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200 Millionen Euro: Soll Dresden sein Tafelsilber in der Krise verkaufen?

Viel Geld ist für Beschlüsse gebunden, die womöglich nie umgesetzt werden. Sollten diese Millionen jetzt ausgegeben werden, um Dresden krisenfest zu machen?

Von Dirk Hein
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Die Stadt Dresden hat 350 Millionen Euro in nicht umgesetzten Projekten gebunden.
Die Stadt Dresden hat 350 Millionen Euro in nicht umgesetzten Projekten gebunden. © Robert Michael

Dresden. Trotz Rekordeinnahmen ist der Haushalt der Landeshauptstadt für die nächsten beiden Jahre erneut auf Kante genäht. Viele Ämter haben einen dringenden Mehrbedarf angemeldet, der in den bisherigen Planungen nicht berücksichtigt werden konnte. Vor allem die Sozial- und Kulturpolitikerinnen haben Alarm geschlagen. Jetzt liegt ein neuer Vorschlag dazu vor, wie Dresden schnell wieder "flüssig" werden könnte.

Was sind Haushaltsausgabereste?

Dresden will ab sofort jährlich über zwei Milliarden Euro ausgeben. In den kommenden beiden Jahren stellt die Landeshauptstadt allein 396 Millionen Euro beziehungsweise 354 Millionen Euro für Investitionen zur Verfügung. Im Zeitraum bis 2027 stehen insgesamt fast 1,4 Milliarden Euro zum Beispiel für neue Schulen und den Ausbau von Straßen bereit.

Oft genug kann Dresden aber gar nicht so viel bauen, wie Geld für die Projekte bereitsteht. Das liegt zum einen daran, dass teilweise keine Handwerker gefunden werden. Manchmal braucht der Stadtrat aber auch lange bis zu einer finalen Entscheidung. Ein Beispiel dafür ist die noch immer nicht abschließend geplante aber längst finanzierte Sanierung der Königsbrücker Straße. In den letzten Jahren konnte das Rathaus kaum mehr als 220 Millionen Euro verbauen. 2021 waren es exakt 232,8 Millionen Euro.

Aktuell bunkert Dresden dadurch insgesamt 350 Millionen Euro. 95,8 Millionen Euro sind für die Dresdner Schulen reserviert, 74,8 Millionen für die Straßen der Stadt. 34,2 Millionen liegen unverbaut im Amt für Stadtplanung und Mobilität.

Wie könnte "Tafelsilber" zu Geld werden?

Grundsätzlich werden Gelder für Planungen oder Baumaßnahmen immer dann fest verplant, wenn der Stadtrat einen entsprechenden Beschluss getroffen hat. Der ist dann bindend. Das Geld wird, bis es tatsächlich gebraucht wird, auf den Konten der Stadt hinterlegt. Soll das Geld freigegeben und anders verwendet werden, braucht es dafür einen neuen Beschluss des Rates. Das passiert immer wieder, so zum Beispiel, wenn innerhalb des Amtes für Schulen Geld verschoben werden muss.

So ein Kassensturz kann aber auch für die kompletten Ausgabereste erfolgen. 2010 hatte der Stadtrat das nach großen Diskussionen beschlossen. Alle Verkehrsprojekte wurden damals auf den Prüfstand gestellt und priorisiert. Zudem wurde die damalige Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU), damit beauftragt, alle Projekte, die "nicht auf unabweisbaren rechtlichen Verpflichtungen oder entsprechenden Stadtratsbeschlüssen beruhen, aufzuzeigen" und "alle mit diesen Projekten verbundenen Leistungen vorerst einzustellen."

Ähnlich möchten jetzt die Freien Wähler/Freien Bürger im Stadtrat agieren. Susanne Dagen: "Wir müssen nicht umgesetzte aber finanzierte Beschlüsse abwickeln. Dresden muss das Augenmerk aus realistische Dinge setzen." Die Stadtverwaltung soll daher beauftragt werden, erneut eine Übersicht mit nicht realisierbaren oder weit in die Zukunft geschobenen Projekten zu erstellen. Der Stadtrat würde sich in einem neuen Beschluss für oder gegen das Abwickeln der Projekte entscheiden. Denkbar sei eine Größenordnung von 200 Millionen Euro.

Wofür wäre das Geld einsetzbar?

Auch darüber hat der Rat das letzte Wort. Die Freien Wähler/Freien Bürger schlagen eine Schwerpunktsetzung auf die Versorgungssicherheit der Landeshauptstadt vor. Rettungsdienst, Klinikum, Feuerwehr und Polizeibehörde sollen gestärkt werden. Konkret will die Fraktion erreichen, dass das Klinikum Neustadt als eigenständiger Standort erhalten bleibt.

Dresden soll zudem wesentlich besser für den sehr unwahrscheinlichen Fall eines echten Blackouts vorbereitet werden. "Krankenhäuser können einen Stromausfall nur 48 Stunden lang kompensieren, falls in dieser Zeit kein Diesel nachgeliefert wird", sagt Stadtrat Claus Lippmann. Wichtige Tankstellen seien nicht in der Lage, ohne Strom Kraftstoffe abzugeben. Durch ein Sonderprogramm soll Dresden in die Lage versetzt werden, "mindestens eine Woche lang die Versorgungssicherheit bei allen überlebenswichtigen Medien und Diensten" garantieren zu können.

Wie wahrscheinlich sind diese Pläne?

Die Freien Wähler/Freien Bürger sind in diesem Jahr erstmals in Haushaltsgespräche eingebunden. Die Fraktion will dabei erreichen, dass der von ihr geplante "Kassensturz" samt möglichem Verkauf von Tafelsilber als Begleitbeschluss zum Haushalt beschlossen und binnen eines halben Jahres umgesetzt wird.

Verhaltene Zustimmung zu einem Kassensturz kommt von den Dissidenten. Michael Schmelich: "Die Idee ist grundsätzlich richtig. Wir sollten uns über die reale Finanzlage im Klaren sein. Dresden darf nicht mit versteckten Vermögenswerten arbeiten." Allerdings bestünden auch Risiken. "Ob sich dadurch tatsächlich Spielräume ergeben, ist nicht gewiss. Viele Gelder stehen nur temporär zur Verfügung und werden später dringend gebraucht."

Ähnlich reagieren die Grünen. Fraktionschefin Christiane Filius-Jehne: "Es ist sicherlich richtig, regelmäßig zu hinterfragen, ob es sinnvoll ist, so viel Geld herumliegen zu haben, das Dresden offenkundig nicht ausgegeben bekommt." Die meisten Millionen seien jedoch für ganz konkrete Projekte zurückgelegt, die früher oder später anstehen würden. Zudem sei ein rasches Ausgeben der zur Verfügung stehenden Mittel vor allem in Zeiten drohender Strafzinsen wichtig gewesen. Aktuell könnten hingegen wieder Zinsen erwirtschaftet werden.

Dana Frohwieser (SPD) kritisiert hingen die neuen Pläne. "Ich halte davon nichts. In Krisenzeiten muss man investieren, nicht Gelder für Investitionen streichen." Zudem werde innerhalb der einzelnen Bereiche im Rathaus ständig geschaut, wo sich aus alten Beschlüssen heraus Geld für dringende aktuelle Vorhaben finden lasse.