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Justizposse wegen einer fehlenden Unterschrift

Im Jahr 2019 wurde das Urteil von Intensivtäter Ammar R. kassiert – und für einen neuen Prozess in Dresden fehlt das Personal.

Von Alexander Schneider
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Wachtmeister bringen am Dienstag Ammar R. in den Saal des Landgerichts Dresden..
Wachtmeister bringen am Dienstag Ammar R. in den Saal des Landgerichts Dresden.. © Alexander Schneider

Er hat fast 1.000 Tage in Untersuchungshaft gesessen, doch wann er seine Strafe je verbüßen muss, steht in den Sternen. Ammar R., ein 28-jähriger Deutsch-Iraker aus Dresden und Dauerklient von Polizei und Justiz, sollte sich am Dienstag wieder einmal in einem Prozess vor dem Landgericht Dresden verantworten. Doch das schnelle Ende dieser Hauptverhandlung offenbart die Probleme der Strafverfolgung am Landgericht Dresden. Aufgrund der angespannten Personalsituation ist die zuständige Kammer nicht in der Lage, das Hauptverfahren gegen R. vor Herbst 2021 durchzuführen, möglicherweise erst 2022. So begründete der Vorsitzende Richter Christian Linhardt die Aussetzung der Verhandlung.

Bis Dienstag hatte das Gericht gehofft, die Sache schnell mit einer Verfahrensverständigung, einem sogenannten Deal, auskehren zu können. Denn die hier angeklagten Taten hatte bereits ab 2017 eine anderen Kammer des Landgerichts verhandelt. Der damals 25-jährige Ammar R. wurde am 30. April 2018 unter anderem wegen bandenmäßigen Handels mit Drogen, sexueller Nötigung und Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt. Doch das Urteil wurde nicht rechtskräftig.

In einem Revisionsverfahren kassierte der Bundesgerichtshof (BGH) das Verfahren im Februar 2019 – aus formalen Gründen. Es fehlte die Unterschrift eines Richters, der inzwischen zur Staatsanwaltschaft gewechselt war. Nach Angaben von Insidern habe das Landgericht zwar geprüft, ob der Beisitzer als Proberichter aufgrund seiner neuen Verwendung das Urteil unterschreiben muss, sei aber zu einem anderen Ergebnis als der BGH gekommen.

Bruder rappt in "KMN-Gang"

So weit, so schlecht. Nach knapp drei Jahren wurde R. sofort aus der U-Haft entlassen – obwohl der umtriebige Mann parallel in einem zweiten Prozess vor dem Landgericht Dresden stand. Auch ein spektakulärer Fall, denn mit Ammar R. mussten sich auch sein Bruder „Nash“, er ist Rapper der „KMN-Gang“, und weitere Leute aus dem Umfeld der bekannten Rapper-Gruppe verantworten. Im Juni 2019 wurde R. wegen Handels mit 20 Kilo Marihuana und Führens einer scharfen Pistole zu dreieinhalb Jahren verurteilt. Sein Bruder Nash wurde freigesprochen. Der Prozess fand vor derselben Kammer statt, die sich nun mit dem vom Bundesgerichtshof zurückgewiesenen Fall zu befassen hat.

„Wir kennen uns ja schon“, sagte Richter Linhardt daher gestern zu Ammar R. Es war ein kurzes Treffen. Nachdem der Staatsanwalt die Anklagen verlesen hatte, berichtete der Vorsitzende über den Verfahrensgang – und den gescheiterten Versuch, eine Verfahrensabsprache zu treffen. R. wird nun von drei Anwälten verteidigt. Seine Wahlverteidigerin Katja Reichel sagte der SZ, nach dem aktuellen Verfahrensstand sei eine schnelle Einigung nicht das Ziel ihres Mandanten. Das hänge einerseits mit der sogenannten Gesamtstrafenbildung für die bereits erfolgten Verurteilungen zusammen – und andererseits mit neuen Ermittlungsverfahren.

Denn Ammar R. war offenbar wieder mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, nachdem er vom BGH auf freien Fuß gesetzt wurde. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen versuchten Totschlags – R. soll im Sommer 2019 einen Mann in einer Shisha-Bar mit einem Messer verletzt haben – und wegen Handels mit Drogen im großen Stil. Dieses Mal geht es um Crystal im Kilobereich.

Neue Crystal-Ermittlungen

Offenbar ist R. unter Tausenden Verdächtigen, die für ihre Taten den hochverschlüsselten Messenger „Encro Chat“ verwendet hatten, der 2020 in Frankreich geknackt wurde. So geriet R. mit vielen mutmaßlichen Drogendealern aus dem Raum Dresden und Leipzig ins Visier sächsischer Fahnder. Im Januar fanden Durchsuchungen statt. Gegen R. ermittelt wieder die Abteilung für Organisierte Kriminalität der Staatsanwaltschaft Dresden.

Der Vorsitzende Richter Linhardt sagte, seine Kammer sei derzeit mit mehreren Großverfahren ausgelastet. Ab Mai müsse sie auch noch Haftsachen übernehmen – es sei daher nicht möglich, den Prozess gegen R. über mindestens 20 Sitzungstage zu verhandeln: „Das wäre nur mit einer Verständigung zu erreichen gewesen.“ Weil Verfahren mit inhaftierten Angeklagten vorgehen, rückt R.s Neuverhandlung in die Ferne. Eine Lösung könnten jedoch die neuen Crystal-Ermittlungen sein. Wenn die Anklage vorliegt, könnte man beide Verfahren zusammen verhandeln. Und das alles wegen einer fehlenden Unterschrift.