Dresden. Susanna Sbaraglia kniet auf einem Gerüst – Auge in Auge mit Deianira. Mit ihrem Pinsel trägt sie Silikon auf die Marmorskulptur mit der Geliebten des Herkules auf, die gerade vom Kentauren Nessus entführt wird. Neben der italienischen Restauratorin arbeitet ihr Mann, der Dresdner Kunstformermeister und Restaurator André Zehrfeld, mit an dem Kunstwerk direkt neben der Hauptallee im Großen Garten. Wo die sich aus Richtung vorm Palais aufweitet, steht rechts des Weges dieses Kunstwerk, das derzeit allerdings von Planen verhüllt ist. Dabei handelt es sich um die Kentaurengruppe von Nessus und Deianira aus der griechischen Mythologie. Direkt gegenüber steht als Pendant Eurytus und Hippodameia.
Der berühmte Bildhauer: Viele Corradini-Werke in Dresden
Die beiden Kentaurengruppen hatte der berühmte italienische Bildhauer Antonio Corradini um1720 geschaffen, erklärt Sachgebietsleiter Kai-Uwe Beger vom Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB). Die beiden Kunsthandwerker halten mit einer speziellen Technik die genauen Formen der Marmorskulpturen fest, damit später Kopien davon gefertigt werden können.
In Dresden gibt es außergewöhnlich viele Corradini-Kunstwerke, erklärt André Zehrfeld. Nach seinem Meisterabschluss hatte sich der heute 52-Jährige 1996 noch in Venedig zum Restaurator qualifiziert. Dort hatte er auch seine Frau Susanna kennengelernt.
Als Beispiele für weitere Corradini-Werke in Dresden führt er die 2019 restaurierte Skulptur „Die Zeit enthüllt die Wahrheit“ am Palaisteich oder die aufwendig kopierten Prunkvasen an, die wieder auf ihre Sockel an der Lennéstraße gehoben und am 17. September übergeben werden sollen.
Der Ursprung: August der Starke lässt Skulpturen aufstellen
1694 war das Palais im Großen Garten übergeben worden. Begonnen wurde damit, Sandsteinskulpturen aufzustellen. Nachdem sich August der Starke von der Prunkhochzeit seines Sohnes Friedrich August 1719 finanziell erholt hatte, ließ er ab 1728 etwa 200 Marmorskulpturen im Großen Garten aufstellen, um 1730 die beiden Kentaurengruppen.
Alle Skulpturen standen dort bis zum Siebenjährigen Krieg. Doch nachdem die Preußen 1756 Dresden besetzt hatten und auch andere feindliche Truppen durch die Residenzstadt gezogen waren, wurden viele von ihnen gestohlen oder zerstört, verweist Beger auf den Einschnitt. Schließlich sei das ein Symbol für die Deklassierung der Wettiner gewesen, die die Macht symbolisierten.
Preußens Herrscher Friedrich der Große habe damals begonnen, im Schloss Sanssouci Marmorskulpturen aufstellen zu lassen, aber keine aus Dresden. Heute zieren den Großen Garten noch 37 Skulpturen, darunter 22 aus Sandstein und zwölf aus Marmor. Viele von ihnen sind seit den 1990er-Jahren gereinigt und ausgebessert worden.
Die Entführungs-Story: Herkules rettet seine Braut
Beger erläutert die berühmte Geschichte von Nessus und Deianira. Als Herkules und seine Braut Deianira zum Fluss Euenos kamen, bot der Kentaur Nessus an, die beiden nacheinander über den Fluss zu tragen. Als er jedoch mit Deianira das gegenüberliegende Ufer erreicht hatte, begann er sie zu bedrängen. Vom anderen Ufer aus rettete Herkules seine Braut mithilfe eines Pfeiles, der den Kentauren tödlich verwundete. Vor seinem Tod konnte der listige Nessus jedoch Deianira davon überzeugen, dass sein Blut ein Liebeselixier sei. Wenn sie ein Hemd mit seinem Blut tränke und es Herkules gebe, könne sie sich dessen Liebe auf immer gewiss sein.
Doch das Blut war vergiftet. Jahre später wandte sich Herkules einer anderen Schönen zu. Da ließ ihm die eifersüchtige Deianira ihr blutgetränktes Hemd überbringen. Von dem bekam der Sohn des Göttervaters Zeus unerträgliche Schmerzen. Um seinen Qualen ein Ende zu bereiten, ließ er sich auf einem Scheiterhaufen lebend verbrennen, erzählt Beger. So kam Herkules auf den Olymp und wurde vom Halbgott zum Gott.
Die Kentauren-Gruppen: Trotz Beschädigung noch am gleichen Standort
Obwohl andere Marmorskulpturen verschwunden sind, blieben die beiden Kentaurengruppen immer an ihrem Standort. Sie waren zwar 1760 im Siebenjährigen Krieg beschädigt, aber danach instand gesetzt worden. Bei den Bombenangriffen am Ende des Zweiten Weltkriegs im Februar 1945 wurden die Marmor-Kunstwerke wieder beschädigt. Danach beseitigten Fachleute der Dresdner Steinbildhauerfirma Hempel die Schäden, erklärt der SIB-Sachgebietsleiter.
Allerdings gab es immer wieder Schäden durch Vandalismus. So war 2002 ein Fuß, 2019 ein Finger an der Nessus-und-Deianira-Skulptur abgebrochen worden. Deshalb mussten auch nach der letzten Restaurierung 2014 immer wieder Schäden beseitigt werden.
Die Sicherung: Schon Römer nutzten die Technik
„Bei Marmor-Skulpturen gibt es ein großes Problem“, sagt Beger. Das raue Wetter in Deutschland greife nicht nur die Oberflächen, sondern auch die innere Struktur an. „Zwar sind die Kentaurengruppen auch nach über 300 Jahren noch stabil“, sagt er. Doch um das Original zu sichern, lassen wir jetzt Kopien anfertigen.
Zuerst werden die Formen abgenommen, erklärt Restaurator Zehrfeld. Damit wird ein Gipsabguss gefertigt. Vereinfacht dargestellt sei das wie der Abdruck eines Gebisses beim Zahnarzt. „Die Technik der Abdrücke hatten schon die alten Römer verwendet, als sie die Skulpturen der Griechen kopierten“, erläutert der Kunsthandwerker. „Solche Gipsabgüsse sind unendlich haltbar.“ So habe er schon in einer Kirche im norditalienischen Udine den Abguss einer Kreuzigungsgruppe aus dem 14. Jahrhundert restauriert.
Die Arbeiten: Silikonhülle hält die Feinheiten fest
Um die genaue Form von Nessus und Deianira zu sichern, tragen die beiden Kunsthandwerker zuerst hochwertiges Silikon mit dem Pinsel auf die Oberfläche auf. „Das ist der Feinabdruck“, sagt Zehrfeld. Aufgespritzt werden danach zwei Schichten Zwei-Komponenten-Material, das jeweils über Nacht aushärtet. Dieses eng anliegende Kleid an der Figur ist sechs bis sieben Millimeter stark.
Allerdings würde die Silikonhülle allein in sich zusammenfallen. Also bekommt sie eine Stützform, nennt Zehrfeld den nächsten Schritt. Teilweise werden Gipskeile in Vertiefungen eingefügt. Darüber kommt eine große Hülle aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Möglich wäre auch Gips. Doch Kunststoff bringt nur zehn Prozent davon auf die Waage. Und so wird das empfindliche Kunstwerk keiner großen Belastung ausgesetzt, sodass Schäden an der inneren Struktur des Marmors ausgeschlossen werden.
Das Finale: Gipsabguss in Rähnitzer Werkstatt
Weil das Material relativ leicht ist, können Susanna Sbaraglia und André Zehrfeld die vier Teile der Form noch im September per Hand abnehmen und in ihre Werkstatt nach Rähnitz transportieren. In die Form wird dort Gips gefüllt. Im März kommenden Jahres sollen der Abguss und damit die Kopie fertig sein. Dann folgt die benachbarte Kentaurengruppe mit Eurytus und Hippodameia.
Noch sind die beiden Skulpturen stabil. Erst 2020 wurde das mit Ultraschall untersucht, erklärt SIB-Sachgebietsleiter Beger. Doch wenn sie ihr Alter erreicht haben, werden die Gipsabgüsse im Depot bereitstehen, sodass originalgetreue Kopien gefertigt und aufgestellt werden können. So werden sich Passanten auch in kommenden Jahrhunderten an den Kunstwerken erfreuen können.