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Wie eine 89-Jährige am sächsischen Reparaturbonus verzweifelt

Der Freistaat Sachsen bezuschusst Reparaturen von Haushaltsgeräten. Alles wird online abgewickelt. Doch das Beispiel einer Rentnerin aus Dresden zeigt, dass der komplizierte Antragsprozess viele Menschen ausschließt.

Von Andreas Rentsch
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Herta Pingel ist Jahrgang 1935. Der Antragsprozess für den sächsischen Reparaturbonus enthalte zu viele Hürden für „Normalos“, sagt sie.
Herta Pingel ist Jahrgang 1935. Der Antragsprozess für den sächsischen Reparaturbonus enthalte zu viele Hürden für „Normalos“, sagt sie. © SZ/Veit Hengst

Dass sie mit der Zeit geht, lässt sich nicht bestreiten. Egal ob Notebook oder Smartphone, beides bedient Herta Pingel mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit. Die 89-Jährige schreibt E-Mails, surft im Netz und tippt Kurznachrichten. Wer über Whatsapp mit ihr verbunden ist, sieht täglich Statusmeldungen, in denen sie Mitmenschen einen guten Morgen wünscht oder Sinnsprüche postet. Vor wenigen Tagen hat sie Joachim Ringelnatz zitiert: „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt.“ Doch genau das ist der Witwe aus Dresden kürzlich selbst passiert. Und alles nur wegen eines defekten Kühlschranks – und dem daraus entstandenen Ärger über Bürokratie im Internetzeitalter.

Nach der Reparatur hatte der Techniker vorgeschlagen, sie könne sich ja einen Teil der Rechnungssumme vom Staat zurückholen. Tatsächlich erhalten private Haushalte in Sachsen momentan bis zu 200 Euro Fördergeld für die Instandsetzung kaputter Haushaltsgeräte. Allerdings muss der Antrag digital bei der Sächsischen Aufbaubank (SAB) eingereicht werden. „Ich habe es versucht, mehrmals“, schreibt Herta Pingel erkennbar verärgert in einer Mail an Sächsische.de. „Und ich bin gescheitert, weil das Verfahren so kompliziert ist.“ Auch ihr 15 Jahre jüngerer Schwiegersohn Wolfgang habe nicht weiterhelfen können.

Nach einem Telefonat vereinbare ich ein Treffen bei ihr daheim. Die Idee ist, den Antrag gemeinsam zu stellen – und zu dokumentieren, welche technischen und organisatorischen Hindernisse auftauchen.

1. Termin, 26. Februar 2024

Eine aufgeräumte Wohnung im Stadtteil Gruna. Herta Pingel hat alles vorbereitet. Ihr Laptop ist angeschaltet, das Smartphone, die Rechnung des Handwerkers und der TAN-Generator fürs Onlinebanking liegen griffbereit. Wir beginnen mit den Vorbereitungen für den Moment, in dem sich die Antragstellerin digital ausweisen muss. Denn Sachsens Förderbank akzeptiert im Regelfall keine Unterschrift auf Papier, das dann gescannt und hochgeladen wurde. Stattdessen ist ein Dienstleister namens Verimi zwischengeschaltet. Bei dem müssen wir ein Nutzerkonto einrichten und Pingels Identität nachweisen.

Das funktioniert über mehrere Wege. Zum Beispiel mittels Videotelefonat, bei dem man seinen Ausweis in die Kamera hält, oder über die elektronische Identifikationsnummer (eID) des Personalausweises. Video Ident ist allerdings wegen mangelnder Barrierefreiheit für schwerhörige Menschen in die Kritik geraten. Auch das Online-Ausweisverfahren via eID scheidet für uns aus. Herta Pingel weiß nicht, wo sich die dafür nötige Zugangs-PIN befindet. Wir entscheiden uns deshalb für die Bank-Ident-Methode. Hier müssen wir uns ins Onlinebanking einloggen und einen Cent-Betrag an Verimi überweisen. Den daraufhin per SMS erhaltenen Bestätigungscode tippe ich in ein Formular ein.

Wenige Minuten später ist die Prozedur beendet, und wir können zur Website der SAB wechseln. Dort kümmern wir uns um den Förderantrag. Schritt für Schritt klicken wir uns durch das sechsteilige Formular, setzen Bestätigungshäkchen, tippen Adress- und Bankdaten oder Angaben zur Reparaturrechnung ein. Die papierne Rechnung erfasse ich mit einer Scan-App und wandle das Foto in eine PDF-Datei um. Diese wiederum wird unter dem Menüpunkt „Anlagen“ an den Förderantrag angehängt. Wird er bewilligt, bekommt Herta Pingel von den gezahlten 221,19 Euro exakt 110,59 Euro wieder.

Handwerkerrechnung der Dresdner Hausgeräte Sachse GmbH: Von 221,19 Euro, die Herta Pingel im Januar für die Reparatur ihres Kühlschranks bezahlt hat, bekommt sie die Hälfte vom Staat zurück.
Handwerkerrechnung der Dresdner Hausgeräte Sachse GmbH: Von 221,19 Euro, die Herta Pingel im Januar für die Reparatur ihres Kühlschranks bezahlt hat, bekommt sie die Hälfte vom Staat zurück. © Foto: SZ/Veit Hengst

Nach 45 Minuten stockt der Prozess. Mir gelingt es nicht, den digitalen Antrag final einzureichen. Das System bestätigt zwar die Vollständigkeit der Unterlagen, quittiert aber den entscheidenden Klick mit der Fehlermeldung „Ihr Antrag konnte nicht signiert werden. Bitte versuchen Sie es erneut.“ Nach mehreren vergeblichen Wiederholungen entscheide ich, hier abzubrechen und bei der SAB nachzufragen. Vielleicht ist beim Anlegen des Verimi-Kontos etwas schiefgegangen, oder es fehlen zwingend notwendige Daten. Vorerst bin ich mit meinem Latein am Ende.

2. Termin, 27. Februar 2024

Der Telefonjoker sticht. Auf Betreiben von SAB-Pressesprecher Volker Stößel meldet sich am nächsten Tag eine freundliche Sachbearbeiterin aus Leipzig bei mir. Das Problem sei bekannt und wohl einer fehlerhaften Programmierung der Website geschuldet, sagt sie. Entscheidend sei, wo sich ein Nutzer einlogge. Dies sei an zwei Stellen auf der Startseite möglich, entweder über den Menüpunkt „Anmelden“ rechts oben oder ganz unten im Menü „Empfohlene Portale“ unter „SAB Förderportal“. Aus unerfindlichen Gründen scheitere der Wechsel von der SAB-Seite zu Verimi nach einem Log-in rechts oben. Wann dieser Fehler ausgemerzt wird, sei noch offen.

Mir soll es egal sein, Hauptsache der Antrag geht raus. Nach Redaktionsschluss besuche ich Herta Pingel erneut. Und tatsächlich: Nach dem Log-in über den „richtigen“ Menüpunkt landen wir wie vorgesehen bei Verimi. Dort müssen jetzt Angaben zum Onlinebanking der Antragstellerin übertragen werden. Im nächsten Schritt wählen wir die Ostsächsische Sparkasse Dresden aus. Dort hat Pingel ihr Girokonto. Doch die Hoffnung, die Sache heute zum Ende zu bringen, zerschlägt sich. Nun zickt Verimi rum. „Es können keine Transaktionen mit dem gewählten Konto durchgeführt werden. Bitte wählen Sie ein anderes Absenderkonto, falls möglich.“

Herta Pingel verliert spürbar den Elan. „Wissen Sie was, wir lassen es“, schlägt sie vor. Doch mein Ehrgeiz ist angestachelt. Wäre doch gelacht, wenn wir das nicht hinbekämen! Zumal ich ahne, wo es hakt. Bei einer früheren Recherche zum Reparaturbonus hat die SAB mitgeteilt, nicht alle Geldinstitute würden Bank-Ident unterstützen. Gehört die Ostsächsische Sparkasse vielleicht auch dazu? Dagegen spricht, dass der Firmenname im Verimi-Formular angeklickt und bestätigt werden konnte. Am nächsten Morgen schicke ich weitere Fragen an die Bank.

Auf dieser Checkliste sollten Antragsteller sechs Häkchen setzen können.
Auf dieser Checkliste sollten Antragsteller sechs Häkchen setzen können. © Sächsische Aufbaubank (SAB)

Die Antwort kommt prompt. Leider sei „die Prüfung von Personendaten und Bankverbindung auf einen Fehler gelaufen“, schreibt die Sachbearbeiterin. Dieser Abgleich erfolge zwischen Bank und Schufa. Mögliche Fehlerursachen seien veraltete oder nicht synchrone Schufa-Daten bei beiden Parteien. Es könnten aber auch noch andere Probleme ursächlich sein. Womöglich stehe ein Angehöriger in Zusammenhang mit dem Konto, zum Beispiel durch eine erteilte Vollmacht. Ihr Rat: Frau Pingel möge mit der Sparkasse sprechen und darum bitten, die Daten zu überprüfen.

Eine andere Fährte also. In der Tat hat Herta Pingel ihrem Schwiegersohn eine Vollmacht für ihr Girokonto erteilt. Gilt das als K.-o.-Kriterium für Bank Ident bei Verimi? Ich tippe eine Mail an die Ostsächsische Sparkasse. Tags darauf antwortet Unternehmenssprecher Oliver von Oehsen. „Sie haben recht“, schreibt er. „Kunden mit einem Gemeinschaftskonto oder einem Konto, für das eine Vollmacht vorliegt, schließt Verimi für das Bank-Ident-Verfahren aus.“

Doch der größere Aha-Effekt kommt erst noch. Anders als es den Anschein hat, kooperiert Verimi gar nicht mit allen Sparkassen in Deutschland. Zu den Sparkassen, die keine Zusammenarbeit pflegen, gehört – Überraschung! – die Ostsächsische. Daraus folgt laut Oliver von Oehsen: „Wer als Kunde unseres Hauses den Bonus beantragen möchte, muss eine andere Identifikation wählen.“ Zum ersten Mal bin ich baff. Bank-Ident hätte also selbst dann nicht funktioniert, wenn sich Herta Pingel ein neues, nur für sie zugängliches Onlinekonto bei ihrer Sparkasse zugelegt hätte. Und das alles nur, weil Verimi nicht klar kommuniziert, dass nicht alle Sparkassen mit im Boot sind.

Einen Ausweg aus unserem Dilemma weist schließlich die SAB. Die Lösung heißt „Einreichung durch einen bevollmächtigten Dritten“. Dafür muss ein Extra-Formular ausgefüllt, unterschrieben, gescannt und mit weiteren Unterlagen in den SAB-Account hochgeladen werden.

3. Termin, 4. März

10 Uhr morgens in Dresden-Gruna. Schwiegersohn Wolfgang Hockauf ist extra aus Radeberg gekommen. Nachdem er die Vollmacht unterzeichnet hat und ich eine Kopie davon ins Förderportal hochgeladen habe, fehlen nur noch die abfotografierten Personalausweise von Vollmachtnehmer und Vollmachtgeberin. Eigentlich widerstrebt es mir, derart sensible Daten durchs Netz zu schicken. Doch im Moment heiligt der Zweck die Mittel. Zudem hat mir die SAB versichert, die Ausweiskopien würden nach Abschluss der Identifikation gelöscht.

Dann endlich ist es geschafft, und die Meldung „Eingereicht“ erscheint auf dem Bildschirm. Auch Herta Pingel wirkt erleichtert. Ihr Ärger über die Tücken des Verfahrens ist jedoch nicht verflogen. „Solche Hürden aufzubauen, die ein Normalo nicht oder nur mit stundenlangen Anstrengungen überwinden kann – das ist doch menschenfeindlich!“, sagt sie.

Epilog

Fünf Tage später. Herta Pingel hat neue Nachrichten im Postfach ihres SAB-Kontos. In einer sei von einem „Zuwendungsbescheid“ die Rede, sagt sie am Telefon. Einige Stunden später meldet sie sich noch einmal: „Das Geld ist auf dem Konto.“

Angewiesen sei sie übrigens nicht auf den Zuschuss, stellt die rüstige Seniorin klar. Ihr geht es ums Prinzip. „Warum müssen einfache Dinge so kompliziert gemacht werden, dass nicht jeder Bürger in den Genuss des Reparaturbonus kommen kann? Soll dadurch Geld gespart werden? Oder will die SAB ihren Arbeitsaufwand auf Kosten der Bürger verringern?“ Pingel hat sich inzwischen schriftlich bei der Finanzaufsichtsbehörde Bafin beschwert. Eine Antwort steht noch aus.

Nachtrag 1: Nach Veröffentlichung des Artikels hat sich die Bafin gemeldet und erklärt, Frau Pingel erhalte ein Antwortschreiben. Helfen könne man aber nicht. „Da es sich bei dem von Ihnen geschilderten Sachverhalt jedoch um ein Fördergeschäft und nicht um ein Bankgeschäft handelt, fällt diese Angelegenheit nicht in die Zuständigkeit der Bafin."

Nachtrag 2: Die SAB teilt mit, der Fehler im Log-In-Prozess auf der eigenen Website sei mittlerweile behoben.

Fakten und Zahlen zum sächsischen Reparaturbonus

  • 5.073 Anträge für den Reparaturbonus hat die SAB bislang bewilligt (Stand: 6. März). Die bewilligten Mittel belaufen sich auf 532.018 Euro. 467.981 Euro können noch verteilt werden.
  • Das Bonus-Programm soll die Sachsen zur Reparatur privat genutzter defekter Elektro- und Elektronikgeräte ermutigen. Pro Antrag werden die Hälfte der „zuwendungsfähigen Ausgaben“, maximal jedoch 200 Euro, erstattet. Allerdings muss die Reparaturrechnung einen Mindestbetrag von 75 Euro aufweisen.
  • Pro Kalenderjahr bezuschusst das Land Sachsen zwei Reparaturen pro Kopf. Gefördert werden Privatpersonen mit Hauptwohnsitz in Sachsen, die mindestens 18 Jahre alt sind. Der Reparaturauftrag darf nicht vor dem 3. November 2023 ausgelöst worden sein.
  • Eine Übersicht aller förderfähigen Elektrogeräte findet sich auf einer eigens angelegten Webseite der SAB. Dort gibt es auch eine interaktive Karte mit allen teilnehmenden Reparaturunternehmen. (rnw)