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Dresdner bringt Gorbitzer Plattenbau in einem Buch groß raus

Die DDR-Architektur in Dresden-Gorbitz ist eine Herzenssache für Matthias Körner. Nun hat er die Geschichte des Neubauviertels in einem Buch veröffentlicht.

Von Nora Domschke
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Matthias Körner hat die Entwicklung des Gorbitzer Plattenbauviertels aufgeschrieben und mit vielen alten Fotos in einem Buch über seriellen Wohnungsbau veröffentlicht.
Matthias Körner hat die Entwicklung des Gorbitzer Plattenbauviertels aufgeschrieben und mit vielen alten Fotos in einem Buch über seriellen Wohnungsbau veröffentlicht. © Sven Ellger

Dresden. Plattenbau ist nicht gleich Plattenbau. Das betont Matthias Körner immer wieder aufs Neue. Gorbitz sei ein schönes Beispiel dafür, denn in dem großen Neubauviertel im Dresdner Westen gibt es viele verschiedene Typen der "Platte" zu entdecken, die eigentlich "Tafel" heißen müsste. So wurde die Bauweise nämlich ursprünglich bezeichnet.

Die Geschichte von Gorbitz hat Matthias Körner in einem Beitrag mit vielen bisher unveröffentlichten Fotos zusammengetragen, der jetzt in einem Doppelband zum industriellen Wohnungsbau in der DDR erschienen ist.

"Eigentlich sollte das Buch schon im vergangenen Jahr fertig sein", erzählt der 44-Jährige. Aber die Suche in den Archiven sei nicht nur aufwendig, sondern vor allem sehr ergiebig gewesen. Deshalb wurden aus einem Buch - so wie zunächst geplant - am Ende sogar zwei. Herausgegeben wird der Doppelband von Philipp Meuser. Der Architekt, Verleger und Hochschullehrer gründete 2005 den reinen Architektur-Verlag DOM-Publishers und widmet sich seitdem unter anderem der Baugeschichte in Gebieten der ehemaligen Sowjetunion. Nun also der serielle Plattenbau in der DDR.

Weil das Thema des industriellen Wohnungsbaus neben der Fachwelt zunehmend auch junge Menschen interessiert, sei es an der Zeit gewesen, die ganze Geschichte einmal umfassend und wissenschaftlich aufzuschreiben, erklärt Körner. "Ich wurde von Philipp Meuser angeschrieben, ob ich einen Beitrag über Gorbitz schreiben will. Da habe ich natürlich sofort zugesagt."

Körner ist mit den Plattenbauten im Stadtteil, in dem er bis vor Kurzem selbst gelebt hat, so vertraut wie kaum ein anderer. Er hat ein Buch über die Gorbitzer Höhenpromenade geschrieben und vor allem eines geschafft: Seit 2018 stehen ein WBS-70-Wohnblock, eine Kirche, eine Gaststätte und mehrere DDR-Kunstwerke unter Denkmalschutz.

Mit Beharrlichkeit sprach er immer wieder bei den Ämtern vor, zog den Zorn der Plattenbau-Eigentümer auf sich, die das Gebäude denkmalgerecht sanieren mussten, wurde für seinen Einsatz für die "Platte" sicherlich auch belächelt. Inzwischen habe ein Umdenken stattgefunden, sagt Körner. Für sein Engagement wurde er zweimal mit einem Preis geehrt, darunter eine Auszeichnung vom Sächsischen Landtagspräsidenten. Dass Gorbitz in den Doppelband zum DDR-Wohnungsbau gehört, ist für Matthias Körner gar keine Frage.

Dresden-Gorbitz 1979: Hier am Stadtrand sollte auf der grünen Wiese in möglichst kurzer Zeit ein neues Wohngebiet entstehen.
Dresden-Gorbitz 1979: Hier am Stadtrand sollte auf der grünen Wiese in möglichst kurzer Zeit ein neues Wohngebiet entstehen. © SZ-Archiv
Bei der Ausstellung "Dresden - gestern, heute, morgen", die im April auf dem Messegelände am damaligen Fucikplatz (heute Straßburger Platz) zu sehen war, bestaunen Besucher das Modell für das künftige Neubaugebiet Gorbitz. Dresden sollte zur einer sozialistischen Vorzeigestadt werden.
Bei der Ausstellung "Dresden - gestern, heute, morgen", die im April auf dem Messegelände am damaligen Fucikplatz (heute Straßburger Platz) zu sehen war, bestaunen Besucher das Modell für das künftige Neubaugebiet Gorbitz. Dresden sollte zur einer sozialistischen Vorzeigestadt werden. © Foto: SZ/Brigitte Anklam
Bis heute erinnert die Gründungsplakette an der Höhenpromenade an die Grundsteinlegung von Gorbitz im August 1981.
Bis heute erinnert die Gründungsplakette an der Höhenpromenade an die Grundsteinlegung von Gorbitz im August 1981. © Repro: Gorbitzer Höhenpromenade/Matthias Körner
Die Gorbitzer Mittelachse, die Höhenpromenade, ist das Herzstück des Viertels. Während Anfnag der 1980er-Jahre der Platz noch gebaut wird, rollen schon die ersten Bahnen durch das Wohngebiet.
Die Gorbitzer Mittelachse, die Höhenpromenade, ist das Herzstück des Viertels. Während Anfnag der 1980er-Jahre der Platz noch gebaut wird, rollen schon die ersten Bahnen durch das Wohngebiet. ©  SZ-Archiv
In den 1980er-Jahren waren die modernen Neubauwohnungen mit Fernwärmeanschluss in Gorbitz heiß begehrt. Von vornherein von den Architekten mit geplant: die Wohngebietsgaststätte Gorbitzer Krug an der Höhenpromenade.
In den 1980er-Jahren waren die modernen Neubauwohnungen mit Fernwärmeanschluss in Gorbitz heiß begehrt. Von vornherein von den Architekten mit geplant: die Wohngebietsgaststätte Gorbitzer Krug an der Höhenpromenade. ©  SZ-Archiv
Heute befindet sich der Gorbitzer Krug in privatem Besitz, wird aber nach wie vor als Gaststätte betrieben. Seit 2018 steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Nachdem die Keramikfassade in den 1990er-Jahren übermalt worden war, wurde sie 2010 von der Gorbitzer Bürgerinitiative wiederhergestellt.
Heute befindet sich der Gorbitzer Krug in privatem Besitz, wird aber nach wie vor als Gaststätte betrieben. Seit 2018 steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Nachdem die Keramikfassade in den 1990er-Jahren übermalt worden war, wurde sie 2010 von der Gorbitzer Bürgerinitiative wiederhergestellt. © Sven Ellger

Während es im ersten Band um die Technologie geht, die hinter den Plattenbauten steckt, und die Entwicklung der verschiedenen Typen aufgezeigt wird, befassen sich im zweiten Teil mehrere Autoren mit einzelnen Städten. Sachsen ist mit Leipzig und Dresden zweimal vertreten. Neben Körner hat sich auch Philipp Meuser selbst mit Dresden beschäftigt und schreibt über die Rekonstruktion des Stadtbildes am früheren Platz der Einheit. Rund um den heutigen Albertplatz sind Ende der 1980er-Jahre viele moderne und aufwendig gestaltete Plattenbauhäuser entstanden.

Nicht weniger aufwendig sei in Gorbitz gebaut worden, so Körner. Auf 28 Seiten beschreibt er, wie auf der grünen Wiese am Westhang ein komplett neues Wohnviertel aus dem Boden gestampft wurde. Mit Liebe zum Detail zeigt Körner die verschiedenen Gestaltungen der Gebäude, deren Fassaden etwa mit Keramikplatten versehen waren oder Balkone mit einer "gekämmten Brüstungsplatte", bei der eine Art Muster im Beton entsteht, gestaltet wurden.

"Zwei Prozent der Bausumme waren in der DDR für die künstlerische Gestaltung jedes Wohngebietes vorgesehen." Viele Kunstwerke im öffentlichen Raum sind heute allerdings verschwunden, einiges aber auch erhalten, darunter in Gorbitz der Märchenbrunnen am Amalie-Dietrich-Platz, der dank Körner als Kulturdenkmal geschützt ist.

Gorbitz über Dresdens Grenzen hinaus bekannt

Körner, der eigentlich Krankenwagenfahrer ist, beobachtet, wie es immer mehr junge Menschen in die Dresdner Plattenbaugebiete zieht. "Ich habe selbst Freunde, die sich ganz bewusst in Gorbitz eine Wohnung gesucht haben." Allein der Blick von der Anhöhe über die Stadt sei dafür Grund genug. Auch im Studium spiele das Thema serieller Wohnungsbau inzwischen eine große Rolle. Denn auch heute sind Bauweisen gefragt, die neue Wohnungen in möglichst kurzer Zeit und zu bezahlbaren Mieten schaffen.

Mit Körners Beitrag im Doppelband könnte Gorbitz nun über die Dresdner Stadtgrenzen hinaus bekannt werden. Er selbst ist ohnehin davon überzeugt, dass sich das Viertel im Wandel befindet. Nicht nur architektonisch, weil viele weitere Wohnhäuser entstanden sind und am Merianplatz zwei Hochhäuser gebaut werden, die den ursprünglichen Plan für diesen Platz vollenden. "Nach 25 bis 30 Jahren verändert sich in der Regel auch die soziale Struktur eines Wohngebietes, weil neue Bewohner hinzukommen." Matthias Körner wird die weitere Entwicklung seines Herzensstadtteils gespannt verfolgen.

Der Doppelband "Vom seriellen Plattenbau zur komplexen Großsiedlung - industrieller Wohnungsbau in der DDR 1953 - 1990" ist für 78 Euro im Buchhandel erhältlich. Zudem ist eine Softcover-Ausgabe geplant.