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Görlitzer Epidemiologe entlarvt Corona-Leugnerin

Simone Kuhn hält nichts von Masken, verharmlost Corona. Jetzt entgegnet ihr Roger Hillert vom Medizinischen Labor Ostsachsen.

Von Ingo Kramer
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Dr. Roger Hillert vom Medizinischen Labor Ostsachsen kennt sich mit Viren aus wie kaum jemand anderes in Görlitz.
Dr. Roger Hillert vom Medizinischen Labor Ostsachsen kennt sich mit Viren aus wie kaum jemand anderes in Görlitz. © Nikolai Schmidt

Zum Denkmaltag stießen Besuchern des Schlosses Ober-Neundorf Faltblätter und Videos  gegen die Corona-Auflagen auf. Nun verteidigte Heilpraktikerin und Schlossherrin Simone Kuhn aus Ober-Neundorf im SZ-Interview ihre Ansichten. Sie leugnet schlicht die Corona-Pandemie. Mit ihr nach bundesweiten Umfragen rund 15 Prozent der Bevölkerung. Doch was ist dran an ihren Behauptungen? 

Simone Kuhn ist Heilpraktikerin und Schlossherrin im Schloss Ober-Neundorf. Sie hat eine Diskussion um Corona-Maßnahmen angestoßen. Hier sitzt sie im Schlossgarten.
Simone Kuhn ist Heilpraktikerin und Schlossherrin im Schloss Ober-Neundorf. Sie hat eine Diskussion um Corona-Maßnahmen angestoßen. Hier sitzt sie im Schlossgarten. © Nikolai Schmidt

Die SZ bat Roger Hillert vom Medizinischen Labor Ostsachsen, Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, auf die wichtigsten Behauptungen der Heilpraktikerin zu antworten. Er kennt sich mit Viren aus wie kaum jemand anderes in Görlitz. 

Leben wir derzeit in einer Pandemie oder nicht?

Simone Kuhn hatte erklärt, sie wisse es nicht. Hillert zitiert die Definition für Pandemie aus einem Lehrbuch: Eine Pandemie ist eine Infektionskrankheit, die sich Länder- und kontinentübergreifend ausbreitet, also eine örtlich unbegrenzte Infektionserkrankung. Diese Definition stehe schon in älteren Lehrbüchern, sagt er. Und schlussfolgert: „Wir leben also auf jeden Fall in einer Corona-Pandemie.“

Ist das Tragen einer Stoffmaske sinnvoll oder kontraproduktiv?

Hier hat sich Simone Kuhn eindeutig geäußert: Damit sie Viren wirklich abhält, müsse es eine FFP2-Maske sein. Deren Nutzung aber sei mit vielen gesundheitlichen Risiken verbunden. Hillert sagt: „Die Behauptung, dass das Tragen der Maske unsinnig ist, ist genauso falsch wie die Behauptung, dass die Maske immer vor Ansteckung schützt.“ Es sei erwiesen, dass die Infektionsdosis entscheidend für die Schwere des Krankheitsverlaufs sein kann. Es gebe also Situationen, bei denen die Maske die Viruslast vermindert. Und zwar, wenn viele Menschen auf engem Raum längere Zeit zusammen sind. Deshalb passieren so viele Übertragungen auf privaten Feiern.

Sollte also vorsichtshalber immer eine Maske getragen werden?

Nein, sagt Hillert: „Meiner persönlichen Meinung nach ist das Tragen der Maske im Freien oder im halbvollen Supermarkt überflüssig.“ Andererseits sei es eine kleine Mühe, sie für so einen kurzen Zeitraum aufzusetzen. Und die Nebenwirkungen der Maske seien auch minimal: „Es ist falsch, dass durch das kurzzeitige Tragen einer Alltagsmaske Herzinfarkte oder Schlaganfälle begünstigt werden.“ Eine FFP-2-Maske könne über eine ganze Schicht getragen werden, also acht Stunden. Sie müsse nur ausgetauscht werden, wenn sie durchfeuchtet ist und nicht jede halbe Stunde.

Ist Abstand halten sinnvoller als das Tragen einer Maske?

Das bringt Hillert so auf den Punkt: Ist der Abstand groß, wird die Maske nicht benötigt, ist der Abstand klein, wird sie benötigt.

Ist Corona mit einer einfachen Grippe/Erkältung vergleichbar?

„Nicht dramatisieren, aber auch nicht verharmlosen“, sagt Hillert. Coronaviren seien deutlich ansteckender als normale Influenzaviren. Die Sterblichkeit bezogen auf die Anzahl der Erkrankten sei etwa doppelt so hoch wie bei Influenza, aber immer noch relativ niedrig. Zudem sterben vor allem – aber nicht nur – Menschen über 80 Jahre. Es sei jedoch unethisch, einfach zu sagen, die sterben sowieso bald. Insofern sei es die Hauptaufgabe, die Alten zu schützen – und die Alten müssten sich vor allem auch selber schützen. „Corona ist also mehr als eine einfache Grippe, aber keine Seuche wie die Pest im Mittelalter“, sagt Hillert.

Ist ein funktionierendes Immunsystem der beste Schutz?

Simone Kuhn hatte diese These aufgestellt. Hillert gibt ihr teilweise recht: „Das Immunsystem ist wichtig für den Verlauf der Erkrankung und kann tatsächlich trainiert werden mit gesunder Ernährung, Bewegung an frischer Luft und Stressabbau.“ Der Darm sei ein großes immunologisches Organ und spiele im Konzert des Immunsystems eine wichtige Rolle – wie andere Faktoren auch. „Das Immunsystem ist durchaus stressanfällig“, sagt Hillert – und stimmt an dieser Stelle mit Simone Kuhn überein. Es gebe aber weitere Faktoren, die die Erkrankung beeinflussen, etwa bestimmte Grunderkrankungen, angeborene Immundefekte, Blutgruppenmerkmale und vor allem die Virusmenge, der man ausgesetzt wird. „Also auch ein immer gesund lebender fröhlicher Mensch kann eine schwere Erkrankung kriegen, aber eben seltener“, sagt der Mediziner. Einige Covid-19-Patienten würden gerade an einer überschießenden Immunreaktion sterben. Bei diesen Patienten werde das Immunsystem in der Klinik künstlich heruntergefahren. Die einfache Formel „Sauerkraut essen, Darm sanieren und dann kann nichts passieren“ werde den komplexen Zusammenhängen nicht ausreichend gerecht.

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