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Dresdner Unverpackt-Laden: "Lange halten wir nicht mehr durch"

Berit Heller ist Dresdens Unverpackt-Pionierin, 2019 expandierte sie sogar. Nun bleiben die Kunden aus. Wie sie es trotzdem aus der Krise schaffen will.

Von Nora Domschke
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Keine leichte Zeit für Berit Heller, die 2015 den ersten Unverpacktladen in Dresden eröffnete. In ihren Loseladen kommen inzwischen deutlich weniger Kunden einkaufen.
Keine leichte Zeit für Berit Heller, die 2015 den ersten Unverpacktladen in Dresden eröffnete. In ihren Loseladen kommen inzwischen deutlich weniger Kunden einkaufen. © Sven Ellger

Dresden. Die Lage ist ernst, daran lässt Berit Heller keinen Zweifel. Dabei ist ihr Geschäft, das Lose Dresden in der Böhmischen Straße, an diesem Dienstagvormittag recht gut besucht. Eine Schulklasse stöbert in den Regalen, die Jugendlichen füllen sich Süßes und Nussmischungen in ihre mitgebrachten Dosen ab, schnuppern an Seifen und Trockenshampoos.

Berit Heller erklärt ihnen geduldig das Konzept ihres Unverpacktladens, in dem die Produkte nicht nur frei von Plastikverpackungen sind, sondern auch ein Biosiegel tragen. Erst kürzlich hat sie ausgerechnet, dass seit der Eröffnung 2015 so viel Shampoo-Waschstücke verkauft wurden, wie Haarwaschmittel in 13.000 konventionelle Plastikflaschen passen würde.

"Ich will noch mehr solche konkreten Beispiele ausrechen, um zu veranschaulichen, wie viel Plastikmüll eigespart werden kann", sagt Berit Heller. Es geht um ihren Lebenstraum, um ihre Existenz. Denn Deutschlands Unverpackt-Läden stecken in der Krise.

Etwas versteckt in der Böhmischen Straße ist Dresdens "ältester" Unverpacktladen, das Lose, zu finden. Heute gibt es vier verpackungsfreie Läden in der Landeshauptstadt.
Etwas versteckt in der Böhmischen Straße ist Dresdens "ältester" Unverpacktladen, das Lose, zu finden. Heute gibt es vier verpackungsfreie Läden in der Landeshauptstadt. © Sven Ellger

Das bestätigt auch der Unverpackt-Verband, der 2018 in Nürnberg gegründet wurde und dessen Mitgliederzahl von damals 22 auf heute 471 angestiegen ist. Doch der Boom ist längst ausgebremst, in anderen Städten mussten erste Läden schließen. Der Grund: Die Kundschaft bleibt aus.

"2021 haben über das gesamte Jahr 14 Läden deutschlandweit geschlossen, 86 Läden haben eröffnet", teilt Verbandssprecherin Shabnam Beus auf SZ-Anfrage mit. Diese Angaben beziehen sich nur auf Geschäfte, die Mitglied im Verband sind. Anfang dieses Jahr sieht die Situation schon dramatischer aus: "2022 haben allein im ersten Quartal elf Läden geschlossen, drei haben eröffnet. Wie es weitergeht, wissen wir nicht."

Zwar durften die verpackungsfreien Lebensmittelgeschäfte in der Coronakrise zu jeder Zeit ihre Waren verkaufen, dennoch brachen die Umsätze im vergangenen Jahr rapide ein. "Anfang 2020, im ersten Lockdown, gingen die Umsatzzahlen nur langsam zurück", erzählt Berit Heller. Einen richtigen Einbruch habe es im Sommer 2021 gegeben, als erste Lockerungen nach dem Corona-Winter eigentlich wieder mehr Kundschaft versprachen. Doch die kam nicht.

Berit Heller, 53 Jahre alt, ist selbst eingefleischte Neustädterin, sie mag ihr Viertel und die Menschen, die hier leben. Nach 20 Jahren im Vertrieb eines großen Dresdner Halbleiterunternehmens sei ihr 2018 plötzlich klargeworden, dass sie eine Veränderung braucht: "Ich hatte mich privat in die grüne Richtung entwickelt und wollte nicht mehr in einer Firma arbeiten, die Teile für Elektroschrott herstellt und in der es nur um Profit geht."

Fünf Tage habe sie darüber nachgedacht, ob sie auf ein festes und vor allem gutes Gehalt, Urlaub und einen pünktlichen Feierabend verzichten kann. Am Ende stand ihre Entscheidung fest, sie kündigte und eröffnete sieben Monate später in der Dresdner Neustadt den ersten Unverpacktladen in Ostdeutschland. Deutschlandweit war sie die vierte Betreiberin eines solchen Geschäfts.

Kleinen Händlern den Rücken stärken: "Vergesst uns nicht!"

Und das boomte, die Dresdner waren begeistert vom umweltfreundlichen Konzept, kamen auch aus entfernteren Stadtteilen und füllten sich bei Berit Heller Müsli, Waschmittel und alles, was lose verkauft werden kann, in ihre Behälter. Die Nachfrage war so groß, dass sie Ende 2019 ihre Laden- und Lagerfläche fast verdreifachte und in das Geschäft nebenan zog. Außerdem stellte sie zwei weitere Mitarbeiterinnen ein, seitdem sind sie zu viert. Ob das so bleibt? "Ich hoffe es sehr, aber wenn die Umsätze nicht besser werden, werde ich nicht alle weiter beschäftigen können."

In der Branche ist man weitestgehend ratlos, warum das Geschäft Mitte vergangenen Jahres so plötzlich eingebrochen ist. Der stationäre Einzelhandel hat es, bis auf die großen Lebensmittel-Discounter, im Allgemeinen schwer. Zu viele Kunden sind in den Lockdownzeiten auf Onlineshops und Lieferdienste ausgewichen. Das ist auch für Berit Heller eine mögliche Erklärung. Nach wie vor beobachtet sie unzählige Lieferanten, die Lebensmittel und Fertiggerichte bis an die Wohnungstüren der Neustädter bringen. "Die Coronazeit hat die Menschen verändert, auch in ihrem Konsumverhalten."

Homeoffice, Homeschooling - da musste der Einkauf schnell gehen. "Ich habe dafür durchaus Verständnis und kann nachvollziehen, dass in dieser stressigen Zeit auch der Nerv fehlte, mit den eigenen Behältern loszuziehen und im Unverpacktladen seinen Einkauf zu erledigen." Nun appelliert sie allerdings an die Dresdner, den kleinen Händlern vor Ort wieder den Rücken zu stärken: "Vergesst uns nicht!"

Ideen, um den Einkauf einfacher zu machen

Tatenlos zusehen will Berit Heller dem Geschehen nicht. Klar, explodierende Sprit- und Energiekosten und Lebensmittel, die teurer werden - das alles trage nicht dazu bei, dass die Menschen den zeitlichen und finanziellen Aufwand auf sich nehmen und zu ihr in den Laden kommen, sagt sie. Andererseits seien die Kneipen in der Neustadt jeden Abend rappelvoll. "Ich kämpfe ums Überleben", sagt sie.

Mit dem vom Loseladen angebotenen Lieferdienst konnte Berit Heller bislang allerdings nicht punkten, die Nachfrage ist gering. Auch der Befüllservice wird nur verhalten von den Kunden angenommen. "Wir wollen gern helfen, dass der Einkauf nicht so viel Zeit in Anspruch nimmt." So können ihre Kunden die Dosen und Flaschen bei ihr vorbeibringen und ihre Bestellung aufgeben. "Auf dem Weg nach Hause kann alles fertig befüllt wieder abgeholt werden."

In den sozialen Netzwerken wirbt sie für ihren Service - bislang ohne Erfolg. Und doch gibt die Dresdnerin nicht auf. In den nächsten Wochen will sie das Interesse von weiteren Jugendlichen wecken und Schulen, in denen das Thema Nachhaltigkeit heute ja eine große Rolle spielt, gezielt anschreiben. Schließlich könnten das ihre Kunden von morgen sein, so die Hoffnung.

Eine weitere Idee: Veranstaltungen wie kleine Konzerte oder Lesungen, die sie in einem großen Saal im Keller anbietet. Der erste Konzerttermin steht bereits, die Bühne ist schon aufgebaut. Am 23. April wird dort die Dresdner Band "Ophelia" ihren Auftritt haben. Im kommenden Winter plant Berit Heller außerdem eine Art Weihnachtsmarkt in ihrem Kellersaal, mit einzelnen Ständen von Dresdner Produzenten, die etwa Schokolade oder Bienenwachstücher herstellen. Auch das Konzept eines Leipziger Ladens findet sie interessant: An einem Aktionstag können Kunden für einen Eintritt von 15 Euro für zehn Euro einkaufen, die Mitarbeiter erklären ihnen dabei das Konzept hinter der Unverpackt-Idee.

Unverpackt-Verband schreibt Brief an Ministerin

Hilfsversuche, der angeschlagenen Branche unter die Arme zu greifen, kommen auch von außen. Zuletzt hat eine 21-jährige Studentin eine Online-Petition gestartet, mit der sie fordert, dass die deutschen Unverpacktläden von staatlicher Seite unterstützt werden. Knapp 64.000 Unterstützer haben bereits unterzeichnet. Die Petition soll an Steffi Lemke (Grüne), Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, übergeben werden. "Parallel dazu wird durch den Unverpackt Verband am 12. April ein fünfseitiger Brief an sie geschickt, der sich 'Artensterben Unverpacktläden' nennt und dringend um Hilfe bittet", sagt Berit Heller.

Die Not ist groß, auch bei der Dresdner Betreiberin des Loseladens. Das in Boomzeiten verdiente und zurückgelegte Geld, das für ihre Rente gedacht war, ist längst weg. Zuletzt habe sie sogar auf private Mittel zurückgreifen müssen, um alle Rechnungen bezahlen zu können. "Lange halten wir nicht mehr durch."