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Ein letztes Mal in den "Dreckschen Löffel"

Die Tage der ehemaligen Dresdner HO-Gaststätte "Picknick" sind gezählt. Jetzt haben Interessierte in einer Ausstellung die Möglichkeit, in die Räume zu schauen.

Von Kay Haufe
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Die ehemalige Selbstbedienungsgaststätte Picknick auf der Grunaer Straße in Dresden muss weichen. Bis August gibt es noch eine Ausstellung in den Räumen.
Die ehemalige Selbstbedienungsgaststätte Picknick auf der Grunaer Straße in Dresden muss weichen. Bis August gibt es noch eine Ausstellung in den Räumen. © Sven Ellger

Dresden. Viele Dresdner und ehemalige Studenten der Stadt haben Erinnerungen an sie, die Selbstbedienungsgaststätte "Picknick" auf der Grunaer Straße 28. Aufgrund fragwürdiger Hygieneumstände hieß sie im Volksmund schnell "Dreckscher Löffel". Dennoch war sie für viele Menschen Anlaufpunkt, um sich für kleines Geld zum Beispiel eine Bockwurst und ein Bier zu holen.

Seit 15 Jahren steht der Flachbau am Straßburger Platz allerdings leer. Fenster und Fassade sind immer wieder beschmiert worden, nur auf eine neue Nutzung wartete er vergeblich. Nun sind die Tage des Gebäudes aus dem Entstehungsjahr 1961 gezählt. Es soll abgerissen werden. An seiner Stelle will die Quarterback Immobilien AG ein Wohnhaus errichten.

So soll der Neubau anstelle des Picknick aussehen.
So soll der Neubau anstelle des Picknick aussehen. © Visualisierung: Immvest Wolf

Bevor die Abrissbagger anrollen, gibt es jedoch die Möglichkeit, das "Picknick" noch einmal zu besuchen. Seit dem 4. Juli hat die Pop-Up-Ausstellung "Zeit-Geschmack? Upcycling Picknick" in ihren Räumen geöffnet. Sie entstand als Kooperation des Stadtmuseums Dresden mit der Professur für Gestaltungslehre der Fakultät Architektur an der TU Dresden, dem Netzwerk Ostmodern und dem Investor des Neubaus, der Quarterback Immobilien AG.

Was hätte daraus werden können?

Im Fokus steht die Frage, was aus dem "Picknick" alles hätte werden können. Umbauen, ausbauen, weiterbauen des Ostmoderne-Baus im Sinne des Upcycling? Können historische Strukturen weiterentwickelt werden, und wenn ja, wie? Diese Fragen stellten sich im Wintersemester 2020/21 Studierende der TU Dresden. Spannend, was herausgekommen ist: Sie entwarfen unter Nutzung des historischen Picknick-Baus ein Museum der Ostmoderne mit Ausstellungsräumen, Ateliers und einem Lokal.

Dazu zeigt das Stadtmuseum noch bis zum 8. August anhand historischer Fotografien, aktueller Modelle und Pläne sowie mit der Original-Leuchtreklame „pick-nick“ und dem Schriftzug „Gastronom“ die Entstehung des Baus, dessen Nutzung, die Entwürfe der Studierenden sowie die Pläne des Werkstattverfahrens des Eigentümers Immvest Wolf GmbH. Hinzu kommt ein Interview mit dem Architekten Günter Gruner zum Hintergrund des Baus und zur Durchführung des Projektes. Die Gaststätte zeigt sich damit im Wandel des Zeitgeschmacks und aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln.

Ergänzt wird die Ausstellung durch ein umfangreiches Vortrags- und Diskussionsprogramm.

Welche Geschichte hat das Haus?

Das "Picknick" war 1961 eines der ersten Selbstbedienungsrestaurants in Dresden. Gebaut wurde es nach den Plänen der Architekten Günter Gruner (* 1931), Gerhard Landgraf (*1931) und Herbert Löschau (1932 – 2005) vom VEB Hochbauprojektierung Dresden. Hinzu kamen Heinz Zimmermann und Martin Gersdorf für die Innenarchitektur.

Am 14. Juli 1961 wurde das Restaurant eröffnet. Es besaß Einzelbuffets für kalte und warme Speisen, Getränke, Back- und Handelswaren sowie einen Tabakverkauf. Die Preise waren niedrig und das Lokal hoch frequentiert. Vielen Dresdnern ist das Lokal jedoch als „Dreckscher Löffel“ bekannt, da es viele Jahre ein Hygieneproblem gab. Die Erinnerungen an Besuche des Hauses, unter anderem mit Schabenwettrennen, sind vielen Dresdnern noch gegenwärtig.

Nach 1990 wurde der Pavillonbau nach einer Zwischennutzung als Küchenstudio mit Bistro nur noch temporär genutzt. Seit 15 Jahren steht er leer, eine denkmalpflegerische Unterschutzstellung wurde 2013 abgelehnt, der Abriss ist beschlossen und wird demnächst umgesetzt.

Für Günter Gruner, einen der Architekten des Hauses, wird der Abriss schmerzlich. Doch den Umgang mit seinen Gebäuden ist er bereits gewohnt. Zwei weitere bekannte Dresdner Gastronomie-Einrichtungen, die er mit entworfen hat, gibt es bereits nicht mehr. Er wird im Rahmenprogramm am 14. Juli in der Diskussion auch zu Wort kommen.

Das Restaurant im Eröffnungsjahr 1961.
Das Restaurant im Eröffnungsjahr 1961. © SZ/Archiv, Höhne/Pohl

Welche Veranstaltungen sind geplant?

Mittwoch, 14. Juli 2021

19 – ca. 20.30 Uhr: Diskussion „Architektur des/am Picknick“, Moderation: Prof. Dr. Henning Haupt (TU Dresden, Professur für Gestaltungslehre), Dipl.-Ing. Günter Gruner (Architekt des "Picknick"), Julian Brendler (Studierender TU Dresden, Professur für Gestaltungslehre), Dipl.-Ing. Dirk Lorenz oder Dipl.-Ing. Falk Leinert (Leinert Lorenz Architekten), Steffen Funk (Niederlassungsleiter Quarterback Immobilien AG)

Günter Gruner entwarf 1961 zusammen mit seinen Kollegen Landgraf und Löschau das pick-nick, das 30 Jahre als Restaurant genutzt wurde und nun seit vielen Jahren leer steht. Wie könnte man es heute erhalten und um-nutzen? Julian Brendler stellt seine Ideen dazu vor, die aus einem Seminar an der TU Dresden hervorgingen. Sie kontrastieren mit den Abriss- und Neubauplänen der Quarterback Immobilien AG, die von Leinert Lorenz Architekten und Steffen Funk präsentiert werden.

Anmeldung erforderlich unter [email protected] oder 0351-4887272 von Mo – Fr 9 – 17 Uhr.

Sonntag, 18. Juli 2021

17 – ca. 18.30 Uhr: Vortrag und Diskussion zum Thema Ostmoderne zwischen Abrissbirne und Hype, Veranstalter: Zentrum für Baukultur Dresden (ZfBK), Moderation: Till Schuster (ZfBK), Vortrag Prof. Dr. Daniela Spiegel (Hochschule Anhalt in Dessau, Baugeschichte und Denkmalpflege): „Milchbars, Stuben, Spezialitätenrestaurants. Gaststättenarchitektur in der DDR“ (Dauer ca. 30 min). Anschließend Kurzinput zum aktuellen Umgang mit Architektur der Ostmoderne in Dresden und darüber hinaus aus Sicht des Netzwerks ostmodern.org sowie Diskussion mit Dr. Claudia Quiring, Kustodin für Baugeschichte und Stadtentwicklung am Stadtmuseum Dresden, Prof. Dr. Henning Haupt, Professur für Gestaltungslehre an der TU Dresden und Marco Dziallas vom Netzwerk ostmodern.org.

Anmeldung erforderlich unter [email protected] oder 0351-4887272 von Mo – Fr 9 – 17 Uhr.

Samstag, 24. Juli 2021

15 – 18 Uhr: Erzählcafé „So sah's damals eben aus ... Architektur im DDR-Alltag“

Im ehemaligen Picknick unternehmen Sie eine kleine Reise zurück in die Zeit, als dieser und ähnliche Orte zum Straßenbild Dresdens gehörten. Alle sind herzlich eingeladen, Ihre Erinnerungen an DDR-typische Architektur und wie sie Sie in Ihrem Alltag und Ihrer Freizeit erlebt haben, zu erzählen.

Keine Anmeldung erforderlich.

Museumsnacht, Samstag, 24. Juli 2021

18.30 / 19.30 / 20.30 / 21.30 Uhr: Mitmachaktion für alle: Eigene "Küchen-Renn-Kakerlaken" gestalten und anschließend gegeneinander ins Wettrennen schicken

Sonntag, 8. August 2021

12 – 17 Uhr: „Picknick am Picknick“, Grunaer Straße 28, mit gastronomischem Angebot von „Zur Tonne“

Letzte Chance: Erleben Sie noch ein allerletztes Mal das ehemalige Restaurant als Ort für kulinarische Genüsse – danach wird abgerissen!

Öffnungszeiten der Ausstellung

Mittwoch von 14 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag von 10 bis 18 Uhr. Der Einritt ist frei.