SZ + Dresden
Merken

"Dresden leistet sich den Luxus, Erzieher in Teilzeit zu zwingen"

In Dresden sind dutzende Stellen in den Kitas unbesetzt. Trotzdem hält die Stadt an unsicheren Verträgen fest, die die Erzieher belasten.

Von Julia Vollmer
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Dresden Kitas fehlt es an Erziehern. Doch an den umstrittenen Verträgen hält die Stadt trotzdem fest.
Dresden Kitas fehlt es an Erziehern. Doch an den umstrittenen Verträgen hält die Stadt trotzdem fest. © SZ/Uwe Soeder

Dresden. Kranke Kinder, gestresste Eltern, kein Homeoffice: Für die Dresdner Erzieherinnen und Erzieher waren die letzten zwei Jahre eine harte Zeit. Die Corona-Pandemie wirkte wie ein Brennglas auf die ohnehin überlasteten Mitarbeiter, die aufgrund des schlechten Personalschlüssels in den Kitas einen harten Job haben.

Die Mitarbeitenden kamen zuletzt immer wieder an ihre Grenzen und streikten mehrfach im Frühling - für mehr Anerkennung ihrer Arbeit und bessere Arbeitsbedingungen. Ein großer Kritikpunkt der Erzieherinnen und Erzieher der städtischen Kitas in Dresden: die Flex-Verträge. Jetzt sollen diese abgeschafft werden, zumindest fordert das die SPD-Stadtratsfraktion.

Was genau wird kritisiert?

Seit Jahren kritisieren die Erziehenden und auch die Gewerkschaften Verdi und GEW die sogenannten Flex-Verträge im Dresdner Eigenbetrieb Kita und den freien Trägern. Dieser setzt auf ein 32-Plus Wochenstundenmodell.

Mit diesen Verträgen kann die Stadt mit einer Vorlaufzeit von 14 Tagen Stunden kürzen oder wieder aufstocken – je nach Betreuungsbedarf in den Einrichtungen. Also je nachdem, ob etwa in den Ferien mehr oder weniger Kinder da sind. Das heißt aber im Umkehrschluss für die Mitarbeitenden in den Kitas: Sie wissen nie genau, wie viele Stunden sie arbeiten und wie viel Gehalt sie am Ende des Monats bekommen. Eine untragbare Situation.

Was macht die Stadt, um die Lage zu verbessern?

Bisher ist nicht viel passiert, die Flex-Verträge bleiben. "Im Dezember 2020 hatte der Stadtrat die Verwaltung beauftragt, andere Personalmodelle mit Festverträgen bezüglich der Arbeitszeit im Eigenbetrieb Kita zu entwickeln. Eine Umsetzung ist bislang nicht erfolgt, auch eine Beschlusskontrolle zu der entsprechenden Vorlage zeugt von wenig Umsetzungswillen seitens der Verwaltung", ärgert sich SPD-Fraktionschefin und Bildungsexpertin Dana Frohwieser.

Nun fordert die SPD-Fraktion die Abschaffung der 32-Plus-Verträge. Verträge sollen mit einer festen Arbeitszeit für jeden Mitarbeitenden verankert werden. Außerdem, so der Antrag, soll die Stadt ein Modell entwickeln, wie die typischen Schwankungen der Kinderzahlen im Verlauf eines Jahres in der Betreuung ausgeglichen werden können.

"Dresden leistet sich in Zeiten eines eklatanten Fachkräftemangels den Luxus, Beschäftigte in den städtischen Kitas in Teilzeitarbeitsverträge zu zwingen, die dann aber monatsweise, je nach Bedarf der Stadt, regelmäßig Vollzeit arbeiten", so Dana Frohwieser.

Diese "unwürdige Praxis" der sogenannten Flexverträge gehöre endlich abgeschafft. "Es steht der Stadt Dresden mehr als schlecht zu Gesicht, wenn sie die wirtschaftlichen Risiken des Eigenbetriebs allein auf die Beschäftigten abwälzt. Erzieher werden in Dresden, in ganz Sachsen, in Deutschland händeringend gesucht."

Als gute Arbeitgeberin müsse die Stadt ihren Beschäftigten Sicherheit durch ein regelmäßiges und planbares Einkommen gewähren. Auch für die Kinder ist das mitunter ein Problem. Wenn der oder die Bezugserzieher unregelmäßig arbeiten, wird auch nicht jedes Kind immer von der gleichen Person betreut. Das ist unschön für alle.

Warum hält die Stadt bisher an den Verträgen fest?

Bildungsbürgermeister Jan Donhauser (CDU) kennt das Problem. Fragt man ihn, wie viele seiner Mitarbeitenden von diesen unsicheren Verträgen betroffen sind, muss er einräumen: Eigentlich fast alle.

"Von den 2.796 Beschäftigten sind 282 Beschäftigte in Vollzeit mit 39 Stunden und 2.370 Beschäftigte haben einen 32h+X-Vertrag", sagt er. Die restlichen 144 Beschäftigten haben einen Arbeitsvertrag ohne Abrufklausel, also Festverträge. Und offene Stellen gibt es jede Menge.

"Im Juni 2022 gab es ein Personaldefizit von insgesamt rund 60 Vollzeitkräften. Diese Zahl summiert sich über alle 175 kommunalen Einrichtungen", sagt Donhauser. Die Zahl schwanke. Neueinstellungen würden erst mit dem Abschluss des Ausbildungsjahrgangs im Herbst passieren.

"Wir haben eine Befragung gestartet unter den Erziehern, ob und wie zufrieden sie mit den Flex-Verträgen sind", sagt er im SZ-Gespräch. Diese soll in den nächsten Wochen abgeschlossen sein. Je nach Ausgang der Umfrage könne er sich auch andere Optionen vorstellen. "Ich verschließe mich da keiner anderen Lösung, auch 35 plus x Stunde ist denkbar oder Vollzeit", sagt er.

Aber, so gibt er zu bedenken, wenn die Erzieher mehr Stunden arbeiten, würde das auch mehr kosten. "Ich gehe da von rund elf Millionen Euro extra aus", so Donhauser.

Wie lösen die freien Träger das Problem?

In Dresden gibt es neben den Kitas der Stadt noch eine Reihe von Einrichtungen von freien Trägern. Wie etwa die Johanniter. Auch der freie Träger arbeitet nach Angaben von Sprecherin Sophie Koch mit diesen Flex-Verträgen, "um flexibel auf die Kinderzahlen reagieren zu können".

Von den 35 Erziehenden, die die Johanniter in Dresden beschäftigen, arbeitet nur einer in Vollzeit. Dafür haben sie aber auch vier freie Stellen und suchen, wie alle anderen, händeringend nach Fachkräften.

Bei den Diakonie-Kitas arbeiten von rund 180 pädagogischen Fachkräften nur fünf bis zehn in Vollzeit - genau kann Sprecherin Susanne Jetter das nicht sagen. Flex-Veträge gibt es hier nicht. "Nein, es gibt in den Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie keine "Arbeit auf Abruf" oder Flex-Verträge." Aber auch hier gibt es freie Stellen. "Derzeit gestaltet sich die Suche wieder schwieriger als im Frühjahr", sagt sie.

AWO und Rotes Kreuz fühlten sich trotzdem mehrerer Nachfragen nicht in der Lage zu antworten.