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Szene-Kneipe "Trotzdem" in Dresden-Neustadt steht vor dem Aus

Seit 23 Jahren ist die Kneipe "Trotzdem" Kult in der Dresdner Neustadt, jetzt steht die Schließung im Raum. Die letzte Hoffnung ist eine Spendenaktion, die das "Wohnzimmer der Dresdner" retten soll.

Von Juliane Just
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Die Kultkneipe "Trotzdem" in der Dresdner Neustadt hat finanzielle Sorgen. "Wir wissen nicht, ob wir das nächste Jahr noch schaffen", sagt Inhaber Steffen Otto.
Die Kultkneipe "Trotzdem" in der Dresdner Neustadt hat finanzielle Sorgen. "Wir wissen nicht, ob wir das nächste Jahr noch schaffen", sagt Inhaber Steffen Otto. © Matthias Rietschel

Dresden. An das schummrige Licht müssen sich die Augen erst einmal gewöhnen. In der Szene-Kneipe "Trotzdem" ist es noch still, kalter Rauch hängt in der Luft. Inhaber Steffen Otto steht hinter dem Tresen und blickt besorgt in den Raum. Seit 23 Jahren gibt es die Kneipe an der Alaunstraße 81, nun erdrücken finanzielle Nöte das kleine Lokal.

"Hier ist es jeden Abend voll", sagt Steffen Otto. Die 70 Plätze, die sich auf drei Räume erstrecken, bleiben fast nie leer. Und trotzdem reichen die Einnahmen nicht. Nach der Corona-Pandemie und mit steigender Inflation trinken die Gäste weniger und "halten ihre Pfenge beieinander". Und dem Inhaber geht es nicht anders.

Corona zwang Gastronomen in Deutschland vom einen auf den anderen Tag zum Nichtstun. Lockdown, keine Gäste, geschlossen, wochenlang. Steffen Otto beantragte die Corona-Hilfen vom Staat, hielt das Lokal damit über Wasser. Er selbst wurde Hartz-IV-Empfänger. Man merkt ihm an, dass er diese dunkle Zeit noch in den Knochen hat. Ein Kredit, der die Kneipe in dieser Zeit finanziell rettete, wächst ihm jetzt, zwei Jahre später, über den Kopf. Die Raten sind kaum noch zu tilgen.

Kneipen-Wirt muss übers Aufgeben nachdenken

"Wir haben vor zwei Monaten erstmals laut übers Aufgeben nachgedacht", sagt Steffen Otto. Mit "Wir" meint er auch seine Frau Johanna Kalex, die die Kneipe im Jahr 2000 eröffnete. Es seien ihr viele Steine in den Weg gelegt worden - bei der Kneipe, aber auch im Leben. Genau deswegen heißt das Lokal auch "Trotzdem" - trotz allen widrigen Umständen. Er übernahm das Lokal einige Jahre später, sie ist weiter Mitarbeiterin und Herz des Hauses.

Von Beginn an sei das hier das "Wohnzimmer der Dresdner" gewesen, sagt Steffen Otto. Die Einrichtung wirkt an manchen Ecken zusammengewürfelt, doch hier hat jedes Teil seine Geschichte. Die Theke haben sie selbst gebaut, das Holz haben sie aus dem Wald geschleppt. Sie fanden Rohre und bauten sie ein. Sie meckerten nicht, sie klotzten. Es ist eben nicht alles blitzeblank, aber das macht das "Trotzdem" aus. Kultig-charmant, wie die Neustadt eben so ist.

Dieser Kerzenständer gehört zu den besonderen Einrichtungsgegenständen in der Kneipe "Trotzdem". Seit 23 Jahren brennen die Kerzen fast jeden Abend. "Das hat in der Geschichte der Kneipe schon zwei Mal fast zum Kneipenbrand geführt", sagt der Inhaber.
Dieser Kerzenständer gehört zu den besonderen Einrichtungsgegenständen in der Kneipe "Trotzdem". Seit 23 Jahren brennen die Kerzen fast jeden Abend. "Das hat in der Geschichte der Kneipe schon zwei Mal fast zum Kneipenbrand geführt", sagt der Inhaber. © Matthias Rietschel

Und das sehen auch andere so. Thomas Hamm, ein Stammgast der Kneipe, hörte von den Sorgen der beiden Gastronomen. Er hatte die Idee, Spenden für das Lokal zu sammeln. Über die Plattform "Gofundme" ging ein Hilferuf hinaus in die Welt: Bitte rettet unser "Trotzdem". Dort werden per Crowdfunding, eine Art Schwarmfinanzierung, Spenden gesammelt. Jeder gibt, so viel er kann oder will. Die Spendenaktion läuft voraussichtlich noch bis Ende des Jahres.

Spendenaktion mit überwältigendem Zuspruch

Schon wenige Stunden nach Beginn wurde klar: Das "Trotzdem" ist für die Dresdner scheinbar nicht wegzudenken. Der Zuspruch überrollte die beiden Gastronomen, die all das mit so viel Inbrunst aufgebaut haben. Binnen zwei Wochen sind über 10.000 Euro für die Rettung der Kneipe zusammengekommen. "Wir beobachten das gerade mit einer Mischung aus Rührung und Erstaunen", sagt Steffen Otto und seine Frau fügt an: "...und wahnsinniger Freude und aufkeimender Hoffnung, dass wir als Kneipe überleben und aus wirklich großer Dankbarkeit allen Spendern gegenüber."

Das war auch die Idee hinter der Kneipe: Ein sozialer Treffpunkt, ein zweites Wohnzimmer, ein Ort zum Runterkommen. "Das ist richtiges Neustadt-Flair", beschreibt der Inhaber. Sie wollten keine Kneipe unter dem Motto 'Hier trink und geh' nach Hause'. Drei Ehen hätten sie hier gestiftet, das spricht für sich. Ein kurioses Highlight sei es auch gewesen, als die Szene-Kneipe zum Endpunkt eines europäischen Tramper-Treffens wurde. Plötzlich hätten 100 Kostümierte vor der Kneipe gestanden. "Es war eine Faschingsparty, die den Laden gesprengt hat", erinnert sich Otto.

Das vierköpfige Team legt großen Wert auf seine Stammgäste. Bei denen steht das Lieblingsgetränk schon auf dem Tisch, bevor sie ihre Jacke abgestreift und sich gesetzt haben. Die Preise seien bewusst niedrig gehalten worden, damit auch Menschen hier einen Platz haben, "die es nicht so dicke haben". Die Kneipe habe nie großen Profit gemacht, aber zum Leben habe es eben gereicht.

Am Ende merkt Steffen Otto, dass ihm all das jetzt zugutekommt und seine Gäste bei ihm stehen. Schon 25 Minuten vor der Öffnung klopft ein Gast an die Tür. "Das ist oft so. Sie können es einfach nicht erwarten", sagt der Inhaber. Heute Abend wird er bis 3 Uhr hinter der Bar stehen und die Gäste bedienen. Weil das eben schon immer so war.