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Der Clan und die Dresdner Juwelen

Die Angeklagten im Prozess um den Juwelen-Diebstahl im Grünen Gewölbe gehören einer arabisch-stämmigen Großfamilie an. Sie sind nicht erst seit dem Goldmünzen-Fall bekannt.

Von Karin Schlottmann
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In dieser Wohnung der Familie Remmo in Berlin-Neukölln sowie in einem guten Dutzend weiterer Wohnungen in der Hauptstadt suchte die Polizei Ende 2020 nach Tätern, Beweisen und dem Schmuck.
In dieser Wohnung der Familie Remmo in Berlin-Neukölln sowie in einem guten Dutzend weiterer Wohnungen in der Hauptstadt suchte die Polizei Ende 2020 nach Tätern, Beweisen und dem Schmuck. © www.imago-images.de

Dresden. Am Mittag nach dem Einbruch in das Grüne Gewölbe, als in Dresden noch alle Fragen um den verlorenen Schmuck kreisten und die Aufregung noch lange nicht abklingen sollte, hatte Volker Lange einen konkreten Verdacht. "Das ist ein großer Fall", sagte der damalige Chef der Kriminalpolizei gelassen. Das Tatmuster des Einbruchs weise in die Hauptstadt. Die Berliner Polizei sei informiert.

Lange beließ es an diesem Tag bei seiner Andeutung. Aber wie viele seiner Kollegen dürfte ihn der Fall in Dresden sofort an den Diebstahl der Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum erinnert haben. Die Handschrift der Täter weist eine Reihe von Ähnlichkeiten auf. Das 100 Kilogramm schwere Ausstellungsstück verschwand am 27. März 2017 aus einer zertrümmerten Vitrine des Museums. Hier wie dort hatten die Diebe die Schwachstellen erkannt und geschickt ausgenutzt. Die Riesen-Münze aus reinem Gold, Wert 3,3 Millionen Euro, ist längst eingeschmolzen und Stück und Stück verkauft worden. Das vermuten nicht nur die Richter des Landgerichts Berlin. Die Sache wird trotz der Verurteilung ein gutes Geschäft für die Täter und womöglich Ansporn für den nächsten Museums-Coup in Dresden gewesen sein.

Jugendstrafe für den Diebstahl von Maple Leaf

Zwei Mitglieder der arabisch-stämmigen Großfamilie Remmo, die Cousins Wissam (25) und Ahmed (22), wurden wegen des Diebstahls der Goldmünze zu Jugendstrafen von je viereinhalb Jahren verurteilt. Der mitangeklagte Wachmann erhielt drei Jahre und vier Monate Haft.

Wenn es zutrifft, was die Dresdner Ermittler herausgefunden haben, könnten die Münz-Diebe auch für das Verschwinden der Juwelen aus Sachsens Schatzkammer verantwortlich sein. Fast genau ein Jahr nach dem Einbruch nahm die Polizei nach akribischer Spurensuche die ersten drei Beschuldigten fest – darunter auch der 25-jährige rechtskräftig verurteilte Goldmünzen-Dieb aus dem Remmo-Clan. Wissam, den die Soko für einen der Haupttäter hält, sowie zwei seiner Cousins wurden bei einem der größten Einsätze der Dresdner Polizei in Berlin festgenommen. Auch Ahmed und zwei weitere Beschuldigten sitzen inzwischen in Untersuchungshaft.

Mit Angehörigen der arabisch-stämmigen Familie Remmo haben Polizei und Justiz in Berlin nicht erst seit dem Goldmünzen-Fall zu tun. Einige Angehörige haben ein langes Strafregister. Die Verurteilungen wegen Einbrüchen, Überfällen, Körperverletzung, Drogenhandel, Erpressung, Raub, Hehlerei und Totschlag sind Thema in den Berliner Medien. Mitte 2018 beschlagnahmten die Behörden 77 Immobilien im Wert von neun Millionen Euro wegen des Verdachts der Geldwäsche. Dafür, dass Clan-Mitglieder offiziell nur über ein geringes oder gar kein eigenes Einkommen verfügen, haben es einige zu beträchtlichem Reichtum gebracht.

Ein Clan mit bis zu 1.000 Angehörigen

Auch Wissam und Ahmed Remmo waren schon in jungen Jahren gerichtserfahren. Bis zum Einbruch in das Bode-Museum verhängte die Justiz Sanktionen wie Jugendarrest, Freizeitauflagen, Dauerarrest und Führerscheinentzug. In der Schule lief es für die Cousins nicht gut. Die beiden hingen in ihren langen Auszeiten oft miteinander herum. Sie brachen eine Wohnung auf, stahlen teure Elektrogegenstände aus einem Laden oder tankten, ohne zu bezahlen. Beim ersten größeren aktenkundigen Einbruch – ein Stahlschrank in einer Apotheke mit einem größeren Geldbetrag – war Wissam 19 Jahre alt.

Bis zu 1.000 Angehörige sollen zur Familie Remmo – oder Rammo, wie manche Medien sie nennen, – gehören. Nicht alle sind Straftäter. Für die Öffentlichkeit und die Behörden ist Clankriminalität erst seit einigen Jahren ein großes Thema, obwohl das Phänomen älter ist. Ihre regionalen Schwerpunkte sind neben Berlin die Städte Essen, Bremen und Hamburg. Das Bundeskriminalamt zählt sie zur Organisierten Kriminalität. Dort spricht man von "Kriminellen Mitgliedern ethnisch abgeschotteter Subkulturen". Die Abschottung und die starke Loyalität zur Familie sind wichtige Merkmale, denn sie erleichtern die Beutezüge und erschweren die Strafverfolgung. Es ist diese Struktur, die die Clankriminalität zu einer besonderen Bedrohung macht.

Knapp ein Jahr nach dem Kunstdiebstahl im Dresdner Grünen Gewölbe hatte die Polizei im November 2020 in Berlin drei Tatverdächtige festgenommen.
Knapp ein Jahr nach dem Kunstdiebstahl im Dresdner Grünen Gewölbe hatte die Polizei im November 2020 in Berlin drei Tatverdächtige festgenommen. © Paul Zinken/dpa

Hinweise auf Clankriminalität sind laut BKA ein erkennbares Maß von Gewaltbereitschaft, Bedrohungen und Mobilisierung mithilfe von Gruppen, das Provozieren von Eskalationen auch durch nichtige Anlässe, räumliche Konzentration, mangelnde Integrationsbereitschaft sowie die starke Ausrichtung auf patriarchalisch-hierarchische Familienstrukturen. "Es handelt sich um Organisierte Kriminalität mit einem ausgeprägten Eroberungsanspruch", formuliert es ein Wissenschaftlerteam aus Essen.

Revierkämpfe gehören zum Erscheinungsbild

Clankriminalität, das ist nicht nur Verbrechen, sie umfasst bereits niedrigschwellige Rechtsverstöße wie Ordnungswidrigkeiten, Kinder- und Jugendkriminalität sowie Allgemeinkriminalität, heißt es in einem Lagebericht des Berliner Landeskriminalamts. Tumulte, also Fälle eskalierender Gewaltdelikte, ausgelöst durch rivalisierende beziehungsweise untereinander streitende Clans, gehören auch zum Repertoire. Anfang des Jahres ermittelte die Polizei wegen heftiger Revierkämpfe zwischen Mitgliedern des Remmo-Clans und einer Gruppe Tschetschenen, die mit Schlagstöcken und Messern auf öffentlichen Straßen ausgetragen werden.

Der Berliner Khalil O., der früher selbst zu einer kriminellen Großfamilie gehörte, erklärt in seinem Buch "Auf der Straße gilt unser Gesetz", wo seiner Ansicht nach die Ursachen für viele kriminelle Karrieren zu suchen sind. Fast alle Taten Berliner Clans gingen auf die Fehde zweier Dörfer zurück, schreibt er. "Ich habe Onkel, die laufen hier mit einer scharfen Knarre rum, weil vor hundert Jahren jemand aus unserer Familie jemanden aus einer anderen Familie umgebracht hat. Noch heute kann es jederzeit passieren, dass dafür einer von denen einen von uns umlegt. Egal wen, Hauptsache einen aus der gleichen Familie. Das nennt man Blutrache."

Die Remmos sind deutsche Staatsangehörige, sie gehören zur Volksgruppe der arabisch-sprachigen Mhallami, die ihren Ursprung in Südostanatolien hat. Ihre Herkunftsorte liegen in der Provinz Mardin. Als Wirtschaftsflüchtlinge zogen einige der Familien in den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in den Libanon. Sie lebten dort genauso wie in der Türkei unter prekären Lebensverhältnissen. Nach Ausbruch des Bürgerkrieges 1975 flohen sie in die Bundesrepublik. Ungehindert kamen sie von Ost-Berlin nach West-Berlin, beschreibt der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban in seinem Buch "Arabische Clans" die Entwicklung.

Die Familie ist alles

Anfangs unterlagen sie in Deutschland einem Arbeitsverbot. Doch auch später, in den 1980er Jahren, als sich ihr Aufenthaltsstatus verbesserte, erwies sich die Integration als schwierig. Die Familie ist alles, die Regeln des Staates haben keine Bedeutung, schreibt Ghadban. Konflikte werden intern geklärt. Geheiratet wird innerhalb des Clans. Die familiären Bindungen wirken von außen betrachtet wie ein Bollwerk gegen Polizei und Justiz. "Die Mhallamis blieben am Rand und betrachteten die Gesellschaft als Beutegesellschaft".

Der deutsche Staat genießt beim kriminellen Teil des Clans wenig Autorität. Der Einbruch in das Grüne Gewölbe in Dresden geschah parallel zu dem laufenden Strafverfahren in Berlin um den Diebstahl von "Big Maple Leaf", der kanadischen Münze. Das Gericht hatte die Angeklagten damals nach einigen Monaten von der weiteren Untersuchungshaft verschont. Ob ihnen der Einbruch ins Dresdner Schloss nachgewiesen werden kann, werden die nächsten Monate zeigen. Eine Verurteilung wäre jedenfalls ein weiterer Beweis dafür, dass der öffentlichkeitswirksame Strafprozess wenig Eindruck bei Wissam und Ahmed R. hinterlassen hat.

Die Familie hat im Umgang mit der Justiz dazugelernt. Anders als früher gehe es in den Strafprozessen inzwischen sehr viel ruhiger zu, berichtet der Berliner Staatsanwalt Thomas Schulz-Spierohn in einer Dokumentation des TV-Senders 3sat über den Fall des gestohlenen Goldstücks. In ihrem Prozess hätten sie nur gesprochen, wenn sie von ihren Verteidigern ausdrücklich dazu aufgefordert wurden. Da sei früher anders gewesen. "Da wurde wild durcheinander geschrien, da ist das Gericht bedroht worden, da bin ich bedroht worden." Jetzt säßen sie Monate brav auf ihren Plätzen, "als hätten sie kein Wässerchen getrübt."

Der Juwelen-Diebstahl - zwei Jahre danach

Zum Einbruch in das Grüne Gewölbe veröffentlicht Sächsische.de in dieser Woche eine Mini-Serie. Bereits erschienen:

Was in Kürze noch erscheint:

  • Die Beute: Die Suche nach den Schätzen aus dem Grünen Gewölbe