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Kleiner Grenzverkehr: Hurra, die Deutschen kommen

Der kleine Grenzverkehr über die Neiße in Görlitz läuft wieder. Die Polen freuen sich über Kundschaft, die Deutschen über billiges Einkaufen. Eindrücke vom Montag.

Von Matthias Klaus
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Fernando Krämer mit Sohn Leandro auf der Altstadtbrücke: Sie waren Zigaretten holen.
Fernando Krämer mit Sohn Leandro auf der Altstadtbrücke: Sie waren Zigaretten holen. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Quer vor der Altstadtbrücke in Zgorzelec steht ein Einsatzwagen der polnischen Grenzpolizei. Sieht von Weitem ein wenig abschreckend aus, ist es aber gar nicht. Die Beamten schauen eher gelangweilt aus den geöffneten Seitenfenstern Richtung Deutschland. Der gelbe Hubschrauber, der am Montagvormittag wiederholt über Görlitz kreist, scheint sie mehr zu interessieren als die Leute, die links und rechts an ihrem Mobil vorbeigehen.

Zu denen gehört auch Fernando Krämer. Er hat einen gelben Plastikbeutel in der einen Hand und Sohn Leandro an der anderen. Der zieht ein bisschen, der Junior will nach Hause. Fernando Krämer kommt vom Zigarettenholen aus Zgorzelec, der neue, alte kleine Grenzverkehr macht es möglich.

"Klar ist das toll, wenn man jetzt einfach mal wieder schnell rüber darf, ohne Tests und so", sagt Fernando Krämer. Er habe das auch schon kräftig genutzt. Aber der Görlitzer sieht das Ganze auch aus einer anderen Warte, aus Sicht eines Mannes aus der Gastronomie. Denn Fernando Krämer ist Vize-Chef im Restaurant Schwibbogen in Görlitz.

Außengastronomie ärgert deutsche Gastronomen

"Wenn ich sehe, dass hier in Zgorzelec die Außengastronomie wieder geöffnet hat und ein paar Meter weiter in Görlitz nicht, dann ärgert mich das schon sehr", sagt er. Tatsächlich öffneten die Restaurants in Zgorzelec pünktlich Mitte Mai ihre Außenbereiche. Und weitere Öffnungen sollen folgen: Ab dem 29. Mai können Gäste auch in den Innenräumen bewirtet werden, dann mit einer auf 50 Prozent begrenzten Auslastung der Räumlichkeiten.

"Ich finde das schon ungerecht", sagt Fernando Krämer. Dann muss er aber los, über die Altstadtbrücke nach Görlitz. Leandro zieht stärker.

Ein paar Meter weiter in Zgorzelec steht Leslaw Pilny vor seinem Geschäft. "In Polen brauchen Sie keine Maske im Freien", sagt er. "Aber kommen Sie doch rein." Klar, Leslaw Pilny ist Geschäftsmann, will verkaufen. In seinem Laden gibt es Zigaretten, Schnaps und Lollis. Zigaretten sind offensichtlich sein Hauptbroterwerb, die Kunden geben sich die sprichwörtliche Klinke in die Hand. Deshalb hat Leslaw Pilny die Tür auch gleich offen gelassen. "Die letzten zwei Tage waren wirklich gut", sagt er.

Leslaw Pilny in seinem kleinen Geschäft unterhalb des Postplatzes gegenüber der Altstadtbrücke in Zgorzelec: Er verkauft vor allem Zigaretten.
Leslaw Pilny in seinem kleinen Geschäft unterhalb des Postplatzes gegenüber der Altstadtbrücke in Zgorzelec: Er verkauft vor allem Zigaretten. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Die Kunden kommen zum allergrößten Teil aus Deutschland, wie eine kleine SZ-Umfrage an der Altstadtbrücke ergibt. Es sind viele Stammkunden dabei, die den schnellen Gang über die Grenze vermisst haben. Leslaw Pilny jedenfalls lacht hinter seiner coronasicheren Glasscheibe am Verkaufstresen. Kurz wird er ernst. "Ja", sinniert der Pole, "das vergangene halbe Jahr war schon hart. Wenig Verkauf." Zigaretten kamen nur über die Neiße, wenn sie Arbeiter in deutschen Fabriken für Bekannte und Verwandte mitgenommen hatten.

Aber jetzt schaut Leslaw Pilny sehr optimistisch in die Zukunft und wundert sich über die Nachbarn. "Bei uns macht jetzt langsam aber sicher alles wieder auf. Sogar die Hotels haben geöffnet, wenn auch nur für die Hälfte der Gäste. Ich versteh euch Deutsche nicht." Er schüttelt lachend den Kopf.

Überschaubarer Andrang an der Tankstelle

Gleiche Stadt, eine andere Brücke: An der kleinen Tankstelle gleich hinter der Stadtbrücke ist der Andrang noch überschaubar. Wahrscheinlich liegt es an der Uhrzeit: Montagmittag. Aber wer hier tankt, ist aus dem deutschen Grenzgebiet angereist. Siegfried Hensel hängt gerade den Zapfschlauch an die Säule zurück. Sein Golf beziehungsweise dessen Tank ist voll. "Wieder ein paar Euro gespart", sagt er.

Siegfried Hensel wohnt zwar nicht in Görlitz, sondern in einer Gemeinde südlich der Stadt. Ja, sagt er, die etwas weitere Anfahrt lohne sich. Sein 75-PS-Golf schlucke nicht so viel, und beim Benzinpreisvergleich mit Tschechien kam Polen am besten weg. "Ich hab's ausgerechnet, auch wenn sich die Preise ja manchmal am Tag ein paar Mal ändern", sagt Siegfried Hensel.

Mateusz Fijalkowski und seine Frau Ada Fijalkowska i vor ihrer Bazylia Streetfood Bude neben der Altstadtbrücke in Zgorzelec: Zur Fußball-EM gibt es Public-Viewing.
Mateusz Fijalkowski und seine Frau Ada Fijalkowska i vor ihrer Bazylia Streetfood Bude neben der Altstadtbrücke in Zgorzelec: Zur Fußball-EM gibt es Public-Viewing. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Zurück Richtung Altstadtbrücke. Ein paar Meter entfernt versucht Ada Fijałkowska den Gastronomie-Nachwuchs in die Geheimnisse der Cocktailherstellung einzuweihen. Sie steht im Street-Food-Imbiss Bazylia und erklärt geduldig. Ihr Mann Mateusz Fijałkowski hält hier die geschäftlichen Fäden in der Hand. Das bedeutet: Er steht vor dem Imbiss und telefoniert. Der Blick über die Neiße Richtung Görlitz von hier aus ist traumhaft. Mateusz Fijałkowski hat deshalb neben rustikalen Holzbänken Liegestühle mit Neißeblick aufgestellt.

Hier sitzen Polen und Deutsche beim Street-Food

Momentan sind die aber leer, und auch die wenigen Gäste an den Tischen, ältere Herrschaften aus Polen gehen gerade. Mateusz Fijałkowski winkt ab. "Heute Nachmittag sieht das garantiert schon wieder ganz anders aus", sagt er. Der Street-Food ist eines seiner Standbeine, ein Restaurant, Bazylia Pizza & Pasta, sein zweites. Seine Gäste kommen sowohl aus Polen als auch aus Deutschland. Letztere zuletzt zwar nicht, aber nun sind sie wieder da. "Wir sind sehr froh darüber", sagt Mateusz Fijałkowski.

Generell findet er, sollte man um die Herkunft nicht so einen Wirbel machen: "Wir sind zwar zwei Nationen, aber eine Stadt." Zur Fußball-EM will er Public-Viewing anbieten. "Dort", zeigt er, kommt die große Leinwand hin.

Direkt an der Brücke eilt derweil Leslaw Pilny fast im Laufschritt zum Auto. Stress? "Positiver Stress", ruft er. Leslaw Pilny muss ins Warenlager. Der Zigarettennachschub im Laden geht zur Neige.

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