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Dresdens bekanntester Klima-Demonstrant: Was Christian Bläul bewegt

Mehr als 25 Mal hat sich Christian Bläul in der Öffentlichkeit festgeklebt, für Stau und Stress, aber auch Aha-Effekte gesorgt. Zwei Wochen in schwedischer Haft halten ihn nicht auf. Ein Porträt.

Von Nadja Laske
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Ein ruhiger, überlegter Typ, der von sich sagt, nichts bringe ihn in Rage: Christian Bläul, Mitglied der Letzten Generation.
Ein ruhiger, überlegter Typ, der von sich sagt, nichts bringe ihn in Rage: Christian Bläul, Mitglied der Letzten Generation. © Sven Ellger

Dresden. Er ist mit der Bahn da. Aus Gorbitz ins Haus der Presse gekommen. Per Monatskarte. Lieber wäre Christian Bläul das Neun-Euro-Ticket gewesen. Dafür klebt er sich regelmäßig auf den Asphalt. Auf diese Weise hat er einen beachtlichen Bekanntheitsgrad erreicht. Aber darauf kommt es dem 40-Jährigen nicht an. Wohl aber, dass sein Anliegen bekannt wird, mehr noch als es schon im Gespräch ist: Klima- und Umweltschutz und die Instrumente öffentlicher Nahverkehr und Tempolimit.

Damit steht er nicht allein. Christian Bläul gehört dem Bündnis "Letzte Generation" an. Darin haben sich Kritiker aus der Umweltschutzbewegung zusammengeschlossen und organisieren in größeren und kleineren Gruppen oder einzelne Aktionen, mit denen sie ihre Ziele öffentlich machen.

Dazu gehört inzwischen das regelmäßige Ankleben an Straßen, an Schienen, an Gebäude, Sehenswürdigkeiten und Kunstwerken. Auf der Nürnberger Straße oder auf der Hansastraße zum Beispiel. Besonders viel Rummel gab es um Bläul, als er aufgrund einer Aktion in Schweden für zwei Wochen ins Gefängnis kam.

Wer ist dieser Mann mit dem langen grauen Haar, zum Zopf gebunden, hagere Gestalt, entschlossener Blick in die Kameras, die zur Stelle sind, wenn eine Demonstration besonders aufsehenerregend ist?

Niemand soll zu Schaden kommen, so das Credo der Aktivisten der Letzten Generation, zu der auch Christian Bläul gehört. Das funktioniert nicht immer.
Niemand soll zu Schaden kommen, so das Credo der Aktivisten der Letzten Generation, zu der auch Christian Bläul gehört. Das funktioniert nicht immer. © xcitepress

Manchen Menschen liegt die Welt zu Füßen, anderen nicht

Die Mutter Sozialarbeiterin, der Vater Softwareentwickler, wächst Christian Bläul in der Südvorstadt auf - apolitisch, wie er sagt. Hitzige Debatten am Abendbrottisch, Aufruf zur Rebellion - nichts davon. Nach der Schule wird Christian Bläul Zivi in einer Behindertenwerkstatt und bekommt eine Ahnung davon, dass manchen Menschen die Welt zu Füßen liegt, während andere ihr die Füße küssen müssen.

Viel stärker noch erkennt er die Diskrepanz in der Chancenverteilung während eines Arbeitseinsatzes in einem Kinderheim in Angola. In dieser Zeit beginnt er, seine politische Wahrnehmung zu schärfen. Da ist er etwa 17 Jahre alt. "Ich fing an, über das Thema Gerechtigkeit nachzudenken", sagt er.

Christian Bläul ist Physiker. Naturwissenschaftler. In dieser Natur liegt es auch, dass er nichts für gottgegeben nimmt. Ungerechtigkeit ist menschengemacht, von einer kleinen elitären, mit Macht bestückten Gruppe und der breiten Masse, die gewähren lässt. Dass diese Ungerechtigkeit Umweltzerstörung zur Folge hat, die die Unfairness global extrem vertieft, ist für ihn ein unhaltbarer Zustand.

"Aber noch vor zehn Jahren habe ich gedacht: Die Politik kümmert sich darum, sie ist an diesen Themen dran, es genügt wählen zu gehen." Inzwischen glaube er das nicht mehr. Auch nicht, dass Beschwerden, Gespräche, Unterschriftensammlungen und landläufige Demonstrationen helfen, den Klimaschutz so zu beschleunigen, dass wenigstens nachfolgende Generationen eine Chance auf lebenswertes Leben haben.

"Mit meiner Frau ist alles besprochen, auch mit meinen Kindern"

Diese Bestandsaufnahme hat Christian Bläul zur Letzten Generation und dem zivilen Ungehorsam gebracht, den er nun praktiziert - allerdings nicht als kopfloser Weltverbesserer, wie ihn und seine Mitstreiter viele Menschen sehen. "Ab November vergangenen Jahres habe ich mich sehr ernsthaft damit auseinandergesetzt, ob die Aktionsformen, die das Bündnis anstrebt und umsetzt, der richtige Weg sind, generell und auch für mich ganz persönlich."

Bläul ist Vater zweier Kinder, 12 und 16 Jahre alt, verheiratet, berufstätig. Selbst wenn er den Protest für notwendig und richtig erachtet und sich daran beteiligt: Welche Konsequenzen kann das für ihn als Familienvater und Arbeitnehmer, für seine Gesundheit und Handlungsfähigkeit haben? Will er das Risiko, im Einsatz verletzt, verhaftet, mit Geldstrafen belangt zu werden, tragen? Was, wenn er seine Arbeit verliert? Nicht nur für ihn kann es Folgen geben, auch für seine Angehörigen, Freunde, Kollegen.

Christian Bläul entschied sich dafür. "Mit meiner Frau ist das alles besprochen, auch mit meinen Kindern." Die weitere Familie sei zunächst skeptisch gewesen, unterstütze ihn aber nun. "Meine Oma fragt sogar, wann sie mal zu einer Aktion mitkommen kann." Die hat es Anfang des Jahres zum ersten Mal in Form von Aktionstagen gegeben, die sich über fünf Wochen erstreckten. Zunächst seien 22 der insgesamt 100 Aktiven der Letzten Generation in der Öffentlichkeit aufgetreten. "Am Ende waren 35 sichtbar." Und darum gehe es: Sichtbar zu sein - mit den Forderungen des Bündnisses, aber auch als Personen.

Christian Bläul mit Aktivisten des Bündnisses Letzte Generation auf einer Klimademo auf dem Straßburger Platz.
Christian Bläul mit Aktivisten des Bündnisses Letzte Generation auf einer Klimademo auf dem Straßburger Platz. © Marion Doering

Anfeindungen bei Klebe-Aktionen

"Wir verhüllen uns nicht, tragen keine Masken, wie andere Demonstranten, die damit eine anonyme Menge werden", erklärt Christian Bläul. Darin liegen Kraft und Verletzlichkeit gleichermaßen. Nicht nur während der Demos und Klebeaktionen muss er sich anfeinden lassen, wie jüngst auf der Nürnberger Straße. "Geht arbeiten!" und "Geht zu den Politikern, am besten nach Hause!" sind die häufigsten Anwürfe. "Ich habe großes Verständnis für die Autofahrer, die nicht weiterfahren können und im Stau stehen", sagt Bläul. "Mir tut deren Stress wirklich leid."

Autofahrer sind Mittel zum Zweck. Sie geraten in Sippenhaft. Aber sind sie nicht auch kollektiv mitverantwortlich? "Der eigentliche Adressat ist die Bundesregierung", sagt Bläul. Dass es so weit gekommen ist, dass Bürger in unbequeme Lagen gebracht werden, weil politisch und gesellschaftlich engagierte Gruppen ihre Anliegen publik machen wollen, ist ihm zufolge eine Notlage.

"Wir und auch andere haben über Jahre und Jahrzehnte gemäßigtere Formen genutzt und sind nicht gehört und gesehen worden." Beispielsweise habe das Aktionsbündnis "Schwarm for future" immer wieder Gespräche mit Politikern gesucht. Das Ziel war es, in einem gewissen Zeitraum so viele Sprechzeiten wie möglich wahrzunehmen.

Für Christian Bläul und die "Letzte Generation" dreht sich alles, was sie tun, um die beiden erklärten Ziele: Ein Ticket für die Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs und zur Eindämmung des Autoverkehrs zum Preis von neun Euro, und ein Tempolimit auf Autobahnen von 100 Kilometern pro Stunde. Dass sich letzteres nicht durchsetzen lässt, ahnt Bläul. Doch auch 130 wäre ein Erfolg zur Schadstoffminimierung.

Ziel ist es, sich möglichst lange an Straßen festzukleben

Was tut er privat zum Schutz der Umwelt? "Wir heizen nicht." Doch mit dem Ukrainekrieg habe das nichts zu tun. "Das machen wir schon immer so, weil wir es nicht brauchen." Bläul zupft an seinem orangefarbenen Hemd und sagt: "Das ist secondhand. Ich versuche, so wenig wie möglich zu kaufen, vor allem nicht neu." Dazu vegane Ernährung.

Ein Auto besitzt und fährt er nicht. Flugreisen kommen nicht infrage. "Mein ganzer Urlaub fließt in mein Engagement." Ein Teil des Einkommens übrigens auch. Bisher hat er insgesamt 1.000 Euro Strafe oder Verwaltungsgebühren bezahlt, so genau weiß er das nicht. "Ich rechne damit, dass künftig jede Aktion rund 1.000 Euro kosten wird."

Wie lange hält er das alles aus? Den Aufwand, die Kosten, den Schmerz, den Hass? "Mit der Ablehnung kann ich gut umgehen", sagt er. Es scheint nichts zu geben, was ihn aus der Haut fahren lässt. Für Neuaktivisten gibt er Deeskalationskurse.

Christian Bläuls Hände sind schmal und leicht gerötet. Rund 25 bis 30 Mal hat er sie schon irgendwo angeklebt - mit ganz normalem Sekundenkleber. Ob der vegan ist, könne er nicht sagen, meint er. "Interessante Frage, aber ich glaube es eher nicht." Ziel ist es, möglichst lange festzukleben. Ärgerlich, wenn der Kleber versagt. Stärker ist immer das Pflanzenöl, mit dem die Polizisten die Haut vom Boden lösen, meistens sehr vorsichtig. Und trotzdem tat es letztens arg weh.

Doch nicht annähernd so, wie der Schmerz über den Zustand der Welt und eines großen Teils ihrer Bevölkerung. Deshalb macht er weiter. Auch wenn er es dann und wann verpasst, seinen Sohn ins Bett zu bringen, ihm eine Geschichte vorzulesen und Kissenschlacht zu machen. Aber auch für ihn verzichtet er.