Normalerweise wäre Klaus Teuber heute mit seinem Sohn zum Spielen verabredet. Beruflich, versteht sich. Stattdessen nehmen sich Deutschlands erfolgreichste Spiele-Entwickler Zeit für ein Interview. Ihr größter Erfolg, das Brettspiel „Catan“, wurde vor 25 Jahren veröffentlicht und seitdem weltweit über 32 Millionen Mal verkauft.
War es schon immer ihr Traum, Spiele zu entwickeln, Herr Teuber?
Ins Spiele-Entwickeln bin ich blindlings reingerutscht: Anfangs war es
keine Arbeit, sondern Entspannung nach hektischen und frustrierenden
Arbeitstagen im väterlichen Zahnlabor. Die Firma stand vorm Ruin, abends
habe ich mich in den Keller geflüchtet und versucht meinen
Lieblingsgeschichten Leben einzuhauchen. Dann entstand Kontakt zur
Spielszene in Darmstadt – alle waren begeistert. Also habe ich sechs
Verlage angeschrieben, es hagelte Absagen: Nur ein Redakteur fand es
toll.
Das
Knetspiel „Barbarossa“ wurde damals prompt zum „Spiel des Jahres“. Es
ist aber nicht mit dem Erfolg von „Siedler von Catan“ zu vergleichen:
Abgesehen von „Monopoly“ hat sich kein Brettspiel besser verkauft. Was
hat Sie dazu inspiriert?
Für
„Catan“ habe ich mich an Geschichten über Wikinger orientiert, die auf
die offene See fuhren, um neue Länder zu entdecken: Island, Grönland und
Amerika. Ich wollte ein Spiel entwickeln, in dem es ums Entdecken und
Besiedeln geht. Der Rest ergab sich ganz von selbst: Was braucht man auf
einer Insel zuerst? Holz und ein bisschen Nahrung. Zum Schluss hatte
ich einen großen, überdimensionierten Prototypen, den ich auf das
Wesentliche reduzieren musste. So wurde „Catan“ zum ersten Spiel mit
Erweiterungen. Die Elemente von Städte & Ritter und Seefahrer
existierten bereits in meinem Prototyp.
Wann haben Sie bemerkt, dass Sie mit „Catan“ einen Glückstreffer landen?
Die Frage kann am besten mein Sohn beantworten, der war von Anfang an der Entwicklung beteiligt und hat es bereits mit acht Jahren getestet.
Benjamin Teuber: Bei „Catan“ war das Gefühl ein ganz anderes als bei allen Prototypen danach: Wenn wir heute Spiele entwickeln, entdecken wir schnell ein paar Schwachstellen, an denen wir feilen müssen. Es ist die absolute Ausnahme, dass ein Spiel sich gleich von Beginn so hervorragend anfühlt.
Wie sieht der Arbeitsalltag eines Spieleentwickler aus?
Benjamin
Teuber: Vor Corona bin ich einmal die Woche zu meinem Vater gefahren,
um eine Runde zu spielen und mich anschließend mit ihm auszutauschen: An
welcher Stelle müssen wir die Werte verändern? Wo brauchen unsere
Spielfiguren neue Stärken? Wo müssen wir ganz neue Elemente einführen?
So was ergibt sich nur aus dem Spiel heraus. Jetzt fällt das natürlich
alles weg. Gerade stellen wir unsere Arbeit so um, dass wir über das
Online-Tool Tabletopia unsere Prototypen testen und erstellen können.
Wie lange dauert so ein Prozess, bis Sie zufrieden sind?
Klaus Teuber: Es gibt kein Patentrezept für gute Spiele. Das hängt ganz
von der Art des Spiels ab. Gerade arbeiten wir an drei neuen Missionen
für die Neuauflage des Grundspiels „Sternfahrer von Catan“, in dem wir
die Spieler beispielsweise mit einer unzerstörbaren Weltraum-Amöbe vor
ganz neue Herausforderungen stellen. Diese Missionen zu entwickeln, ist
gerade so aufwendig wie sonst ein ganz neues Spiel. Bis alles stimmt,
muss es bis in kleinste Detail getestet werden.
Benjamin Teuber: Unsere erste Testperson ist immer meine Mutter, weil sie gnadenlos ehrlich sein kann. Wenn es schlecht läuft, bricht sie schon während der erste Runde ab, um zwei Waschmaschinen zu füllen. Letztendlich müssen wir uns auf unser Gefühl verlassen: Manchmal kommen wir selbst nach dreißig Entwürfen nicht zum Kern des Problems, dann packen wir das Spiel in eine Schublade und probieren erst mal eine andere Idee aus.
Wie viele Prototypen schaffen es gar nicht erst in diese Schublade?
Klaus Teuber: Etwa 50 Prozent aller Idee müssen wir irgendwann im Papierkorb versenken, auch wenn wir manchmal über vier Jahre an einem Spiel gearbeitet haben. Das ist dann besonders schmerzlich.
Selbst nach über 25 Jahren entwickeln Sie das „Catan“-Universum noch weiter. Wird das nicht irgendwann langweilig?
Klaus Teuber: Es ist nicht so, dass wir nichts anderes gemacht hätten: Wir haben drei Spiele entwickelt, ohne „Catan“ im Titel, doch die waren nicht sonderlich erfolgreich.
Benjamin Teuber: Jedes Jahr erscheinen über 1.000 Brettspiele, in dieser wahnsinnigen Masse kann man schnell untergehen. Mit „Catan“ haben wir eine Marke geschaffen, die immer populärer wird. Nicht nur in Europa, auch in den Staaten. Dafür sind wir sehr dankbar, denn es gibt noch so viele neue Geschichten, die wir über die „Catan“-Welt erzählen wollen.
Klaus Teuber: Da reicht es, wenn mir ein Geo-Heft über die Inkas in die Hände fällt. Ich habe sofort den Impuls, die Geschichten nach dem archaischen „Catan“-Prinzip – Ernten, Handeln, Bauen – umzusetzen.
Und woher kommt die Faszination der Spieler? Was sagen die Fans?
Klaus Teuber: Die soziale Interaktion macht das Spiel so attraktiv. Einige sagen ja, „Catan“ sei ein Glücksspiel. Doch das Würfelpech lässt sich doch durch geschicktes Handeln ausgleichen: Wenn ich zum Beispiel jammere, seit vier Runden keine Rohstoffe bekommen zu, bedauern mich meine Mitspieler und ich bleibe vom Räuber verschont.
Benjamin Teuber: Es macht „Catan“ so besonders, dass wir so einen hohen Interaktionsgrad im Spiel haben. Alle Spieler müssen immer voll dabei sein, denn sie könnten jederzeit Ressourcen bekommen. Das war, als unser Spiel 1995 erschien, noch etwas ganz Besonderes.
Sie gelten als Gründer eines ganz neuen Genres.
Benjamin Teuber: Catan gilt im internationalen Raum als Türöffner für Spiele, die ein bisschen strategischer sind und wo sich trotzdem kein Krieg anzetteln lässt – die sogenannten German-style Boardgames. Das ist übrigens auch die häufigste Fan-Frage: „Wann kommt endlich die Erweiterung mit Krieg?“ Wir müssen dann immer antworten, dass wir das ganz bewusst nicht wollen.
Klaus Teuber: Das war ja das Tolle an den Wikingern – in meiner Vorstellung mussten sie keine Kämpfe führen, um neues Land zu besiedeln: Island stand Pate bei der Entstehung von „Catan“. Die Besiedlung Islands durch die Wikinger lief friedlich ab, da es dort keine Ureinwohner gab. Das kam mir sehr gelegen, denn ein zerstörerisches Spiel war mir von Anfang an zuwider. In „Catan“ ist der Räuber der einzige Störfaktor. Den muss es aber geben, anderenfalls würde die Spieler ihre Rohstoffe horten: Der Räuber ist nichts anderes als ein Regulativ, um sich vom führenden Spieler etwas zurückzuholen und ein Glücksfall für die Dynamik des Spiels – auch wenn er schon Ehen getrennt haben soll. ...
„Catan“ als Scheidungsgrund?
Solche Mails habe ich tatsächlich schon bekommen. Ich habe zurückgeschrieben, dass dann grundsätzlich etwas nicht in Ordnung war und der Räuber das Fass nur zum Überlaufen gebracht hat.
Wie erklären Sie sich, dass Brettspiele im Gegensatz zu allen anderen Branchen der Digitalisierung trotzen?
Benjamin Teuber: Nur beim Brettspiel siehst du das Lächeln auf dem Gesicht deines Gegners. Das ist eine ganz besondere Form von Nähe und Wärme, für die es haptische Elemente braucht.
Klaus Teuber: Sozusagen eine Rückkehr zum Ursprünglichen: die Figuren anfassen, die Gesichter der Mitspieler erleben und nicht nur zu erahnen. Dieses Miteinander wird nie sterben, deshalb sind Videospiele auch keine Konkurrenz für Brettspiele. Computerspiele haben den Brettspielen nichts genommen. Im Gegenteil, der Markt ist sogar gewachsen, durch Corona, aber schon vorher.