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Corona-Desaster in Rumänien: Die Pandemie der Ungeimpften

In Rumänien wütet die vierte Corona-Welle in bisher nicht gekanntem Ausmaß. Die Impfquote von knapp 38 Prozent gehört EU-weit zu den niedrigsten.

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Ein überfüllter Corona-Isolationsraum im Universitäts-Notfallkrankenhaus Bukarest.
Ein überfüllter Corona-Isolationsraum im Universitäts-Notfallkrankenhaus Bukarest. © Vadim Ghirda/AP/dpa

Bukarest/Sofia/Prag. "Lasst euch impfen! (...) Gott offenbart sich auch durch die Wissenschaft": Die Botschaft des Pfarrers Valeriu Roscan aus den östlichen Karpaten ging vor Kurzem durch die Medien in Rumänien. In dem EU-Land wütet die bisher schlimmste Corona-Welle. Von rumänisch-orthodoxen Geistlichen ist ein solcher Aufruf eine Seltenheit, denn gerade die Gottesdiener dieser Konfession befeuern hier die Impfskepsis. Nur 37,6 Prozent der Rumänen haben bisher den vollen Impfschutz, im Nachbarland Bulgarien sind es nur 24,8 Prozent. Beide Länder sind damit Schlusslichter in der EU. Auch Deutschlands Nachbarland Tschechien liegt weit hinter dem Westen zurück.

Rumäniens Krankenhäuser sind längst überfordert. 523 Covid-Patienten starben in den letzten 24 Stunden, rund 16.700 Neuinfektionen kamen im selben Zeitraum hinzu. Binnen 14 Tagen wurden zuletzt 999 Fälle pro 100.000 Einwohner gemeldet, eine der höchsten Inzidenzen in der EU. Mit 1.867 Covid-Intensivpatienten wurde ein Rekord verzeichnet. Schwerkranke warten tagelang auf den Korridoren. 47 Covid-Patienten wurden bereits zur Behandlung ins Ausland ausgeflogen. In Bulgarien wird befürchtet, dass es binnen einer Woche auch keine freien Intensivbetten mehr geben werde.

Rumäniens Gesundheitswesen wird seit Tagen mit der Versorgung einer steil anwachsenden Zahl von Covid-19-Patienten kaum noch fertig.
Rumäniens Gesundheitswesen wird seit Tagen mit der Versorgung einer steil anwachsenden Zahl von Covid-19-Patienten kaum noch fertig. © Andreea Alexandru/AP/dpa

Doch prominente Geistliche in Rumänien verteufeln den Impfstoff. Erzbischof Teodosie Petrescu aus der Schwarzmeer-Stadt Constanta behauptet, dass keiner die Verantwortung für die Vakzine trage. Wer sich impfe, "unterschreibt sein Todesurteil", predigt Teodosie Paraschiv, Mönchpriester im nordöstlichen Kloster Durau. Erzbischof Ambrozie ist wegen ähnlicher Botschaften sogar die Staatsanwaltschaft auf den Fersen. Das Patriarchat in Bukarest hat Derartiges bisher zwar missbilligt und disziplinarische Konsequenzen angedroht. Einen klaren Appell zum Impfen gab es aber von der obersten Kirchenführung nicht.

Kirchen für Ungeimpfte offen

Wie jedes Jahr pilgern derzeit Tausende Bukarester zur Reliquie des heilige Dumitru. Zwar tragen sie Masken in den Warteschlangen vor der Patriarchenkathedrale, aber sie nehmen diese ab, um den Schrein mit ihren Lippen zu berühren. Die Regierung hat das erlaubt. Kirchen bleiben auch für Ungeimpfte ohne Testnachweis offen - während Schulen geschlossen wurden und in sonstigen öffentlichen Räumen die 3G-Regel gilt. Mit der einflussreichen Orthodoxen Kirche, zu der sich 86 Prozent der Rumänen bekennen, hat sich bisher noch kein Bukarester Politiker angelegt.

Impfkabinen in Bukarest. In Rumänien sind nur knapp 38 Prozent der Erwachsenen vollständig gegen Corona geimpft, verglichen mit einem EU-Durchschnitt von 74 Prozent.
Impfkabinen in Bukarest. In Rumänien sind nur knapp 38 Prozent der Erwachsenen vollständig gegen Corona geimpft, verglichen mit einem EU-Durchschnitt von 74 Prozent. © Vadim Ghirda/AP/dpa

Meinungsforscher sahen einen Rückgang der Impfbereitschaft während des Sommers. Anfang Mai wollten sich noch 34 Prozent der Befragten impfen lassen - im September waren es nur noch 16 Prozent, ergaben Umfragen des Bukarester Instituts IRES. Ein Grund dafür dürften Signale aus der Politik sein. "Wir haben die Pandemie praktisch gestoppt", sagte Staatspräsident Klaus Iohannis im Juni dieses Jahres, als die Inzidenzen niedrig waren. Erst seit wenigen Tagen stehen die Rumänen wieder Schlange vor den Impfzentren.

Nationalistische Parteien leugnen das Virus

Die Karte des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) zeigt eine deutlich geringere Impfquote im Osten der EU als im Westen. "Es ist, als ob der Eiserne Vorhang noch vorhanden wäre", sagt Milan Kubek, Präsident der tschechischen Ärztekammer. Der Grund: Das Vertrauen der Menschen zum Staat sei in den postkommunistischen Ländern geringer. Erst 66,6 Prozent der Erwachsenen in Tschechien sind vollständig geimpft. Damit liegt Tschechien deutlich hinter dem benachbarten Deutschland, aber ebenso klar vor Rumänien. Dennoch warnte jüngst selbst der Prager Gesundheitsminister Adam Vojtech vor einer "Pandemie der Ungeimpften".

Auch in Bulgarien war wohl die Politik für die schwache Impfquote mitverantwortlich - die Kirche hingegen kaum. Außerparlamentarische nationalistische Parteien wie Ataka (Attacke) und Wasraschdane (Wiedergeburt) leugnen das Coronavirus und machen Stimmung gegen die Impfungen. Parlamentarier der neuen Protestparteien kritisierten die Corona-Maßnahmen der im April abgewählten Regierung als zu streng. Die Werbung für das Impfen ließ über diesen Sommer nach. Hinzu kamen Fake News aus dem Internet.

Angesichts steigender Fallzahlen - zuletzt rund 6.800 binnen 24 Stunden - wurde jetzt in Bulgarien die 3G-Regel eingeführt. "Sollten wir uns weiter als Europas Idioten benehmen und uns nicht impfen lassen, werden wir unsere Wirtschaft und unseren Tourismus stark treffen", warnte der Hauptgesundheitsinspektor Angel Kuntschew. (dpa)