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"Lehnt der Stadtrat die Standorte ab, müssen wir auf Notlösungen zurückgreifen"

Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) spricht im Interview darüber, dass die Geflüchteten bei Ablehnung der Pläne in der Messe und in Turnhallen untergebracht werden müssen. Etwa in der vom Dreikönigsgymnasium, dem Gymnasium Bürgerwiese oder vom Bertolt-Brecht-Gymnasium.

Von Julia Vollmer
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Im Interview spricht nun Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) über die aktuelle Lage.
Im Interview spricht nun Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) über die aktuelle Lage. © Sven Ellger

Dresden. In diesem Jahr erwartet Dresden rund 2200 neue geflüchtete Menschen. Neun Standorte für mobile Raumeinheiten schlägt die Dresdner Stadtspitze vor, in denen gut 800 der Menschen in diesem Jahr untergebracht werden sollen. Dafür gab es bisher Zustimmung, aber auch viel Kritik und Ablehnung in den Stadtbezirksbeiräten.

Lehnt der Rat ab, muss die Stadt andere Optionen finden. Auf die Anfrage von SPD-Stadtrat Vincent Drews, welche Schulsporthallen konkret betroffen wären, antwortete Baubürgermeister Stephan Kühn (Grüne) am Donnerstag im Stadtrat: "Sollte die Vorlage komplett abgelehnt werden und sich die Zahl der unterzubringenden Personen bestätigen, dann muss weitgehend jede Dresdner Turnhalle mit Geflüchteten belegt werden." Im Interview spricht nun Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) über die aktuelle Lage.

Frau Kaufmann, bisher gab es auch Ablehnung für die Container-Standorte in den Stadtbezirksbeiräten, was sind die Konsequenzen, wenn auch der Stadtrat die Vorlage ablehnt?

Wir gehen aktuell von 2.200 geflüchteten Menschen für 2023 aus, die wir aufnehmen müssen. Diese Zahlen basieren auf Aussagen der Bundesinnenministerin. Die zentrale Frage ist: Kommen die Menschen und können wir sie unterbringen? Wir haben aktuell keine Wohnungen für Asylsuchende in Dresden. Das ist eine riesige Herausforderung. Bei den anerkannten Geflüchteten ist es nicht besser. Es gibt in Dresden über 840 anerkannte Geflüchtete, die eine Wohnung anmieten könnten aufgrund ihres Aufenthaltsstatus. Sie finden aber keine und das Sozialamt muss sie unterbringen.

Welche Turnhallen müssen konkret belegt werden, wenn der Stadtrat am 11. Mai die Vorlage ablehnt?

Alle unsere Puffer sind ab Herbst 2023 aufgebraucht, wir haben ein Kapazitätsproblem. Der Baubürgermeister entwickelt deshalb neun Standorte mit mobilen Raumeinheiten. Dort könnten wir schnell insgesamt 824 Plätze schaffen. Es ist Pflicht der Kommune, Geflüchtete aufzunehmen und unterzubringen. Sollte der Stadtrat die Container-Standorte ablehnen, müssen wir auf Notlösungen zurückgreifen. Das bedeutet dann, die Turnhallen und die Messe zu aktivieren.

Welche werden das zuerst sein und ab wann?

Das steht derzeit noch nicht fest. Fakt ist: Wir müssen auf Standards achten. Beispielsweise, dass die Hallen mit ausreichend Toiletten und Duschen ausgestattet sind aber vor allem der Brandschutz eingehalten wird. Das gilt etwa sowohl für frisch sanierte Hallen wie die vom Dreikönigsgymnasium, dem Gymnasium Bürgerwiese oder vom Bertolt-Brecht-Gymnasium. Die Stadt kann auch Hoteliers ansprechen, aber das wird schwierig, weil jetzt die Saison mit Touristen richtig losgeht. Sporthallen und die Messe kommen nur in Betracht, wenn die neun Container-Standorte nicht zur Verfügung stehen. Das gilt es zu verhindern.

Ab wann müssen die Hallen belegt werden und für welche Zeitdauer? Die Unterbringung über längere Zeit in Turnhallen und der Messe ist alles andere als menschenwürdig…

Aus der Erfahrung der letzten Jahre machen sich viele Geflüchtete im Sommer und Frühherbst auf den Weg. Wir haben aber auch jetzt schon drei- bis vierfach vermehrte Zuwanderung. Ab Herbst benötigen wir die Kapazitäten in den Mobilen Raumeinheiten. Aktuell haben wir noch Puffer im Eventwerk, die Cityherberge soll ab dem Sommer genutzt werden. Wir können aber nicht allzu lange warten. Die Container können nicht von heute auf morgen errichtet werden. Das braucht etwas Vorlauf.

Wie lange sollen die geflüchteten Menschen dann nach derzeitigem Stand in den Containern oder eben in den Turnhallen bleiben müssen?

Wir müssen die Menschen dann so lange dort unterbringen, bis wir sie in Häuser und Wohnungen unterbringen können. Die Container-Standorte sollen für zwei Jahre genutzt werden. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich finde bereits die Unterbringung von Menschen in Containern menschlich schwer erträglich. Und Turnhallen sind definitiv für Sport da und nicht als wochenlange Notschlafplätze für Menschen. Dort ist nie richtig Ruhe zum Schlafen, das Licht kann oft nur aus- oder angeschaltet werden.

Sollte der Stadtrat alle oder einzelne Standorte ablehnen, hat die Stadt noch andere Standorte als Alternative?

Nein. Die Stadt hat 29 Liegenschaften in ihrem eigenen Eigentum geprüft, aber davon sind genau die neun vorgeschlagenen übriggeblieben. Bei den anderen gibt es Gründe, die dagegen sprechen. Entweder sind die Standorte zu klein, mit großen Bäumen bestanden, teils liegen Kleingärten darauf oder die Lärm- und Emissionbelästigung ist zu hoch. Wir können rechtlich nicht außerhalb Dresdens Liegenschaften aktivieren, aber die Bürgerinnen und Bürger können Wohnraum anbieten. Auf unsere Bitte an die Genossenschaften, uns mit Wohnraum für Geflüchtete zu unterstützen, kam leider noch nichts zurück. Da würde ich mir mehr Engagement wünschen.

Wie sieht denn Ihr Plan aus, um schnell mehr Raum zu schaffen? Der Wohnraum in Dresden ist sehr knapp.

Wir wollen zum Beispiel die kommunalen Gebäude an der Uthmannstraße oder an der Blasewitzer Straße sanieren und auch alte Kitas reaktivieren und sanieren, aber das braucht Zeit und Geld.

Wie ist der Stand bei der Cityherberge? Dort sollen auch viele Geflüchtete untergebracht werden.

Ab dem dritten Quartal wird die Cityherberge in Betrieb gehen als zentrale Unterkunft. Mit 140 Plätzen im ersten Schritt und danach können wir noch einmal auf in Summe 280 Plätze aufstocken. Auch das Eventwerk bleibt erst einmal als Unterkunft bestehen. Dort läuft es völlig unproblematisch, trotzdem bereits über 200 Menschen untergebracht worden sind.

Es gab viel Kritik und auch rassistische Pöbeleien bei den Bürgerveranstaltungen und in den Stadtbezirksbeiräten, wie geht es Ihnen persönlich damit?

Ich kann die Ängste der Bürger verstehen, denn die meisten haben noch niemals persönlichen Kontakt mit einem Geflüchteten gehabt. Umso mehr ärgere ich mich, dass von einigen Parteien die herrschenden Ängste noch befeuert werden. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, diesen Vorurteilen und starken Behauptungen mit Fakten zu begegnen. Mir als Mensch geht es extrem nahe, wenn ich höre, wie Menschen über andere Menschen urteilen, die vor allem noch gar nicht da sind. Wie das Schutzrecht mit Füßen getreten wird. Die Härte des Diskurses ist neu. Mein Appell an alle Bürgerinnen und Bürger lautet: Lassen Sie uns menschlich bleiben.

Bekommen Sie auch Briefe und Mails mit Kritik und Bedrohungen ins Rathaus, so wie es Politikerinnen und Politiker und Journalisten derzeit erleben?

Ja, es gibt auch solche Briefe und Mails, die hier im Rathaus ankommen. Auch dass wir jetzt einen Wachschutz zum Diskurs bekommen, ist neu und dass wir körperliche Übergriffe befürchten müssen. Aber es ist wichtig, nicht nur auf die Pöbler zu fokussieren, sondern auch auf die engagierten Menschen. Es gibt mutige und couragierten Menschen, die von ihren positiven Erlebnissen berichten. Auch sie melden sich bei Diskussionen und bei mir zu Wort, berichten über ihre Wirklichkeit zumeist in ehrenamtlicher Arbeit und bestärken die Stadtverwaltung, bestärken auch mich, die Unterbringung der Geflüchteten so menschlich und professionell wie möglich zu organisieren und auf Zelte, Sport- und Messehallen zu verzichten. Es melden sich auch Leute bei uns, die den neuen Nachbarn konkret helfen wollen. Selbst WG-Zimmer wurden bereits angeboten.

Wie lief der Start bei der Unterbringung in Sporbitz? Auch dort gab es vorab viel Protest, auch von den rechtsextremen Freien Sachsen.

Es leben aktuell 42 alleinstehende geflüchtete Männer aus Syrien und Afghanistan dort. Sie alle haben eine aufenthaltsrechtliche Anerkennung. Sie könnten also schon in Wohnungen leben, wenn wir Wohnraum hätten. Der Bezug lief völlig reibungslos und ruhig.