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Probewohnen-Projekt: Was die Menschen nach Görlitz zieht

Seit 2015 versucht es die Stadt mit dem Angebot, den Bevölkerungsschwund zu stoppen. Wie klappt das, welche Probleme gibt es? Das war jetzt Thema im Stadtrat.

Von Marc Hörcher
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Passanten in der Straßburgpassage in Görlitz. So belebt ist es dort nicht immer.
Passanten in der Straßburgpassage in Görlitz. So belebt ist es dort nicht immer. © SZ-Archiv / Paul Glaser

Görlitz hat seine Stärken als attraktiver Wohn- und Lebensort - sie müssen nur richtig ausgespielt werden, um mehr Menschen hierher zu locken und dem Bevölkerungsschwund entgegenzuwirken. So lassen sich die Forschungsergebnisse, die Professor Dr. Robert Knippschild, Wissenschaftler des Leibniz-Instituts, am Donnerstag im Stadtrat vorstellte, zusammenfassen. Seine Forschungsgruppe hat über Jahre hinweg die Ergebnisse des Projekts „Probewohnen“ ausgewertet - und leitet daraus einige konkrete Handlungsempfehlungen für Politik und Verwaltung ab. Sächsische.de gibt einen Überblick.

Was steckt hinter dem Probewohnen?

Seit 2015 bot Görlitz Interessierten an, das Wohnen in der Neißestadt für einen begrenzten Zeitraum kostenfrei auszuprobieren. Das Projekt nennt sich „Probewohnen“. Dafür kooperieren Wissenschaft, Verwaltung und die Wohnungsbaugesellschaft Kommwohnen. Den Projektteilnehmern werden möblierte Wohnungen in verschiedenen Stadtteilen zur Verfügung gestellt.

260 Personen haben bislang daran teilgenommen. Sie alle wurden befragt, wie sie das Wohnen in der Neißestadt bewerten. Von Anfang an werten die Wissenschaftler des Leibniz-Instituts mit einer in Görlitz ansässigen Zweigstelle die Projektergebnisse aus. Insgesamt drei Phasen hat es bislang gegeben, mit unterschiedlichen Schwerpunkten. In der letzten Phase wurde der Forschungsschwerpunkt vor allem auf das Wohnen in einer klimaneutralen Stadt gelegt.

Welche Menschen interessieren sich für Görlitz?

Für das Probewohnen bewarben sich seit Projektbeginn insgesamt 531 Personen - also mehr als doppelt so viel, wie genommen werden konnten. In der ersten Projektphase waren das noch vor allem Senioren - genauer: Personen kurz vor oder im Rentenalter, so beschreibt es Dr. Knippschild. Mit der Ausrichtung des Projekts auf das Thema Arbeiten änderte sich jedoch die Zielgruppe. Insbesondere von jungen Familien wird Görlitz als attraktiver Wohnort bewertet. Aber auch Mütter oder Väter im Alter von 50 bis 64 Jahren, deren Kinder bereits von zu Hause ausgezogen sind und die sich danach noch mal neu orientieren möchten, zieht es hierher.

Die meisten Bewerbungen kamen von Personen, die in Großstädten lebten und nun eine Mittelstadt ausprobieren wollten. Als solche gilt Görlitz mit seinen rund 57.000 Einwohnern. Häufig ist Görlitz deswegen für die Probewohnen-Teilnehmer interessant, weil sie in ihrer Großstadt kein angemessenes und bezahlbares Angebot an Wohn- und Arbeitsräumen finden. Viele wollten auch deswegen eine Stadt mit weniger Einwohnern ausprobieren, weil Verkehrslärm und Luftverschmutzung durch Abgase sie in der Großstadt stören. Den im Vergleich zur Großstadt entspannten Immobilienmarkt bewerten die Teilnehmer als Pluspunkt für Görlitz, und das in allen drei Phasen des Projekts.

Wie wird Görlitz bewertet?

Neben dem ausreichenden Platzangebot für Wohnungen und Arbeitsraum zu erschwinglichen Preisen loben die Projektteilnehmer auch die kurzen Wege innerhalb der Stadt. Das betrifft Alltagsdinge wie den Weg zur Arbeit oder zum Einkauf, aber die gute und schnelle Erreichbarkeit von Parks und anderen Grünflächen. Die Probewohner schätzen zudem die bauliche Attraktivität sowie die vielen Initiativen, Vereine und Naherholungsmöglichkeiten in der Region. Kritik gibt es zur Situation im Straßenverkehr: Autos, so ergab die Auswertung der Interviews, nehmen den Probewohnern in Görlitz zu viel Platz ein. Das gelte besonders für die Innenstadt. Besonders Radfahrer und Fußgänger sind davon genervt. Außerdem stören die Pkws im historischen Stadtbild.

Die leerstehenden Wohnungen und Gewerberäume und die vergleichsweise günstigen Mieten werden als wesentliches Potenzial der Neißestadt eingeschätzt. Das hat allerdings auch eine Kehrseite: eben weil sie einen entspannten Wohnungsmarkt erwarten, formulieren die Teilnehmer auch gewisse Ansprüche an die Wohnung, die sie suchen - hinsichtlich Größe, Zuschnitt, Ausstattungsqualität und Kosten. In der Realität können diese Ansprüche nicht immer erfüllt werden.

Das Image der Stadt Görlitz wird von den Teilnehmern unterschiedlich bewertet. Während ältere Generationen Görlitz häufig mit der historischen Bausubstanz verbinden oder auch Bezeichnungen wie „Europastadt“ oder „Görliwood“ kennen, assoziieren die jüngeren Generationen teilweise auch das Stärker werden rechtspopulistischer Strömungen mit der Stadt.

Was empfehlen Wissenschaftler der Stadt Görlitz?

Abschließend geben die Projektpartner einige konkrete Empfehlungen. So sollte Görlitz beispielsweise nicht versuchen, die Vorzüge einer Großstadt zu kopieren, sondern seine eigenen Stärken herausstellen und entwickeln. Das Wohnangebot in der Innenstadt sollte durch energetische Sanierungen und funktionale Renovierung von Altbauten attraktiver gemacht werden. Der Verkehr in Görlitz soll fußgänger- und fahrradfreundlicher gestaltet werden. Eine bessere Anbindung an den überregionalen Zugverkehr könne dabei helfen, dass sich die Bewohner nicht so abgeschottet fühlen wie bisher. Des Weiteren soll die Stadt ihr erklärtes Ziel, bis 2030 klimaneutral zu werden, nicht nur bewerben, sondern konkreter mit sichtbaren Maßnahmen füllen, denn auch das kann ein Zuzugsfaktor sein.