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Die Angst im Schweinestall

Es ist kein gutes Jahr für Sachsens Landwirte. Erst drücken Skandale auf Stimmung und Preise, nun bedroht die Schweinepest Existenzen. Ein Stallbesuch.

Von Tobias Wolf
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Seitdem die Afrikanische Schweinepest in Brandenburg aufgetaucht ist, bangen sächsische Schweinehalter um ihre Tierbestände.
Seitdem die Afrikanische Schweinepest in Brandenburg aufgetaucht ist, bangen sächsische Schweinehalter um ihre Tierbestände. © Matthias Rietschel

Ein Zischen, ein Rauschen, ein Quieken. In den ersten Boxen rennen die Schweine los. Akkurat wie die Zinnsoldaten recken die 13 Wochen alten Läufer ihre hungrigen Mäuler in den Trog. Durch die Fenster fällt Tageslicht in den Stall, Neonröhren leuchten jede Box bis in den letzten Winkel aus. Mit wohligem Schmatzen fressen die Jungschweine die Futtermischung. In den anderen Boxen wird es unruhig. Das Schmatzen der einen mischt sich ins erwartungsvolle Grunzen der anderen. In einer Box gegenüber spielen sie noch, ein paar Läufer rennen im Mini-Kreis umher, am Rand der Buchte quittiert ein Schwein das Necken eines anderen mit Quieken.

Immer mehr Druckluftbetriebene Ventile zischen und lassen die Flüssignahrung reihum in die Tröge plumpsen. Nur die Fressgeräusche der rund 500 Tiere in gut 40 Stallboxen sind jetzt noch zu hören und die Lüftungsanlage. Die saugt die Luft so ab, dass es vor den Gebäuden fast mehr nach Landwirtschaft riecht als drinnen. Die Schweine sind vergleichsweise sauber, weil ihr Kot durch Ritzen im Holzboden fällt.

Matthias Döcke, gelbe Gummistiefel über den Jeans, stützt die Arme auf die hüfthohe Wand und guckt auf die rosa Leiber. Der 53-Jährige ist Vorstand der Genossenschaft Agrofarm Herwigsdorf in Rosenbach östlich von Löbau. Die schlechten Nachrichten wollen nicht abreißen. Erst drückten der Corona-Ausbruch und der Skandal um miese Arbeitsbedingungen beim größten deutschen Schlachthausbetreiber Tönnies auf Preise und Stimmung. Dann gab es Proteste von Fridays for Future gegen den Neubau eines Rinderstalls. Nun droht die Afrikanische Schweinepest, den Markt vollends aus dem Gleichgewicht zu bringen. Die Schweinepreise sind im freien Fall, seit dem die Seuche erstmals in Brandenburg nachgewiesen wurde – keine 100 Kilometer von Herwigsdorf entfernt.

Matthias Döcke ist Vorstand der Herwigsdorfer Genossenschaft Agrofarm. Die Afrikanische Schweinepest stellt seine Branche vor große Probleme.
Matthias Döcke ist Vorstand der Herwigsdorfer Genossenschaft Agrofarm. Die Afrikanische Schweinepest stellt seine Branche vor große Probleme. © Matthias Rietschel

Matthias Döcke ist angespannt. In der Agrofarm werden zwischen 27.500 und 30.000 Schweine pro Jahr bis zur Schlachtreife auf 120 Kilogramm Gesamtgewicht gemästet, gut 10.000 Tiere vom Ferkel bis zur Sau stehen gleichzeitig in den Ställen. Rund 500 kommen jede Woche hinzu, genauso viele gehen zum Schlachthof.

Wer in die Anlage hinein will, muss über eine Fußmatte mit Desinfektionsmittel, damit nicht über die Sohlen der Straßenschuhe Viren oder Keime in den Umkleidekabinen der Mitarbeiter landen. Drinnen sind desinfizierte Gummistiefel Pflicht. Alltagskleidung ist tabu. Die müssen die Angestellten gegen grüne Overalls tauschen, die an den Kleiderhaken bereit hängen. „Schon ohne die Schweinepest halten wir hohe Hygienestandards ein, damit die Tiere nicht erkranken“, sagt Döcke.

Etwa 95 Kilo Fleisch bleiben nach der Schlachtung vom Schwein übrig. „Anfang des Jahres gab es noch 1,70 Euro für jedes Kilo“, sagt Matthias Döcke. „Durch Tönnies ging es runter auf 1,47 Euro.“ Den Preisverfall bekämen nur die Mäster zu spüren, an der Kühltheke im Supermarkt ändere sich nichts. Die Afrikanische Schweinepest hat den Preis noch einmal auf Talfahrt geschickt. Seit zwei Wochen steht er unverändert bei 1,27, umgerechnet 120,65 Euro pro Tier. Allein um die laufenden Produktionskosten pro Schwein zu decken, müsste der Preis bei rund 140 Euro liegen. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hatte die Frühjahrspreise am Donnerstag als „ungewöhnlich hoch“ bezeichnet.

Ein Elektrozaun, der nicht schützte

Matthias Döcke zeigt auf die schmatzenden Jungschweine: „Bis sie von der Ferkelaufzucht hier in den Stall kommen, haben sie schon 60 Euro gekostet, das weitere Futter schlägt noch mal in gleicher Höhe zu Buche.“ Dazu Betriebskosten wie Wasser und Heizung, Tierarzthonorare, Abschreibungen. „Wenn man das auf 20 Euro begrenzen kann, ist man richtig gut.“ Hält die Preiskrise an, wird es eng. Und es könnte noch schlimmer kommen. Würde ein Fall von Schweinepest in den Herwigsdorfer Ställen nachgewiesen, müssten alle Tiere getötet und die Kadaver entsorgt werden. Döcke wischt den Gedanken beiseite.

Im November war die für Schweine tödliche Seuche noch 70 Kilometer vom Freistaat entfernt. Sachsen übte damals ein Ausbruchsszenario. Seit März gibt es einen Elektrozaun an der polnischen Grenze, der mit Duftstoffen und optischen Reizen das Wanderungsverhalten der Wildschweine beeinflussen soll. Offenbar erfolglos. In Brandenburgs Landkreisen Oder-Spree und Spree-Neiße sind bislang 29 verendete Tiere entdeckt worden.

China, größter Abnehmer von Schweinefleisch außerhalb der EU, Südkorea, Japan, Brasilien und Argentinien haben deshalb deutsche Schweinefleisch-Importe verboten. China ist für deutsche Schweinezüchter und Schlachthöfe deshalb wichtig, weil dort Preise zwischen vier und fünf Euro erzielt werden, sagt Döcke. „Es ist doch ein Witz, dass in China mehr für das Fleisch bezahlt wird, als in Deutschland, obwohl die Gesellschaft dort ärmer ist.“

Gesetzliche Vorgabe für die konventionelle Stallhaltung sind 0,75 Quadratameter pro Schwein, im alten LPG-Stall seien es mit 0,83 Quadratmeter etwas mehr, so Döcke.
Gesetzliche Vorgabe für die konventionelle Stallhaltung sind 0,75 Quadratameter pro Schwein, im alten LPG-Stall seien es mit 0,83 Quadratmeter etwas mehr, so Döcke. © Matthias Rietschel

Deutsche Verbraucher würden die Preise mit ihrem Einkaufsverhalten sehr niedrig halten, konsumierten aber gleichzeitig eher edle Fleischteile wie Filets, Nacken, Rücken, Hüfte oder Schulter. Chinesen kauften sehr viel von dem, was hier so gut wie nicht mehr auf den Teller kommt: Pfoten, Ohren, Schwanz, Rüssel. Gute Exporterlöse würden helfen, am Ende heimische Preise zu stabilisieren, sagt Döcke. China ist auch deshalb zum größten Abnehmer weltweit geworden, weil das Land selbst von der Schweinepest heimgesucht wurde und seit 2018 Millionen Schweine getötet werden mussten. Direkt ins Ausland verkaufen die Herwigsdorfer ihre Schweine nicht, das übernehmen im Regelfall große Schlachtbetriebe wie Tönnies, sagt Döcke.

Durch einen langen Gang mit Futterrohren, Heizungsleitungen und Schaltkästen geht es zum nächsten Stall. Vor der Tür eine große Schüssel mit Desinfektionslösung für die Stiefel. Auch von Stall zu Stall soll sich keine Krankheit ausbreiten können. Die Tiere hier grunzen tiefer und sind deutlich älter. In den nächsten Tagen sollen sie zum Schlachthof transportiert werden.

Auch dafür gelten strenge Regeln. Die Lkws fahren durch Wannen mit Desinfektionsmittel, damit keine Keime über die Reifen eingeschleppt werden. Döcke macht nicht so sehr nervös, dass es einen Ausbruch in den Ställen geben könnte, sondern dass in der Umgebung Wildschweine mit der Seuche gefunden werden. Dann gibt es Sperrzonen, in denen Schweine gar nicht mehr oder nur mit Sondergenehmigung transportiert werden dürfen.

Wohin mit den vielen Schweinen?

„Wenn Schweine stehen bleiben würden, wäre das eine Katastrophe“, sagt Döcke, der eine weitere Zuspitzung der Lage befürchtet. Ein Drittel der Jahresproduktion wird Döcke zufolge regional vermarktet über die Erzeugergemeinschaft Qualitätsfleisch, der größere Teil der Tiere geht an den Tönnies-Schlachthof im anhaltischen Weißenfels, dessen Einzugsgebiet bis nach Mecklenburg-Vorpommern reicht.

Frank Bennewitz ist Geschäftsführer der Erzeugergemeinschaft aus Klipphausen bei Wilsdruff. Manche Mitglieder lieferten 1.000 Tiere im Jahr, andere 40.000. „Die wegen der Funde in Brandenburg wegbrechenden Exporte nach China, Hongkong und Südkorea bereiten uns große Probleme“, sagt der 64-Jährige. Das daraus entstehende Überangebot müsse irgendwo hin. Nur in die EU kann noch exportiert werden. Der Grad der Selbstversorgung liege im Freistaat bei 42 Prozent, sagt Bennewitz. „Das deckt bei weitem nicht den Schweinefleischbedarf der Sachsen.“ Regionale Großhändler oder Fleischereibetriebe stabilisierten das Geschehen derzeit. Unter der Marke Sachsenglück vertreibt die Erzeugergemeinschaft Schweine, deren Futter zu 70 Prozent aus heimischem Anbau kommt. Die Jungtiere müssen aus Sachsen oder angrenzenden Bundesländern kommen. „Aber selbst wir haben Probleme in der Abnahme“, sagt Bennewitz. „Weil es keine nennenswerten Schlachthöfe gibt und wir auf Betriebe außerhalb angewiesen sind.“ Es gebe Gespräche mit dem Landesbauernverband, wieder einen größeren Schlachthof einzurichten.

18 Ställe für je um die 500 Tiere hat die Genossenschaft.
18 Ställe für je um die 500 Tiere hat die Genossenschaft. © Matthias Rietschel

Bennewitz hofft wie alle in der Branche auf die Bundesregierung, die versucht, die Importverbote in Asien zu lockern. Bennewitz beklagt, dass nicht zwischen Wild- und Hausschweinen differenziert werde und dass ein Ausbruch in Brandenburg den Importstopp für ganz Deutschland bedeutet. Im schweinepestfreien Brasilien haben sich die Inlandspreise für Schweinefleisch von Ende April bis Mitte September verdoppelt, weil mehr in den Export nach China geht.

Matthias Döcke läuft durch den Gang zwischen den Ställen und telefoniert. Er hat später noch einen Termin wegen des Kuhstallneubaus. Ein paar Details sind zu klären. Dann will er noch einmal nach den Jungschweinen schauen. Der Maschinenbauingenieur, der auf einem Bauernhof im benachbarten Ebersdorf aufgewachsen ist, weiß, wie sehr seine Branche in der Kritik steht, und dass er bei Tierschützern als Massentierhalter gilt. Masse macht angreifbar. 18 Ställe für je um die 500 Tiere hat die Genossenschaft, damit die Aufzucht lückenlos erfolgen kann und jede Woche an den Schlachthof geliefert werden kann.

Kein Mitgefühl für Schweinemäster?

Die Demonstration von Fridays for Future im August richtete sich gegen den Neubau des Rinderstalls für 870 Tiere und die Melkanlage für eine Jahresproduktion von sechs Millionen Liter Milch. Dass dafür drei Uraltställe geschlossen werden, habe niemanden interessiert, sagt Döcke. „Die Masse der Menschen interessiert sich nicht, wie Lebensmittel entstehen, das war früher auch schon so.“ Da herrsche eine gewisse Doppelmoral. Jetzt sei das für Teile der Gesellschaft ein Politikum und man könne Wählerstimmen damit bekommen.

Richtig sauer wird Döcke, wenn er Kommentare liest, in denen es angesichts der Schweinepest heißt: Schweinemäster hätten kein Mitgefühl verdient. So etwas regt ihn auf, das nimmt er persönlich. Klar, es gebe schwarze Schafe in der Branche, solche Angriffe habe es aber früher nicht gegeben. Das mache ihn immer wieder perplex. „Es ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich Mühe geben, ordentlich zu wirtschaften“, sagt Döcke. „Was wir machen, entspricht den gesetzlichen Vorgaben.“ Regionalität sei auch ein Wert und vielleicht wichtiger als die Biohaltung.

Die Schweinezucht ist auf zwei große Stallanlagen verteilt. Die Herwigsdorfer Anlage, in der nach dem Fressen für einen Moment Ruhe eingekehrt ist, ist 1967 für die Mast von 6.000 Schweinen in Betrieb gegangen. Zu DDR-Zeiten teilten sich mehrere Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) die Anlage. „Das wurde seither ein paar Mal umgebaut, um mehr Platz für die Tiere zu schaffen. Höchstens 4.800 würden hier noch eingestallt.

Matthias Döcke hat kein Problem mit Verbesserungen bei der Tierhaltung. „Aber die Rahmenbedingungen müssten dann auch für alle gelten“ , sagt Matthias Döcke. „Das ist sicher eine schmerzvolle Phase für uns."
Matthias Döcke hat kein Problem mit Verbesserungen bei der Tierhaltung. „Aber die Rahmenbedingungen müssten dann auch für alle gelten“ , sagt Matthias Döcke. „Das ist sicher eine schmerzvolle Phase für uns." © Matthias Rietschel

Gesetzliche Vorgabe für die konventionelle Stallhaltung sind 0,75 Quadratameter pro Schwein, im alten LPG-Stall seien es mit 0,83 Quadratmeter etwas mehr, so Döcke. In der neueren Anlage im acht Kilometer entfernten Eiserode habe jedes Schwein einen Quadratmeter zur Verfügung. Produziert wird im „geschlossenen System“. Das bedeutet, dass von der Besamung der Säue über die Ferkelaufzucht bis zur Mast alles in einem Betrieb passiert und keine langen Zwischentransporte stattfinden.

Der Zeitgeist habe sich gewandelt, sagt Döcke. Vor zehn oder 20 Jahren hätte der Betrieb womöglich noch als besonders effizient und nachhaltig gegolten. Die Gülle der Tiere landet zusammen mit Maissilage in einer Biogasanlage. Mit dem Gas wird ein Blockheizkraftwerk betrieben, das die Ställe beheizt und Strom ins öffentliche Netz einspeist.

Die Genossenschaft baut Weizen, Gerste und Raps für die Futtermischung von Schweinen und Rindern selbst an, Sojaschrot kommt wegen des hohen Eiweißgehalts im eigenen Mischwerk dazu sowie Mineralstoffe, Vitamine und Spurenelemente. Die Mischung wird über Rohre bis in jede Box gepumpt. Mit Tabletcomputern kann die Futtermenge an Hunger und Menge der Schweine angepasst werden.

Schnelle Zeitgeistwechsel? Nicht drin.

Nach der Wende habe niemand die Mastanlage haben wollen, weil Schweinehaltung kaum mehr Erträge brachte. Erhielt die LPG davor noch 1.000 DDR-Mark pro Tier, fiel der Preis mit der Währungsunion auf 100 bis 150 D-Mark, erinnert sich Döcke. „Man hat nur Verluste gemacht, du hast an jedes Schwein noch Geld gebunden. Das war eine Situation wie in den Industriebetrieben.“ In strukturschwachen Regionen wie der Oberlausitz ist der Zusammenbruch ganzer Wirtschaftszweige bis heute zu spüren. Die Agrargenossenschaft überlebte und ist mit 70 Angestellten und zehn Lehrlingen größter Arbeitgeber und Steuerzahler in der Gemeinde.

Matthias Döcke hat kein Problem mit Verbesserungen bei der Tierhaltung. „Aber die Rahmenbedingungen müssten dann auch für alle gelten“ , sagt Matthias Döcke. „Das ist sicher eine schmerzvolle Phase für uns, manche sagen vielleicht, das packe ich nicht mehr, aber das reguliert dann wieder den Markt insgesamt.“ Am Ende müsse es finanziell stimmen, damit man Ausläufe bauen, damit sich die Schweine mehr bewegen können oder um Stroh einzustreuen. „Wir planen 20 Jahre im Voraus, weil die Abschreibungen lange laufen.“ Schnelle Zeitgeistwechsel seien da nicht drin.

Döcke ist wieder bei den kleinen Schweinen angekommen. Eins springt am Gatter hoch, guckt ihn an, vier stehen daneben und grunzen leise. Wenn die Schweinepest nicht zu nahe an die Ställe kommt, dann treten sie ganz normal den Weg zum Schlachthof an.