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Kajakfahrer bleibt in der Neiße verschwunden

Vor zwei Tagen ist ein Mann mit einem Boot auf der Neiße gekentert. Bislang konnte er nicht gefunden werden. Es gibt erste Vermutungen zur Unglücksursache.

Von Ingo Kramer
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An diesem Wehr auf Höhe Deutsch Ossig passierte das Unglück. Unter dem Wehr befindet sich eine gefährliche Wasserwalze.
An diesem Wehr auf Höhe Deutsch Ossig passierte das Unglück. Unter dem Wehr befindet sich eine gefährliche Wasserwalze. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Görlitz. Am Tag zwei nach dem Unglück ist Stefan Menzel noch immer zutiefst bestürzt. Mit seinem Unternehmen „Boats & Friends“ verleiht er in Görlitz Boote – und kennt das Neißewehr in Höhe Deutsch Ossig ganz genau. Dort war am Sonnabend ein Kajak mit zwei Görlitzern gekentert. Während die Frau, eine 32-jährige Polin, gerettet werden konnte, geriet ihr Partner, ein 34-jähriger Deutscher, in die Wasserwalze. Von ihm fehlte auch am Montag weiter jede Spur. Offenbar war das Paar mit einem privaten Kajak unterwegs.

„Das ist wahnsinnig dramatisch“, sagt Menzel. Am Unglückstag hatte sein Unternehmen auch Boote auf der Neiße. „Unsere Kunden haben die Frau aus dem Wasser gezogen“, berichtet Menzel. Er selbst sei zum Unglücksort gefahren, als er davon hörte. „Die Frau hat sich bei ihren Rettern bedankt“, sagt er. Das Unglücksboot hat er auch noch gesehen. „Es war ein aufblasbares Kajak“, sagt er. Für die Fahrt über das Wehr sei es viel zu schmal gewesen und habe keine Seitenstabilität gehabt: „Mit einem solchen Boot würde ich dringend davon abraten, über ein Wehr zu fahren.“

Er kann sich gut vorstellen, wie das Unglück ablief: „Die Frau saß vermutlich vorn und hatte deshalb Glück.“ Nach der Fahrt über das Wehr sei das Boot wohl in eine Wasserwalze hineingeraten. Die Frau, schon am vorderen Ende der Walze, trieb ab. „Den Mann aber hat es vermutlich voll in die Walze reingezogen“, sagt Menzel. So hatte er wohl keine Chance. Das Wasser hat an dieser Stelle eine unglaubliche Kraft, kann einen Menschen lange unter sich drücken – und das besonders in diesen Tagen, nachdem es viel geregnet hat, die Neiße mehr Wasser führt als sonst.

Nachdem Polizei und Feuerwehren am Sonnabend sehr intensiv nach dem Mann gesucht hatten, verlief die Suche am Sonntag nur noch durch die Wasserpolizei. Am Montag kam nach Aussage von Polizeisprecherin Anja Leuschner lediglich ein Hubschrauber zum Einsatz, der den Neißeabschnitt aus der Luft beobachtete.

Am Dienstag aber soll die Suche wieder intensiviert werden: „Die Wasserschutzpolizei wird mit einem kleinen Boot mit mobilem Echolot unterwegs sein.“ Das sei zunächst für Montag geplant gewesen, wurde aber verschoben. Taucher sollen erst einmal nicht zum Einsatz kommen: „Wir wollen es erst einmal mit dem Echolot probieren.“

Nur ein Profi-Anbieter fährt hier

Unter den drei deutschen Bootsverleihern ist nur „Boats & Friends“ an dieser Stelle unterwegs. Engemanns aus Hirschfelde fahren nur zwischen Hirschfelde und Ostritz, Neiße-Tours hingegen weiter nördlich, bei Deschka und Rothenburg. Doch auch Neiße-Tours-Chef Tino Kittner kennt das Wehr bei Deutsch Ossig. „Wir haben es uns vor Jahren auch angeschaut – und als zu gefährlich eingestuft, um dort mit unseren Kunden zu fahren.“ Dieses Wehr sei ein Grund gewesen, warum Neiße-Tours nicht auch weiter südlich unterwegs ist.

Menzel dagegen schickt seine Kunden über das Wehr. „Mit professionellen Booten ist es kein Problem“, sagt er. Seine Boote seien viel breiter als das verunglückte Kajak, außerdem rundum geschlossen. Tino Kittner bestätigt das auch für seine Boote: „Die sind mindestens 1,60 Meter breit, die kippen nicht um.“ Und er stimmt Menzel auch in dem anderen Punkt zu: Das Kajak war keineswegs für die Neiße geeignet, sondern für den Einsatz auf Seen. Es habe unten eine Finne gehabt: „Die ist dafür da, dass es auf einem See geradeaus fährt.“ Ein Einsatz auf einem Wehr aber könne mit einem solchen Boot nicht funktionieren.

Unglück wäre vermeidbar gewesen

Beide Anbieter sind sich einig: Mit der richtigen Ausrüstung lassen sich solche Unglücke vermeiden. Neiße-Tours hat jedes Jahr mindestens 10.000 Kunden: „In 19 Jahren hatten wir noch kein größeres Unglück.“ „Boats & Friends“ existiert erst seit Mai 2019, aber ebenfalls ohne schwere Vorfälle. Und die Kunden vertrauen den Anbietern auch jetzt. Beide Firmenchefs berichten, dass sie nach dem Unglück keinerlei Stornierungen von verschreckten Kunden hatten. Aber Sorgen macht sich Menzel schon: „Wenn man jetzt bei Google ,Neißepaddeln’ eingibt, kommt sofort die Unglücks-Schlagzeile.“ Es sei wichtig, dass die Leute wissen, dass sich mit Profi-Ausrüstung, wie sie die hiesigen Anbieter nutzen, solche Unglücke vermeiden lassen.

In Polen gibt es auch ein paar kleinere Anbieter. Aber zu denen gehörte das Unglückskajak offenbar auch nicht. „Zu uns definitiv nicht“, sagt Monika Skarbon von CRT Radomierzyce. Sie habe erst am Sonntag davon erfahren. „Wir verleihen größere Kajaks aus Plastik, aber keine Aufblasbaren“, sagt sie. Sie weiß auch von niemandem, der solche Kajaks nutzen würde.

Tatsächlich gab es in der Vergangenheit schon Unglücke unterschiedlicher Art in der Neiße. Im Juli 2012 starb ein 45-Jähriger zwischen Lodenau und Steinbach bei einer privaten Bootsfahrt – offenbar bei einer Mutprobe an einem Wehr. Im Juli 2018 ertrank ein 16-Jähriger auf der polnischen Seite nahe Zentendorf. Dort war aber kein Boot im Spiel. Stattdessen wollte er baden gehen. Ganz glimpflich kamen im Sommer 2020 sechs Frauen davon, deren Boot auf dem Wehr an der Görlitzer Altstadtbrücke hängenblieb: Sie kamen einfach nicht weiter, die Feuerwehr zog sie ans Ufer.