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"Bei dem Anruf ist mir ganz anders geworden": Rechtsextremist veröffentlicht Adresse von Dresdner Lokalpolitiker

Lokalpolitiker in Dresden werden bundesweit am häufigsten angefeindet. Auch Lutz Hoffmann erlebte das. Warum er sich trotzdem nicht zurückziehen will.

Von Connor Endt & Moritz Schloms
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Lutz Hoffmann im November 2022. Damals organisierte er die Konzert-Aktion "Weihnachten vor der Haustür".
Lutz Hoffmann im November 2022. Damals organisierte er die Konzert-Aktion "Weihnachten vor der Haustür". © Christian Juppe

Dresden. Als Lutz Hoffmann (SPD) am 13. Februar bei einer Anti-AfD-Demo ist, ahnt er nichts Böses, als er an sein Handy geht. Am Telefon ist ein Unbekannter, er droht: "Es ist ein großes Unglück passiert, fahr doch mal nach Hause." So erzählt es Hoffmann, Stadtbezirksbeirat in der Dresdner Altstadt, etwa eine Woche nach dem Vorfall am Telefon.

"Bei diesem Anruf ist mir ganz anders geworden, denn ausgerechnet an dem Tag war meine Freundin mit den Kindern bei mir zu Hause." Der 41-Jährige sagt den Polizisten auf der Demo Bescheid, schnappt sich ein Leihfahrrad und rast nach Hause. "Bei mir vor der Tür sah ich dann aus der Entfernung mehrere schwarz gekleidete Gestalten." Als Hoffmann auftaucht, seien die Männer verschwunden.

Was war passiert? Der Rechtsextremist Max Schreiber hatte ein Bild von Hoffmann in seiner Gruppe mit etwa 4.400 Followern gepostet. Dazu schickte er die Nachricht: "Ein Deutschlandhasser, wie er im Buche steht." Und: "Sicherlich freut er sich über ein Feedback für sein politisches Engagement." Angehängt waren die Telefon-Nummer, E-Mail-Adresse sowie die private Adresse von Hoffmann, die er offenbar im Internet gefunden hatte.

Lutz Hoffmann tritt für die SPD im Sommer bei den Stadtratswahlen und im Herbst bei den Landtagswahlen an.
Lutz Hoffmann tritt für die SPD im Sommer bei den Stadtratswahlen und im Herbst bei den Landtagswahlen an. © René Meinig

Was den Fall kurios macht, ist, dass Auslöser für den Post von Max Schreiber offenbar ein zwei Jahre alter Tweet von Hoffmann war. Diesen hatte Schreiber wohl fälschlicherweise für aktuell gehalten. Es ging um ein Bild, das Hoffmann beim Aufsammeln von Blumen zeigt - jedoch stand das in keinem Zusammenhang mit den Gedenkveranstaltungen am 13. Februar dieses Jahres, wie Schreiber behauptete.

Dresdner Politiker werden bundesweit am meisten angefeindet

Eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt, wie Kommunalpolitiker deutschlandweit unter Druck stehen. 60 Prozent der Befragten sind demnach schon beleidigt, bedroht oder attackiert worden. In Dresden sind es 88 Prozent der Befragten. So viele wie in keiner anderen deutschen Großstadt. Auch im Ländervergleich führen Sachsen und Thüringen mit 81 Prozent weit vor den anderen Bundesländern.

Am Dienstag fand in Dresden die Kommunalkonferenz zur Sicherheit von Amts- und Mandatsträgern statt. Justizministerin Katja Meier (Grüne) und Innenminister Armin Schuster (CDU) wollen sich auf Bundesebene für ein Gesetz gegen "politisches Stalking" einsetzen. Damit sollen auch Aktionen wie zum Beispiel das Abkippen von Misthaufen vor Privathäusern und Abgeordnetenbüros verfolgt werden können.

Auch Politiker der AfD und der Grünen wurden attackiert

Heiko Müller, Dresdner Stadtrat bei der vom Verfassungsschutz in Sachsen als rechtsextrem eingestuften AfD, berichtet: "2018 wurde vor meinem Haus mein Cabriodach zerschnitten, es verschwanden Briefe aus meinem Briefkasten, ich wurde bei Veranstaltungen angespuckt und angegriffen." Mittlerweile würde kein AfD-Mitglied mehr allein Plakate aufhängen oder am Infostand stehen. Zudem plane man, Sicherheitstrainings durchzuführen, so Müller.

Auch für Ulrike Caspary (Grüne) gehören Anfeindungen zu ihrem Alltag dazu. Im Jahr 2022 schlägt der Stadträtin ein aufgebrachter Mann bei einer Wahlkampfveranstaltung in Weixdorf ein rohes Ei ins Gesicht. Zwei Jahre zuvor zerstören Unbekannte ihren Gartenzaun und ihr Gartentor – damals war ihre Privatadresse noch öffentlich einsehbar.

Ulrike Caspary bei einem Termin 2021 in der Dresdner Neustadt.
Ulrike Caspary bei einem Termin 2021 in der Dresdner Neustadt. ©  Christian Juppe

"Mittlerweile mache ich keine Bürgersprechstunden mehr alleine", sagt die Politikerin. Auch Plakate würden die Grünen in Dresden nur noch als Gruppe aufhängen. "Da kommt es auch immer wieder zu Beleidigungen", sagt Caspary. "Und man weiß ja nicht, ob aus Worten irgendwann auch Taten werden." Ans Aufhören denkt sie dennoch nicht: "Ich will mit den Leuten reden und herausfinden, warum sie so unzufrieden sind."

Zahl der Übergriffe auf Kommunalpolitiker nimmt zu

Im Jahr 2022 hat das Sächsische Landeskriminalamt (LKA) sieben Angriffe auf politische Amtsträger in Dresden verzeichnet. Zudem habe es vier Angriffe auf Parteigebäude und -einrichtungen gegeben, teilt die Behörde mit. Im vergangenen Jahr habe man bei Angriffen auf Politiker und Parteigebäude einen "leichten Trend nach oben im Vergleich zu 2022" beobachtet. Die Zahlen für 2023 werden erst im Laufe dieses Jahres im Rahmen der polizeilichen Kriminalstatistik veröffentlicht.

Opfer solcher Übergriffe können sich auch an die Zentrale Anlaufstelle für Opfer von Rechtsextremismus und Antisemitismus (ZORA) oder an die Zentrale Ansprechstelle für Opfer (rechts-)extremistischer Bedrohungen (ZASTEX) der Polizei Sachsen wenden. Die ZORA gibt es seit knapp zwei Jahren, bisher hat sie jedoch erst etwas mehr als 15 Fälle bearbeitet. Nicht alle Fälle landen auf den Schreibtischen der Polizei oder Staatsanwälte, viele Opfer wenden sich auch an die zahlreichen Opferverbände.

"Wir können den Betroffenen eine Einschätzung geben, ob eine Straftat vorliegt, und die Fälle direkt an zuständige Kollegen weiterleiten", sagt die Dresdner Staatsanwältin Ute Schmerler-Kreuzer von ZORA. Außerdem arbeiten die Juristen sachsenweit mit Opferverbänden zusammen und wollen für Betroffene ein Netzwerk bilden.

"Wenn sich keiner mehr engagiert, wird's halt irgendwann scheiße"

Im Fall von Lutz Hoffmann hat der Staatsschutz der Polizeidirektion Dresden die Ermittlungen aufgenommen. Noch mehrere Tage erhielt er Drohungen per E-Mail und Telefon. Er hat diese zur Anzeige gebracht.

Auf der Konferenz am Dienstag äußerten mehrere Minister die Sorge, dass sich aufgrund der steigenden Bedrohungslage ehrenamtliche Gemeinderatsmitglieder und Bürgermeister aus der Kommunalpolitik zurückziehen.

Hoffmann selbst will sich trotz der Bedrohungen weiter engagieren, im Juni will er für die SPD in den Stadtrat einziehen. Er sagt: "In meinem direkten Umfeld habe ich schon viele Gespräche mit Menschen geführt, die sich wegen solcher Übergriffe Sorgen machen." Die habe er alle beruhigen können, man sei nicht allein. "Man darf den rechtsextremen Kräften nicht das Feld überlassen. Wenn sich keiner mehr engagiert, wird's halt irgendwann scheiße."