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Ratenzahlung statt Knast: Gibt es bald neue Regeln für Schwarzfahrer in Dresden?

Wer als Schwarzfahrer nicht zahlen kann oder Wiederholungstäter ist, musste bisher mit einer Gefängnisstraße rechnen. Zumindest in Dresden soll sich das nun ändern - fordern Politiker. Die Verkehrsbetriebe sind skeptisch.

Von Julia Vollmer
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Wer sein Schwarzfahrer-Knöllchen in Dresden nicht zahlen kann, muss bei Wiederholung mit einer Gefängnisstrafe rechnen.
Wer sein Schwarzfahrer-Knöllchen in Dresden nicht zahlen kann, muss bei Wiederholung mit einer Gefängnisstrafe rechnen. © Robert Michael

Dresden. Wer ohne Ticket Bus oder Bahn fährt, macht sich strafbar. "Erschleichen einer Leistung" heißt das im Amtsdeutsch. Das kostet aktuell mindestens 60 Euro. Wer das nicht zahlen kann oder will, kann unter Umständen sogar zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden, einer sogenannten Ersatzfreiheitsstrafe. Dresdner Politikern geht das allerdings zu weit. Sie wollen Schwarzfahrern das Gefängnis in Zukunft ersparen - ohne dabei gegen Bundesgesetze zu verstoßen. Wie das gehen soll und wie die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) darauf reagieren? Der Plan und die Reaktionen.

Welche neuen Regeln sollen für Schwarzfahrer in Dresden gelten?

Die Dissidenten-Fraktion im Stadtrat will Schwarzfahren entkriminalisieren, wie es heißt. Das ist der zweite Anlauf eines solchen Antrags, der erste wurde abgelehnt aufgrund des Wortlauts. Die Begründung für das Scheitern: "Der Stadtrat oder der Oberbürgermeister dürfen kein Wirtschaftsunternehmen anweisen."

Warum gibt es nun einen zweiten Anlauf? "Die aktuelle Gesetzeslage ist unverhältnismäßig", sagt Dissidenten-Stadtrat Martin Schulte-Wissermann. Am Bundesgesetz könne man nicht rütteln, aber über den Stadtrat Einfluss auf die Dresdner Verkehrsbetriebe ausüben. So lautet zumindest der Plan.

Mit einem neuen Antrag wollen die Dissidenten bewirken, dass die DVB in Zukunft auf Strafanzeigen wegen Fahrens ohne Fahrschein verzichten. Dies sei möglich, da der "Schwarzfahr-Paragraf" besage, dass der Diebstahl oder die Unterschlagung geringwertiger Sachen und Leistungen nur auf Antrag verfolgt wird. "Wenn die DVB also auf die Anzeige verzichten, entfallen faktisch die strafrechtlichen Konsequenzen", so Schulte-Wissermann. Die DVB sollen ihren Anspruch auf das erhöhte Beförderungsentgelt von aktuell 60 Euro aber behalten.

Wer kritisiert die bisherige Praxi mit Gefängnisstrafen?

Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in Dresden kritisieren das schon lange als unverhältnismäßig hart. Denn Menschen, die keinen Fahrschein kaufen, leben mitunter in prekären Situationen. Hier werde dann Armut bestraft, heißt es. Trotz einer Reform, die die Strafen verkürzt, ist unbezahltes Schwarzfahren nach wie vor eine Straftat.

"Wir wissen, dass Geldstrafen für Menschen im Sozialleistungsbezug viel zu hoch bemessen sind. Menschen, die jeden Cent dreimal umdrehen müssen und beim Schwarzfahren erwischt werden, können die Geldstrafe realistisch kaum durch Konsumverzicht aufbringen. Armut wirkt sich bei ihnen damit strafschärfend aus", sagt Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa.

Dresdner Sozialarbeiter betonten zuletzt, dass es wichtig wäre, wenn sich wohnungs- und obdachlose Menschen kostenlos per Bus und Bahn durch die Stadt bewegen könnten. Die Angebote der Sozialen Arbeit liegen in der ganzen Stadt verteilt und gerade im Winter würden viele bei Minusgraden zwei Stunden Fußmarsch auf sich nehmen müssen. Einige würde dann hin und wieder Schwarzfahren, das Strafticket könnten sie nicht zahlen. Ein Teufelskreis.

Wie viele Schwarzfahrer erwischen die Kontrolleure im Jahr?

Zahlen, wie viele Menschen in Dresden 2023 ohne Ticket erwischt wurden, kann DVB-Sprecher Falk Lösch noch nicht liefern. Für 2022 sagt er: "Wir haben insgesamt 1,27 Millionen Fahrgäste kontrolliert." Dabei habe man eine Beanstandungsquote von 2,74 Prozent festgestellt - also Personen, die ohne gültigen Fahrausweis angetroffen wurden. Dazu gehören aber auch Menschen, die ihre Monatskarte vergessen hatten und diese noch nachreichen konnten.

Im Jahr 2022 haben die Verkehrsbetriebe über 3.000 Strafanträge gestellt, so Lösch. "Nicht alle Strafanträge sind wegen Fahrens ohne Fahrschein." Wer einen gültigen Fahrschein hat, aber die Kontrolleure bedrängt oder tätlich angeht, bekomme ebenfalls einen. Manchmal werden Vorgänge auch zusammengefasst. "Aus unserer Erfahrung landen die wenigsten vor Gericht. Viele Anträge werden eingestellt. Manchmal wegen Geringfügigkeit, manchmal weil sich die Betroffenen doch besinnen und ihre Gebühr bezahlen", so der DVB-Sprecher.

Wie viele Schwarzfahrer gingen ins Gefängnis?

Die Zahl der Menschen, die zuletzt von der Dresdner Staatsanwaltschaft zu Ersatzfreiheitsstrafen verurteilt wurden, sind hoch. Laut Sprecher Jürgen Schmidt von der Staatsanwaltschaft waren es im ersten Halbjahr 2023 genau 350 Menschen, im Jahr 2022 rund 970.

Was sagen die DVB zum Plan der Dissidenten-Stadträte?

DVB-Sprecher Falk Lösch ist kein Befürworter der Herabstufung des Schwarzfahrens zu einer Ordnungswidrigkeit. Das "bagatellisiere" das Delikt und könne die Hemmschwelle heruntersetzen, findet er.

Darüber hinaus würden die Verkehrsbetriebe Möglichkeiten anbieten, einer möglichen Gefängnisstrafe zu entgehen. "Ja, wir lassen eine Ratenzahlung zu, wenn die Betroffenen darum bitten", so Lösch. Die 60 Euro können also abgestottert werden.

Wer beim ersten Mal seiner Zahlungsverpflichtung nicht nachkam und wieder erwischt wird, erhalte diese Möglichkeit jedoch nicht mehr, so Lösch weiter.

Verbessern ermäßigte Tickets wie das Deutschlandticket die Lage?

Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne) sagte schon 2022: "Strafrecht muss ultima ratio sein. Es ist an der Zeit, das Fahren ohne Fahrschein aus dem Strafgesetzbuch zu streichen." Durch die gute Nutzung des 9-Euro-Tickets habe man gesehen, dass eine "kostengünstige und allgemeine Fahrpreisgestaltung Straftaten der Beförderungserschleichung drastisch reduziert" würden.

Laut Meier meldeten die sächsischen Staatsanwaltschaften einen Rückgang der Zahl der Ermittlungsverfahren wegen des" Verdachts des Erschleichens von Leistungen" während der Geltungsdauer des 9-Euro-Tickets im Jahr 2022. Wurden in den Monaten Januar bis April noch sachsenweit zwischen 678 und 916 Ermittlungsverfahren wegen Leistungserschleichung eingeleitet, betrug die Anzahl neuer Verfahren in 2022 in den Monaten Juni 121, im Juli 96 und im August 47.

Die Justizministerin betont auch, dass die Kosten, die der Freistaat für die Vollstreckungen der Ersatzfreiheitsstrafen zahlen muss, hoch sind. So kamen 2021 insgesamt 9,81 Millionen Euro zusammen. Der Tagessatz pro Person liegt bei 140,13 Euro. Für 2020 waren es in Summe 11,67 Millionen Euro.