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"Wir haben unseren Zoo wieder"

In ihrem Gründungsjahr 1946 berichtete die SZ von der Wiedereröffnung des Dresdner Zoos – und begleitet ihn bis heute, dem Tag seines Jubiläums.

Von Henry Berndt
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"Pläne und Träume hatten wir immer viele": Winfried Gensch begleitet die Entwicklung des Zoos seit 65 Jahren.
"Pläne und Träume hatten wir immer viele": Winfried Gensch begleitet die Entwicklung des Zoos seit 65 Jahren. © Sven Ellger

Dresden. Schlangen vor dem Zoo, die gab es schon vor 75 Jahren. Gerade mal ein Jahr war vergangen, nachdem das Gelände bei den Angriffen auf Dresden komplett zerstört worden war. „Das muss man sich mal vorstellen“, sagt der heutige Direktor Karl-Heinz Ukena. „Nichts stand mehr, und trotzdem wurde der Zoo sofort wieder aufgebaut.“

Einen wichtigen Anteil daran hatten die Kinder der Stadt, die Anfang des Jahres 1946 vom Rat der Stadt befragt worden waren, was ihnen denn jetzt am wichtigsten sei. Drei Viertel der Kinder sagten damals: „Gebt uns unseren Zoo wieder!“

Fünf Monate später, am 9. Juni, war es soweit. Die damals ebenfalls gerade aus der Taufe gehobene Sächsische Zeitung berichtete von einem „Pfingstgeschenk an die Dresdner“. Zu sehen bekamen die ersten Besucher neben Hunden, Pferden und Büffeln auch eine Löwin namens „Dresda“, ein Geschenk aus dem Zoo Leipzig.

Zur Wiedereröffnung des Zoos im Juni 1946 kamen Tausende Besucher.
Zur Wiedereröffnung des Zoos im Juni 1946 kamen Tausende Besucher. © Zoo Archiv

„Leider ist die Löwin schon nach einem Jahr eingegangen. Es gab ja kaum Fleisch“, sagt Winfried Gensch, der nach einem Praktikum 1956 vier Jahrzehnte lang im Zoo beschäftigt war, davon lange Zeit als wissenschaftlicher Assistent. Inzwischen ist er 82, doch dem Zoo noch immer eng verbunden. In seinem kleinen Zimmer im Verwaltungsgebäude hütet er ein beachtliches Archiv, das die wechselvolle Entwicklung des Zoos bis heute in Tausenden von Artikeln, Briefen und Fotos dokumentiert.

Gensch ist es, der jede Geschichte aus dem Zoo kennt. Wie nach dem Angriff 1945 eine Giraffe erschossen und in 200-Gramm-Portionen an die Bevölkerung verteilt wurde. Wie später noch ein Bär in einer benachbarten Gärtnerei auftauchte, aber auch, wie die größte Zierfischsammlung der DDR aufgebaut wurde.

Direktor Ukena weiß, was er an seinem inoffiziellen Archivar hat. „Ich schätze Herrn Gensch unheimlich“, sagt er und erinnert sich an einen Satz, der ihm in Erinnerung geblieben ist: „Einen Zoo betreiben heißt, in Generationen zu denken.“

Dem Zoo ein Gesicht geben

Inzwischen haben sich Generationen von Direktoren damit beschäftigt, dem Zoo ein Gesicht zu geben. Nach dem Krieg sei es zunächst vor allem Wolfgang Ullrich gewesen, der Dresden in der Welt der zoologischen Gärten wieder Ansehen verschaffte, sagt Gensch. Pferde und Rehe mögen den Besuchern für den Anfang gereicht haben, „aber die Leute wollten wieder die Exoten sehen, die sie von früher kannten“.

Die asiatische Elefantendame Carla, die 1951 aus Hannover in den Zoo kam, sei so ein Tier gewesen, das die Massen anzog. Zehn Jahre später habe man zum ersten Mal eine Million Besucher innerhalb eines Jahres gezählt.

Trotz des großen Erfolges entwickelte sich der Zoo zunächst nur langsam weiter, vor allem nach dem frühen Tod von Ullrich 1973. „Der Zoo war immer eine schöne Tochter der Stadt, aber immer auch eine arme Tochter“, sagt Ukena. Die Geldprobleme ziehen sich durch die gesamte Geschichte. Zu DDR-Zeiten kam noch der Mangel an Baumaterial dazu, sodass in den 1980er-Jahren die zweifelhafte Devise ausgerufen wurde: „Der Zoo muss begehbar bleiben.“ Provisorien wie das 1985 errichtete Orang-Haus wurden notgedrungen zur Dauerlösung.

Utopische Träume

„Ein ordentliches Haus für die Menschenaffen war der Traum aller Direktoren“, sagt Gensch. „Pläne und Träume hatten wir immer viele, doch das Allermeiste war nicht umzusetzen.“ Eine Erweiterung bis zur Lennéstraße? Ein großes Aquarium auf dem Postplatz? All das war utopisch.

Nach der Wiedervereinigung war keinesfalls klar, dass die Einrichtung überhaupt eine Zukunft haben würde. Der Zustand vieler Anlagen war grauenhaft und hatte nichts mehr mit moderner Zootierhaltung zu tun. Als Meilenstein in der Entwicklung sieht Gensch heute die Eröffnung des Afrikahauses 1999, dem ersten großen Neubau seit dem Krieg.

Mit dem Zukunftskonzept von 2006 nahm die Modernisierung dann Fahrt auf: Löwenanlage, Giraffenhaus, Futtermeisterei, Professor-Brandes-Haus. Mit dem Orang-Utan-Haus, das allein 17 Millionen Euro kosten soll, steht das nächste Großprojekt unmittelbar bevor. „Trotz Corona erleben wir momentan glückliche Zeiten, da alle in der Stadt sich einig sind, dass wir den Zoo weiterentwickeln wollen“, sagt Ukena. „Der Zoo ist im Herzen der Dresden angekommen.“ Wahrscheinlich hatte er dort schon immer seinen Platz.