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„Wir hatten das Ziel, das Opfer lebend zu finden“

Seltsame Zeugen und gereizte Stimmung überlagern den Prozess um ein grausames Mordkomplott in Großenhain, das derzeit in Dresden vor Gericht verhandelt wird.

Von Alexander Schneider
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Stefanie W. (mit dem Aktendeckel) soll ihren Mann ermordet haben. Links neben ihr steht ihr Verteidiger Oliver Nießing.
Stefanie W. (mit dem Aktendeckel) soll ihren Mann ermordet haben. Links neben ihr steht ihr Verteidiger Oliver Nießing. ©  Foto: Kristin Richter

Dresden/Großenhain. Schon seit Mitte Mai stehen vier Angeklagte aus Großenhain wegen eines brutalen Mordkomplotts vor dem Landgericht Dresden. Es geht um den Tod von Dirk W., einem 38-jährigen Großenhainer, der, so der Vorwurf, von seiner Ehefrau Stefanie, 32, und zwei Komplizen entführt und in einem einsamen Waldstück qualvoll ermordet worden sein soll. Der vierten Angeklagten wird Beihilfe vorgeworfen.

Alle vier haben ihr Opfer am Sonnabend, dem 13. Juni des vergangenen Jahres, schwer verletzt liegen gelassen, heißt es in der Anklage. In den folgenden drei Tagen seien die drei Hauptangeklagten immer wieder in den Wald gefahren, um den Verletzten weiterer Gewalt auszusetzen. Erst nach zwei bis drei Tagen soll das Opfer seinen Verletzungen erlegen sein. Nur der 29-jährige Stefan B. hat bisher gestanden und seine Mitangeklagten belastet – wie bereits in seinen Polizeivernehmungen nach der Festnahme..

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Inzwischen hat die Schwurgerichtskammer ein gutes Dutzend Verhandlungstage hinter sich. Sie hat sich mit allerhand Zeugen befasst, manchmal über viele Stunden. Einerseits haben die zwar meist geholfen, zumindest etwas Licht ins Großenhainer Dunkel zu bringen, andererseits ließen sie Beteiligte und Publikum noch öfter ratlos zurück. Ein Menschenleben scheint demnach wenig wert zu sein, eine akute Gefahr will man trotz mehrfacher Ankündigung nicht erkannt haben, oder man will nicht gesehen haben, was offensichtlich war. Doch diese Abgründe beschreiben den Prozess noch immer nicht ganz.

Wechselseitige Vorwürfe

Die Vernehmungen finden in einer angespannten Atmosphäre zwischen dem Vorsitzenden Richter Herbert Pröls und mehreren Verteidigern statt, die sich wechselseitig unter anderem Missachtung und nicht angemessene Fragetechniken vorwerfen. Für den Vorsitzenden steht dabei die Sicherung der Hauptverhandlung im Mittelpunkt. Er scheint die Sorge zu haben, dass ihm das Konzept aus der Hand genommen werden könnte, wenn jeder munter drauflos redet, was dazu führt, dass sich die Verteidiger wie in der Schule zu Wort melden sollen.

Doch das wollen sie nicht akzeptieren, sie kritisieren – und heizen so die Stimmung weiter auf. Wird es ihm zu viel oder zu laut, verordnet der Vorsitzende eine zehnminütige Pause zum Abkühlen.

Den Verteidigern betonen, sie seien nicht auf Krawall aus. Es gehe ihnen darum, die Rechte ihrer Mandanten zu wahren. Viel mehr als das bleibt ihnen nicht. Sollte die Tat, wie sie angeklagt wurde, festgestellt werden, kann es nur ein Urteil geben: eine lebenslängliche Freiheitsstrafe wegen Mordes mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, was eine Entlassung vor mehr als 20 Jahren ausschließt.

Motiv Sterbegeld? Sorgerecht?

Eine Frage ist, wer vor W.s Tod oder während seinem langen Leiden von der Tat wusste. Stefanie W., die Ehefrau des Opfers soll mehrfach angekündigt haben, dass ihr Mann „weg muss“, nicht nur gegenüber den Mitangeklagten, auch gegenüber Menschen aus ihrem sozialen Umfeld. Neben dem Streit um das Sorgerecht ihres gemeinsamen Sohnes soll auch eine Sterbegeldversicherung über 17.000 Euro ein Motiv für die Tat gewesen sein.

Am Montag etwa musste eine 50-jährige Frau aussagen, die als Verkäuferin einer Tankstelle regelmäßig Kontakt zur Angeklagten hatte. Stefanie W. habe ihr etwa angekündigt, sich von Dirk zu trennen, er das verhindern wolle. Auch habe sie ihr erzählt, sie sei von jemand anderem schwanger – habe aber wiederum einen anderen Freund, Stefan B. Später, als ihr Ehemann bereits hinter einer Dornenhecke um sein Leben kämpfte, habe die Zeugin aus der Tanke im Beifahrer-Fußraum des Autos der Angeklagten einen zerbrochenen Baseballschläger aus Holz gesehen. Stefan B. soll ihr gesagt haben, sie hätten Dirk vermöbelt. „Doch das habe sie nicht ernst genommen“, sagt die 50-jährige Zeugin.

Ein Foto des Verletzten...

Am Sonntag, dem 14. Juni, sollen die beiden der Aussage zufolge das Auto an der Tankstelle ausgesaugt haben. Stefanie W.s neuer Freund habe ihr auch ein Foto des Verletzten auf seinem Handy gezeigt. Sie habe ihn kaum erkannt, und der Mann habe mit einer Geste gezeigt, wie sie Steine auf das Opfer geworfen hätten. Offen bleibt eine weitere verräterische Formulierung, die die Ehefrau des Opfers gegenüber der Zeugin gemacht haben soll. Sie habe doch „gut geschauspielert“, als sie ihren Mann am Dienstag bei der Polizei vermisst gemeldet hatte, soll Stefanie W. zu der Verkäuferin gesagt haben. Daran kann diese sich vor Gericht jedoch nicht erinnern.

Fast drei Stunden dauert die Vernehmung der Frau. In der Vorwoche hatte sie sich krank gemeldet. Nein, sie habe ihre Vernehmung nicht verhindern wollen, nein, sie sei von niemandem bedroht oder unter Druck gesetzt worden. Auch nicht vom vermeintlichen Vater der Zwillinge, die Stefanie W. schließlich Ende 2020 geboren hatte. Sie sei jedoch sehr aufgeregt, sagt die 50-Jährige. Der Richter begegnet ihr mit viel Geduld. Immerhin hatte sie sich am Tag nach dem Fund der Leiche sofort bei der Polizei als Zeugin gemeldet.

Polizist findet die Leiche

Ganz anders stellt sich das dramatische Geschehen um das Opfer aus der Sicht der Polizei dar. Am Dienstag, 16. Juni, hatten seine Mutter und seine Ehefrau den 38-Jährigen als vermisst gemeldet. Am Freitag darauf war den Beamten nachmittags bekannt geworden, dass Dirk W. in einem Wald verletzt abgelegt worden sein soll. Also trommelte die Polizei im Landkreis alle verfügbaren Beamten zusammen. „Wir hatten das Ziel, das Opfer lebend zu finden“, erklärte ein Ermittler die Hektik am Freitagabend.

Die Ehefrau und die beiden mitangeklagten Männer wurden getrennt „als Zeugen“ vernommen und die Beamten tauschen sich aus. Dabei verstrickten sie sich bald in Widersprüche, sodass die drei als „Beschuldigte“ weitervernommen wurden. Hansjörg M, ein in Mordfällen erfahrener Polizist, war wenig später mit Stefanie W. in die Nähe des vermuteten Tatorts aufgebrochen.

Er sei ihren Beschreibungen gefolgt, bis sie angeblich nicht weitergewusst habe. Dann habe er sich selbst auf die Suche nach einem Graben gemacht, weil einer der Männer ausgesagt habe, W. liege in einem Graben. Dann habe er Dirk W. in einem Graben gefunden, versteckt in einer dornigen Hecke, gegenüber ein frisch abgeerntetes Feld. Schon bei seinem ersten Blick sei dem 52-jährigen Polizisten klar gewesen, dass man Dirk W. nicht mehr helfen könne. Stefanie W., Stefan B. und Andreas R. sitzen seit dem in Haft, Anke F. folgte ihnen am nächsten Tag.

Der Prozess wird fortgesetzt. Es gibt bereits Termine bis Ende Oktober.