwuchsproblem. "Ich will nicht jammern, ich mache meine Arbeit sehr gern", betont die Ärztin. Aber Familie und Freizeit kämen in dem Job zu kurz.

Ihrem Unmut hat die Ebersbacher Ärztin Luft gemacht - an oberster Stelle sozusagen. Sie hat eine Beschwerde geschrieben an den Chef der KVS, Klaus Heckemann. Über zwei Monate hat sie auf eine Antwort gewartet. Er verteidigt das System. Durch die Einführung der Bereitschaftspraxen hätten die Ärzte viel mehr Einsätze ableisten müssen, um zusätzlich die Dienste in den Bereitschaftspraxen abzudecken. Also sei es zwingend nötig gewesen, die Einsatzgebiete für den Bereitschaftsarzt zu vergrößern. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten seien die neuen Strukturen sowohl von den Ärzten als auch Patienten gut angenommen worden, teilt Heckemann in seinem Antwortschreiben mit.

Auch das Honorar von 50 Euro pro Stunde schneide im bundesweiten Vergleich gut ab. Auch könne man keinen direkten Bezug zwischen der Umlage und dem Bereitschaftshonorar herstellen. Je nachdem, wie viele Dienste ein Arzt im Quartal ableistet, würde diese Rechnung immer unterschiedlich ausfallen.

Nach dem Nachtdienst fix und fertig

Eine Antwort, die Gabriele Rösler nicht zufrieden stellt. Denn sie weiß: Viele niedergelassene Kollegen in der Region stehen kurz vor dem Ruhestand. Ein Nachfolger ist bei den meisten nicht in Sicht. Die Hautarztpraxis in Neugersdorf beispielsweise schloss vor über einem Jahr, weil die Ärztin in den Ruhestand ging. Seitdem fand sich kein Facharzt, der sie übernehmen möchte. Die nächsten Hautärzte sind nun in Zittau, Görlitz und im Kreis Bautzen. "Und unter solchen Umständen wird das auch nicht besser." Sie habe mit Kollegen gesprochen, die waren nach einem Nachtdienst fix und fertig, erzählt sie, weil sie in dem großen Zuständigkeitsgebiet von einem Einsatz zum nächsten eilen mussten. Und dann geht es morgens um acht in der eigenen Praxis weiter. "Da kriegen wir in den nächsten Jahren noch ein viel größeres Nachwuchsproblem", sagt Gabriele Rösler mit Blick auf solche Umstände und die Honorierung der Bereitschaftsdienste.

Auch sie selbst ist über 60. Arbeiten möchte sie weiterhin, solange es geht und Freude macht, sagt die Ebersbacherin. Doch auch für ihre Praxis steht bislang kein Nachfolger in Aussicht.

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