Dresden
Merken

Dresdner Dissidenten: Bier, Politik und immer wieder Dirk Hilbert

Zehn Tage lang hat die Dissidenten-Fraktion ihr Büro aus dem Rathaus in die Dresdner Neustadt verlegt. Wer kommt da vorbei?

Von Dirk Hein
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Die Dresdner Dissidenten-Fraktion: Michael Schmelich (v. l.), Martin Schulte-Wissermann, Johannes Lichdi und Max Aschenbach.
Die Dresdner Dissidenten-Fraktion: Michael Schmelich (v. l.), Martin Schulte-Wissermann, Johannes Lichdi und Max Aschenbach. © Sven Ellger

Dresden. Mitarbeiter mit Bar-Erfahrung stehen bei den Dissidenten gerade hoch im Kurs. Zehn Tage lang hat die Fraktion die Kneipe "Daneben" in der Neustadt gemietet, bietet "Politik-Akutsprechstunden" an, lädt Gäste zum Tresen-Gespräch ein und organisiert Lesungen und Diskussionsrunden. Ein Besuch.

Politik in der Kneipe

Eigentlich ist Manuel Wolf als Fraktionsreferent der Dissidenten im Dresdner Rathaus angestellt, kümmert sich zum Beispiel um die politische Kommunikation der Fraktion, arbeitet an Pressemitteilungen und hält generell den Laden am Laufen. Jetzt steht Wolf in einer Neustadt-Kneipe hinter der Theke, zapft zügig frisches Bier, fragt routiniert Getränkewünsche ab und antwortet geduldig auf die Frage, was zum Beispiel der "Dresdner Bitterkeit" genannte Gin-Tonic kostet: "Zahle einfach, was es Dir Wert ist."

Jeden Tag ab 15 Uhr, am Wochenende auch eher, sind die Dissidenten noch bis Sonntag in der Neustadt-Kneipe "Daneben" zu finden. Eine Stunde lang werden zuerst die Reste vom Vorabend zusammengekehrt, danach öffnet die Fraktion ihr unkonventionelles Büro. Offen ist dann bis weit nach Mitternacht, teils bis vier Uhr am Morgen. "Fast die ganze Zeit ging es dabei auch irgendwie um Politik", sagt Stadtrat Max Aschenbach, der für "Die Partei" im Rat sitzt und Mitglied der Dissidenten-Fraktion ist.

Raus aus den "fetten Rathaus-Mauern"

Wie alle Fraktionen im Rathaus haben auch die Dissidenten das Problem, ihre eigenen politischen Ideen wirklich vermittelt zu bekommen und für Bürger sichtbar zu werden. Meist setzen Parteien dafür auf Info-Stände. "Auch für uns war schnell klar: Wir wollen raus aus den fetten Rathaus-Mauern, zumal wir dort auch noch versteckt und getrennt von den anderen Parteien sitzen", sagt Stadtrat Michael Schmelich.

Für ihre politische Arbeit bekommen die Fraktionen Geld. Neben Personalkosten werden so auch Sachkosten finanziert - knapp über 2.000 Euro pro Monat und Fraktion mindestens. Die Fraktionen können so zum Beispiel einen Sommerempfang finanzieren - oder die jetzige politische Werbetour der Dissidenten in der Neustadt.

Für etwa 1.000 Euro haben sich die Dissidenten in die Bar "Daneben" eingemietet. Die Getränke sind ebenfalls über das eigene Budget finanziert, dürfen aber offiziell nicht verkauft werden. Das gespendete Geld der Gäste kommt in den gleichen Topf, mindert also die Ausgaben für den Auszug der Dissidenten aus dem Rathaus. "Das Konzept geht auf, jeder Sommerempfang einer Fraktion kostet mehr", so Schmelich. Tatsächlich fließt reichlich in die Spendenkasse, ein aus Thüringen angereistes Pärchen legt zehn Euro für zwei Softdrinks hin und sagt: "Wir geben das gerne, das Konzept passt."

Die Gäste der Dissidenten

Im Rathaus angekündigt und besprochen, ist die Dissidenten-Kneipe als "politische Veranstaltungsreihe" vorgesehen. Tatsächlich finden nahezu täglich politische Akutsprechstunden der Räte statt, die Fraktion lädt noch bis Sonntag Referenten und Gesprächspartner ein. Historiker Holger Starke referierte über "den Dresdner", zeigte aus historischer und gesellschaftswissenschaftlicher Sicht auf, warum der Dresdner ist, wie er ist.

Detlef Sittel, immerhin 21 Jahre lang als Ordnungsbürgermeister und zum Beispiel für die Polizeiverordnungen in der Neustadt mitverantwortlich, war zum Gespräch eingeladen. Tom Rodig las aus seinem Enthüllungsbuch über Maximilian Krah, der 2022 erfolglos als Oberbürgermeister in Dresden kandidiert hatte.

Am Mittwochabend folgte eine moderierte Gesprächsrunde zwischen zwei Dissidenten-Stadträten und den Fraktionsvorsitzenden der SPD, Dana Frohwieser, und der FDP, Holger Zastrow. Thema war das Mit- und Gegeneinander im Dresdner Stadtrat und welchen Einfluss OB Dirk Hilbert (FDP) auf den Streit im Rat hat. Sämtliche Veranstaltungen werden aufgezeichnet und sollen auf der Homepage der Dissidenten und auf Youtube abrufbar sein.

Am Samstag testet die Fraktion dann noch im Rahmen einer Kundgebung ihre Forderung nach "Spielstraßen auf Zeit" auf der Louisenstraße aus.

"Kein einziger Gast" bis "knackevoll"

Die Resonanz auf die Dissidenten-Kneipe ist laut Manuel Wolf gut, wobei es Ausreißer nach oben und unten gebe. Zur öffentlichen Fraktionssitzung der Dissidenten erschien kein einziger Gast. Der Vortrag zum Wesen der Dresdner war gut besucht, die Plätze im kleinen Hinterzimmer der Kneipe reichten nicht aus, per Lautsprecher wurde der Ton an die Theke übertragen.

Auch am Mittwochabend zum Streitgespräch mit der SPD- und FDP-Fraktion war die Kneipe voll. Gleichzeitig wurde aber auch ein Dilemma sichtbar: Etwa die Hälfte der Gäste kam ohnehin aus dem Umfeld der Dresdner Piraten, der "Partei" oder der Dissidenten. Der Rest war angelockt durch eine Mischung aus der Lust auf Bier und nach politischem Kabarett.

Für das war in erster Linie Max Aschenbach zuständig. Der studierte Künstler nutzt den Raum in der Kneipe für eine Ausstellung. Per Computer verwob Aschenbach Bilder von OB Hilbert zum Beispiel mit einer Papst-Abbildung. Eine andere Grafik zeigte Hilbert in Unterwäsche an der Waldschlößchenbrücke. Aschenbach spielt damit auf einen Eklat zwischen Helma Orosz (CDU) und der Künstlerin Erika Lust an. Die hatte die damalige Oberbürgermeisterin nur mit Amtskette nackt gemalt.

Johannes Lichdi von den Dissidenten verteilt vor dem "Daneben" in der Neustadt eine extra gedruckte Dissidenten-Zeitung.
Johannes Lichdi von den Dissidenten verteilt vor dem "Daneben" in der Neustadt eine extra gedruckte Dissidenten-Zeitung. © Sven Ellger

Dirk Hilbert hat bisher noch nicht auf die Aschenbach-Kunst reagiert, obwohl auch die "Ausstellung" auf Kosten der Stadt ausgedruckt wurde.

Ärger droht den Dissidenten jedoch mit ihrem Extra-Blatt. In einer Auflage von 60.000 Stück hat die Fraktion eine Zeitung drucken lassen. Weil eine Ähnlichkeit zur Dresdner Morgenpost unübersehbar ist, droht ein juristisches Nachspiel.