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Corona: Dresden will Bundeswehr anfordern

Die Stadt könnte schon am Freitag zum Corona-Risikogebiet eingestuft werden. Woher die Sozialbürgermeisterin überall Hilfe holen möchte.

Von Sandro Pohl-Rahrisch
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Soldaten werten im Gesundheitsamt Berlin-Mitte Daten zur Corona-Kontaktverfolgung aus. Dresden will auch die Hilfe der Bundeswehr anfordern, wenn die nächste Corona-Schwelle überschritten wird.
Soldaten werten im Gesundheitsamt Berlin-Mitte Daten zur Corona-Kontaktverfolgung aus. Dresden will auch die Hilfe der Bundeswehr anfordern, wenn die nächste Corona-Schwelle überschritten wird. © Archivfoto: dpa/Carsten Koall

Dresden. Die Landeshauptstadt steht kurz davor, als Corona-Risikogebiet eingestuft zu werden. Dies passiert, wenn in den vergangenen sieben Tagen mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner gezählt wurden und die Corona-Ampel damit auf Rot springt. Am Donnerstag lag diese sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz bei 46. Wie ernst ist die Lage und wird Dresden Hilfe von der Bundeswehr anfordern? Die SZ hat am Donnerstag mit Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) und Frank Bauer, dem Leiter des Gesundheitsamtes, gesprochen.

Frau Kaufmann, Dresden hat am Mittwoch die höchste Zahl an Neuinfektionen gemeldet. Wie ernst ist die Lage?

Kristin Kaufmann: Das aktuelle Infektionsgeschehen ist hochdynamisch. Wir müssen davon ausgehen, dass diese Dynamik eine Weile anhalten wird.

Müssen wir am Freitag damit rechnen, dass die Corona-Ampel auf Rot springt und Dresden zum Risikogebiet wird?

Kaufmann: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch.

Wer stuft Dresden zum Risikogebiet ein?

Kaufmann: Das Normativ wurde seitens des Robert-Koch-Instituts (RKI) gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium bei 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb der vergangenen sieben Tage gesetzt.

Das RKI bekommt die Dresdner Zahlen meist etwas später. Das heißt, die Einstufung könnte auch erst einen Tag später passieren?

Kaufmann: Genau. Die Daten des Gesundheitsamtes werden jeden Tag um zwölf Uhr an die Landesuntersuchungsanstalt und von dort an das RKI weitergereicht. Je schneller der Datentransfer erfolgt, desto mehr stimmen die Daten der Stadt, des Landes und des RKI überein.

Herr Bauer, werden die Corona-Regeln verschärft, wenn Dresden die rote Phase erreicht?

Frank Bauer: Ab Samstag gilt die neue Corona-Schutzverordnung des Freistaates. Diese gibt vor, welche Maßnahmen die Kommunen ab 35 und ab 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen ergreifen müssen. Das heißt, wir werden dann eine neue Allgemeinverfügung veröffentlichen. Angenommen, am Freitag würde der rote Bereich erreicht werden, werden wir die Maßnahmen trotzdem schon ergreifen. Denn die Schutzverordnung ist ja bereits durch das Kabinett bestätigt. Außerdem darf die Kommune jederzeit Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz ergreifen. Das müssen wir aber sehr genau prüfen.

Die Landesregierung hat schon ab 35 Neuinfektionen eine Maskenpflicht unter freiem Himmel beschlossen, dort wo der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann, zum Beispiel auf Einkaufsstraßen. Müssen die Dresdner auf der Prager Straße also ab Sonnabend eine Maske tragen?

Bauer: Ja, es kann durchaus sein, dass wir gerade im Innenstadtbereich, wo viele Personen eng beieinander sind, zu diesem Mittel greifen müssen. Aber das regelt dann die städtische Allgemeinverfügung.

Wie sollen die Dresdner erfahren, wo die Maskenpflicht im Freien gilt?

Bauer: Es wird so funktionieren, dass wir die Straßen und Bereiche konkret in der Allgemeinverfügung benennen oder den Geltungsbereich über einen Kartenausschnitt darstellen.

Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann spricht im SZ-Interview über die Belastung im Gesundheitsamt. Die Mitarbeiter würden auf Anschlag arbeiten, sagt sie.
Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann spricht im SZ-Interview über die Belastung im Gesundheitsamt. Die Mitarbeiter würden auf Anschlag arbeiten, sagt sie. © Sven Ellger (Archiv)

Wo stecken sich die Infizierten an? Konnten Sie bisher Schwerpunkte ausmachen?

Kaufmann: Es sind vornehmlich private und familiäre Umfelder, in denen sich die Dresdner aktuell anstecken. Es sind nicht die Kitas und Schulen. Wir sehen aber, dass das Virus zunehmend auch in Gemeinschaftseinrichtungen eingetragen wird. Das sind insbesondere Asylunterkünfte der Kommune und des Freistaates, aber auch Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe oder Pflegeheime. Hier möchte ich an die Verantwortlichen vor Ort appellieren, die erarbeiteten Hygienekonzepte bestmöglich umzusetzen und noch einmal auf Aktualität zu prüfen.

Es gibt zum Beispiel einen Corona-Ausbruch in der Asylunterkunft an der Bremer Straße. Die Erstaufnahmeeinrichtung ist komplett abgeriegelt worden, was für einige Kritik sorgte. War diese Entscheidung verhältnismäßig?

Kaufmann: Die Asylunterkunft besteht aus Leichtbauhallen, nicht aus Wohngebäuden. Insofern ist eine Trennung einzelner Menschen dort nur schwer möglich. Weil dem so ist, blieb dem Gesundheitsamt nur übrig, die gesamte Einrichtung unter Quarantäne zu stellen und Schritt für Schritt die Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch das Personal zu testen. Die Einhaltung der Hygienemaßnahmen obliegt dem Freistaat und dem beauftragten Betreiber.

Aktuell sind drei Pflegeheime betroffen. Wie sieht es dort aus und warum teilt die Stadt nicht mit, in welchen Stadtteilen sie liegen oder welche es konkret sind, so wie bei Schulen und Kitas auch?

Bauer: Wir sind bei den drei betroffenen Pflegeheimen aktuell dabei, die Kontakte nachzuverfolgen. Wir veröffentlichen die Namen der Pflegeheime nicht, denn es gibt einen erheblichen Unterschied zu den Schulen und Kitas. Die Heime sind in privater Trägerschaft. Ohne Zustimmung können wir die Daten nicht veröffentlichen. Wir könnten die Stadtteile oder Postleitzahlengebiete nennen. Aber es gibt einige Stadtteile, die nur ein Pflegeheim haben. Das würde einen Rückschluss auf die konkrete Einrichtung zulassen.

Am Donnerstag sind für den Mittwoch mehr als 40 Fälle nachgemeldet worden. Daraus ergibt sich, dass Dresden bereits am Mittwoch die rote Phase hätte erreichen müssen. Stattdessen zeigte die Ampel aber Orange. Wird durch die Nachmeldung von Fällen – teils über sieben Tage zurück – versucht, die Inzidenz bewusst niedrig zu halten?

Kaufmann: Nein. Es ist richtig, dass wir einen gewissen Nachhang haben. Aber nicht, um die Dresdner Kurve zu flachen, sondern weil wir erstens die mit SarsCov2 infizierten Menschen und ihre Umfelder im Blick haben müssen, zweitens diese isolieren und drittens die Statistik nacharbeiten. Die Kolleginnen und Kollegen des Gesundheitsamtes arbeiten von Montag bis Sonntag durch. Unsere Aufgabe ist es, so schnell wie möglich die Kontakte nachzuverfolgen und Menschen in Quarantäne zu schicken, die unmittelbaren Kontakt zu Infizierten hatten oder selbst infiziert sind. Der Nachtrag von statistischen Daten ist sicherlich genauso wichtig, aber das ist der zweite Schritt. Und ja, Sie haben recht, dass man im Nachgang eine andere Inzidenz haben würde. Damit werden wir aber leben müssen.

Wie sieht die Lage im Gesundheitsamt denn derzeit aus?

Kaufmann: Die Kollegen arbeiten seit März durch. Corona war nie vorbei. Corona ist seit März unter uns. Wir haben seit Ausbruch der Pandemie bis zu 500 Hygienekonzepte bearbeitet. Das machen wir nach wie vor. Dazu kommen die Infektionen. Die Zahlen steigen nicht nur, weil mehr getestet wird, sondern weil das Coronavirus in der Fläche gestreut hat. Das führt dazu, dass wir jetzt weitaus mehr Menschen isolieren müssen als im Frühjahr. Die Kontaktnachverfolgung ist weitaus größer und anspruchsvoller. Insofern bräuchten wir im Gesundheitsamt weitaus mehr Personal, als wir aktuell zur Verfügung haben. Die Kollegen arbeiten auf Anschlag.

Wie lange geht das noch gut?

Kaufmann: Wir sind dabei, die Kollegen durch Abordnungen zu entlasten. Mit vielen Händen, die aber erst angelernt werden müssen. Wir werden auch Hilfe von außen in Anspruch nehmen müssen.

Das heißt, Sie werden die Bundeswehr um Hilfe bitten?

Kaufmann: Wir sind in Kontakt mit der Landesregierung. Von dort gibt es das Angebot, dass man uns unterstützen wird. Auch seitens der Bundeswehr haben wir ein Angebot erhalten und uns verständigt, dass wir uns ab einer Inzidenz von 50 (rote Phase) Unterstützung holen werden. Wir werden auch von der Volkshochschule, die aktuell keine Kurse anbieten kann, Personal erhalten, gegebenenfalls auch deren Räume in der Annenstraße temporär nutzen.

Wie lückenlos ist die Kontaktnachverfolgung überhaupt noch möglich?

Bauer: Es ist eine Herausforderung und zunehmend schwieriger. Das kann man nicht verheimlichen. Gerade private Feierlichkeiten als Infektionsquellen sind sehr personenreich. Da an die Personen heranzukommen, ist schwierig. Wir erreichen sie teilweise gar nicht oder erst später. Dieses Problem nimmt zu.

Die Fragen stellte Sandro Rahrisch.

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