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So bewegt war das Leben dieses Hundertjährigen

Fritz Hennig ist ältester Bewohner im Heim an der "alten Post" in Görlitz. Er chauffierte im Krieg Offiziere, erlebte DDR-Geschichte und blieb bis zur Rente im Traumberuf.

Von Marc Hörcher
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Fritz Hennig, ehemaliger Lehrer und Bewohner der advita Pflegedienst Goerlitz, feiert seinen 100. Geburtstag.
Fritz Hennig, ehemaliger Lehrer und Bewohner der advita Pflegedienst Goerlitz, feiert seinen 100. Geburtstag. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Dieser Dienstag ist Fritz Hennigs großer Tag. Der frühere Lehrer und Bewohner der Wohngruppe des Advita Pflegediensts in der „alten Post“ an der Bahnhofstraße darf auf stolze 100 Lebensjahre zurückblicken. Der Tisch ist hübsch dekoriert mit der silbernen Jubelzahl. Morgens ist seine Tochter Monika Menzer (73) zum Frühstück da, nachmittags kommt noch einmal ein kleiner Kreis von zehn Familienmitglieder zum Kaffeetrinken vorbei. Die besteht aus Monika Menzer, ihrem Ehemann sowie drei Enkeln, die jeweils ihre Ehepartner mitbringen und einem Urenkel, mit 18 Jahren der Jüngste im Familienbunde.

Jubilar Fritz Hennig ist in der Wohngruppe der älteste Bewohner, nur in der häuslichen Pflege gibt es noch jemanden, der 102 Lebensjahre zählt, sagt Anne Krems, Leiterin der Einrichtung. Mit Zahlen und Uhrzeiten habe und nehme er es immer sehr genau, berichtet sie. Man merke einfach, dass er lange Zeit als Lehrer für Mathematik und Physik tätig war. Auch sein Verständnis für technische Abläufe hat er sich bis ins hohe Alter bewahrt. Noch bis vor einem Jahr war er fit im Telefonieren mit dem Senioren-Handy.

Handwerkliches Geschick bei Straßenbahn gebraucht

Geboren wird Fritz Hennig in Dresden. Im Zweiten Weltkrieg dient er bei der Wehrmacht, arbeitet als Chauffeur für Offiziere und wird stationiert in Afrika unter Generalfeldmarschall Erwin Rommel. Nach Kriegsende gerät er in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Über seine Kriegserlebnisse habe ihr Vater jedoch nie groß geredet, sagt Tochter Monika, für sie sei dieses Thema ohnehin unwesentlich.

Hennig kommt zurück nach Dresden. Weil seine Arbeitskraft und sein handwerkliches Geschick nach dem Krieg gebraucht werden, fängt er dort bei der Straßenbahn in der Werkstatt an. Vermutlich über seine Tätigkeit dort lernt er auch seine spätere Ehefrau Gisela kennen, die als Schaffnerin arbeitet. Die beiden heiraten 1948. Er macht seinen Meister in Maschinenbau, wechselt einige Jahre später zum Landmaschinenhersteller „Kombinat Fortschritt“, zieht deshalb mit der Familie nach Neustadt.

Dort erfüllt er sich seinen eigentlichen beruflichen Wunschtraum und geht mit 33 Jahren als Neulehrer in den Schuldienst an die Friedrich-Schiller-Oberschule. Seinen Pädagogen-Abschluss, heute würde man vielleicht Lehramt dazu sagen, macht er im Fernstudium, während er bereits im Dienst ist. Die Tochter beschreibt ihren Vater als sehr genau, ruhig, streng, aber auch beliebt unter den Schülern. Sie muss es wissen, denn eine kurze Zeit lang unterrichtet er sie selbst. Verwandtschafts-Bonus gibt es da nicht, er fördert und fordert jeden Schüler, sagt sie. Lehrer blieb er Zeit seines Lebens, bis er 1990 in Rente geht.

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Mit seinen beiden Kindern unternimmt der Vater viele Wandertouren, bringt ihnen die Natur in der Sächsischen Schweiz und im Osterzgebirge näher. Noch heute kennen sie dort nahezu jeden Winkel auswendig, beschreibt die Tochter. Auch seine Schüler dürfen von der Wanderleidenschaft des jetzigen Jubilars profitieren, denn die nahm er stets mit ins Ferienlager nach Schellerau in die DDR-Jugendherberge „Junger Kumpel“. Platz für alle ist dort aber nicht. Und seine Schüler wissen genau, dass er nur die Braven mitnimmt - also geben sich alle die größte Mühe, sich gut zu benehmen, erinnert sich die Tochter. Die Jugendherberge gibt es heute nicht mehr, die Friedrich-Schiller-Oberschule in Neustadt schon. Von anderen ehemaligen Lehrern gibt es Glückwünsche per Post.

Seine Ehefrau Gisela ist mittlerweile verstorben. Bis vor drei Jahren meistert er seinen Alltag noch alleine lebend, mit Pflege der Tochter. Vor drei Jahren zieht er in die damals gerade frisch eröffnete Wohngruppe an der „alten Post“ in Görlitz. Eine seiner Enkeltöchter wohnt mit ihrer Familie in Görlitz, deshalb liegt es nahe, ihn hierher zu holen. Mittlerweile hat er sich gut eingelebt. Pflegerinnen und Pfleger beschreiben ihn als eher ruhigen Zeitgenossen. Die Liebe zum Spaziergang ist geblieben. Anfangs zieht er noch mit dem Rollator durch den Garten, mittlerweile macht er hin und wieder gemeinsam mit dem Personal eine Runde im Rollstuhl. Und wie geht es ihm bei seiner Geburtstagsfeier? Ganz gut, wie immer, sagt er - und lächelt, nimmt es gelassen, fast ein wenig so, als ob man jeden Tag 100 werde.