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Dynamo ohne Minge – geht das überhaupt?

Anfangs noch distanziert, korrigiert der Verein seinen Kurs und hält sogar Lobeshymnen auf den Ex-Sportchef. Auch der kann nicht ganz ohne seinen Verein.

Von Tino Meyer
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Ein stiller Abschied. Ralf Minge verfolgt auf der Tribüne sein letztes Spiel als Dynamo-Geschäftsführer. Am Dienstag endete seine Amtszeit.
Ein stiller Abschied. Ralf Minge verfolgt auf der Tribüne sein letztes Spiel als Dynamo-Geschäftsführer. Am Dienstag endete seine Amtszeit. © dpa/Robert Michael

Als alle Fragen gefragt sind, ergreift der Chef das Wort. Etwas will Jens Heinig, Aufsichtsratsvorsitzender der SG Dynamo Dresden, jetzt unbedingt noch loswerden. „Ich habe am Anfang diesbezüglich nichts gesagt, weil ich erwartet hätte, dass schon noch die eine oder andere Frage kommt“, beginnt Heinig am vergangenen Mittwoch seine Ausführungen ganz am Ende der öffentlichen Präsentation von Ralf Becker.

In den dann folgenden gut anderthalb Minuten geht es allerdings nicht um Dynamos neuen Sportgeschäftsführer, sondern um dessen Vorgänger. „Weil es dazu keine Fragen gab, möchte ich noch einmal ganz deutlich sagen: Was Ralf Minge in den ganzen vergangenen Jahren hier geleistet hat, was die Entwicklung des Vereins betrifft, das ist so fantastisch. Und man muss ganz klar sagen, dass er einen riesengroßen Anteil an vielen ganz wichtigen Dingen hat“, sagt Heinig und ist mit seiner Laudatio auf den am Dienstag aus dem Amt geschiedenen Sportchef längst nicht fertig.

Heinig nennt das vor gut einer Woche eingeweihte neue Trainingszentrum („Er hat nach Grundstücken gesucht, die Diskussionen geführt“), den Abbau von Schulden, die wirtschaftliche Entwicklung hin zu rund zehn Millionen Euro Eigenkapital sowie das medizinische Konzept (mit baldiger kassenärztlicher Zulassung). „Und das kann man noch auf viele, viele andere Dinge beziehen. Da ist wahnsinnig viel Arbeit geleistet worden mit wahnsinnig viel Engagement“, betont der Aufsichtsratschef.

Es ist eine Lobeshymne, die ihm zum einen offenbar ein ehrliches Bedürfnis ist, wohl aber auch getrieben sein könnte von schlechtem Gewissen oder auch Einsicht. Denn in der Pressemitteilung vom Pfingstmontag, als das Gremium mitteilte, sich mit Minge nicht auf eine Vertragsverlängerung geeinigt zu haben, las sich das noch ganz anders, deutlich unterkühlter: Man zolle den Leistungen und Verdiensten des Sportgeschäftsführers den allerhöchsten Respekt und wolle Minge noch angemessen würdigen.

Derzeit ist letzteres schwierig, weshalb die offizielle Verabschiedung nachgeholt werden soll, wenn wieder Zuschauer in das Stadion dürfen. Es kann also dauern. Doch unabhängig von jeglichen Corona-Bestimmungen kann Wertschätzung nach sechseinhalb Jahren überwiegend konstruktiver und bei aller berechtigter sportlicher Kritik auch erfolgreicher Zusammenarbeit anders klingen, in etwa so wie am Mittwoch.

Minge selbst hat das alles, bis auf eine zwei DIN-A4-seitige Erklärung am Dienstag nach Pfingsten, nicht öffentlich kommentiert. Der 59-Jährige hat am Ende gar nichts mehr gesagt, nichts mehr sagen wollen.

Es war ein stiller, ein vor allem emotional schwerer Abgang, wenngleich ihn rund 2.000 Fans nach dem letzten Spiel am vergangenen Sonntag vor dem Stadion noch einmal haben hochleben lassen – ehe er sich mit einer Verneigung verabschiedete. „Ich konnte mich ja auf den Moment vorbereiten. Aber das, was da am Sonntag passiert ist, war schon heftig, die Emotionen unbeschreiblich“, sagt Minge nun der Bild-Zeitung und gesteht, noch nicht richtig begriffen zu haben, dass er jetzt nicht mehr für Dynamo tätig ist.

Es schließt sich damit ein Kreis, nicht nur wegen der Eröffnung des von ihm tatsächlich entscheidend vorangetriebenen Projekts Trainingszentrum. Das bestätigen auch Leute, die nicht so eng mit Dynamo verbunden sind.

Am 1. Juli 1980 hatte Minge, wenn man so will, seinen ersten Arbeitstag bei Dynamo. Da begann für den damals 19-Jährigen von der TSG Gröditz eine Karriere in Dresden, die 40 Jahre, 304 Spiele und diverse Ämter später nun am 30. Juni 2020 endete. Die sozusagen allerletzte Amtshandlung gab es tags darauf im Großen Garten auf dem Trainingsplatz bei einem ganz privaten Abschiedsspiel mit Familie, Freunden und einigen Ex-Dynamos wie Hansi Kreische, Justin Eilers, Toni Leistner und Robert Koch. Dabei trug Minge ein schwarz-gelbes Trikot mit der Aufschrift „Brustsponsor“.

Das stammt von einer Fan-Aktion aus dem Herbst 2003, als Dynamo mal wieder dringend Geld benötigte und Minge – damals Trainer bei Bayer Leverkusens zweiter Mannschaft – sich als Schirmherr zur Verfügung stellte. Ohne Dynamo geht bei ihm eben nicht. Und das mit der allerletzten Amtshandlung stimmt deshalb auch nicht ganz. Im Hintergrund ist er in die Aufarbeitung von Dynamos coronabedingter Ungleichbehandlung eingebunden. Der Verein prüft in dem Zusammenhang eine mögliche Klage vorm DFB-Sportgericht.

Ein Ansinnen, das jetzt auch Nachfolger Ralf Becker unterstützt und darüber hinaus einen Wunsch geäußert hat. „Ich hoffe, dass wir mit dem Ralf irgendwann wieder einen guten Austausch haben.“ Einen ersten Kontakt von ihm und Minge hat es zumindest bereits gegeben.

Selbst der Aufsichtsrat verfolgt dieses Ziel, mittlerweile auch öffentlich. „Ralf hat den Verein gelebt, Ralf ist der Verein. Und ich kann nur den Wunsch noch einmal sagen: Es wäre fantastisch, wenn wir Ralf, in welcher Form oder Position auch immer, irgendwann wieder hier in dem Verein hätten“, erklärt Heinig.

Mit einem zuletzt häufiger diskutierten Gerücht räumt man indes beim FC Erzgebirge Aue auf: dass Minge demnächst für den Erzrivalen tätig wird. Das kommt auf keinen Fall infrage – sagt einer, der es ganz genau wissen muss. Helge Leonhardt, Aues Präsident und noch dazu eng mit Minge befreundet, schließt einen Wechsel definitiv aus. Er finde, sagt Leonhardt in seinem exklusiven Beitrag im Mitte Juli erscheinenden Magazin SCHWARZ-GELB, Minge solle seinem Verein Dynamo erhalten bleiben.