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Erster toter Flüchtling an der Neiße

Bei Görlitz wurden am Freitag etwa 30 Iraker und Iraner aufgegriffen, einer der Männer ist tot. Den ganzen Tag über sucht die Polizei den Schleuser.

Von Matthias Klaus
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Aufgriff bei Schöpstal: Etwa 30 irakische und iranische Staatsangehörige kamen in Obhut der Bundespolizei. Die stellte auch einen Toten fest.
Aufgriff bei Schöpstal: Etwa 30 irakische und iranische Staatsangehörige kamen in Obhut der Bundespolizei. Die stellte auch einen Toten fest. © Danilo Dietrich

Es ist kurz nach zwölf Uhr mittags am Freitag, und zwei Männer kommen mit einem Hund über die Wiese bei Schöpstal gelaufen. In der Ferne donnern Laster über die Autobahn, Windräder drehen sich. Die beiden Herren gehören der gemeinsamen deutsch-polnischen Dienststelle der Bundespolizei in Ludwigsdorf an, der Hund natürlich ebenso.

Dem Bundespolizisten aus Deutschland stehen trotz des kräftigen Windes hier draußen Schweißtropfen auf der Stirn. Seit vier Stunden war das Trio jetzt im Wald unterwegs: Ergebnis Null. Eigentlich soll ein Schleuser aufgespürt werden, ein Türke, 42 Jahre alt. Michael Engler deutet auf ein kleines Waldstück. "Möglicherweise hält er sich dort versteckt", sagt der Sprecher der Bundespolizei in Ludwigsdorf.

Es ist ein Großaufgebot an Polizei, das sich hier am Freitag nahe der Autobahn versammelt hat. Der Grund ist ein trauriger. Am Freitagmorgen hatte ein Zeuge einen verdächtigen Transporter gemeldet. Vielleicht werden ja wieder Flüchtlinge eingeschleust? Eine Kontrolle ergibt genau das. Als Landes- und Bundespolizei eintreffen, steigen gerade die Flüchtlinge aus dem Renault, etwa 30 Personen, etwa zur Hälfte aus dem Irak und aus dem Iran, werden aufgegriffen. Das Schreckliche: Ein Mann ist tot. Er stammte aus dem Irak, war 32 Jahre alt.

Hubschrauber im Einsatz

Es ist der erste Tote, mit dem sich die Polizei in Sachsen im Zuge der Flüchtlingsroute aus Weißrussland nun beschäftigen muss. Entsprechend groß ist das Aufgebot in der Nähe von Charlottenhof. Ein Hubschrauber kreist über dem Wäldchen, in dem der geflüchtete mutmaßliche Schleuser vermutet wird. Er hat zwar Wärmebildtechnik an Bord, die hat es am Tag allerdings schwer, nachts sind bessere Ergebnisse zu erwarten.

Woran der irakische Flüchtling gestorben ist, blieb bis Freitagabend noch offen, eine Untersuchung soll es zeigen. Nach SZ-Informationen hatte sein Tod wohl nichts mit der unmittelbaren Schleusung zu tun, trat womöglich schon Stunden vorher ein.

Die anderen Geschleusten werden inzwischen auf Corona getestet, befragt, Daten aufgenommen. Später werden sie dann in die Erstaufnahmeeinrichtungen des Freistaates gebracht. Dann startet das Asylverfahren. Eigentlich ist für den ersten Kontakt der Eingeschleusten mit deutschen Behörden an der deutsch-polnischen Grenze in Sachsen die Inspektion Ludwigsdorf zuständig, die inzwischen Durchgangspunkt für Flüchtlinge ist, die in der gesamten Oberlausitz aufgegriffen werden.

In dem Fall funktioniert es aber nicht. Ludwigsdorf ist voll besetzt. "Wir haben noch Personen nach Aufgriffen aus der vergangenen Nacht bei uns", sagt Sprecher Michael Engler. Wie viele genau, darf er seit Neuestem nicht mehr verraten, nach SZ-Informationen bewegt sich die jüngste Zahl im dreistelligen Bereich. Zu viel mit den Neuankömmlingen aus Schöpstal. Ein Teil von ihnen wird deshalb delegiert, an die Bundespolizei in Hirschfelde.

Das Schleuserfahrzeug: Der Renault gehört nach SZ-Informationen einer Leihfirma.
Das Schleuserfahrzeug: Der Renault gehört nach SZ-Informationen einer Leihfirma. © Danilo Dittrich

Kurz nach eins am Freitag, es bewegt sich etwas unter den Windrädern. Zivilfahrzeuge kommen an, es ist die Tatortgruppe des Landeskriminalamtes. Die Experten hüllen sich in weiße Ganzkörperanzüge, machen Fotos vom Schleuserfahrzeug, schauen ins Innere desselben. Streifenwagen blockieren mehr oder weniger inzwischen auch die Zufahrten zu dem polizeilichen Großaufgebot.

Vorausfahrendes Fahrzeug sondierte die Lage

Der Renault-Transporter trägt ein GS-Kennzeichen. Das bedeutet, er ist in Slupsk, zu deutsch Stolp, in der Woiwodschaft Pommern zugelassen. Nach Informationen der SZ soll es sich um ein Fahrzeug einer Leihfirma handeln. Was mit dem Fahrzeug nach allen polizeilichen Untersuchungen passiert, war Freitag noch offen.

Landes- und Bundespolizei arbeiten eng zusammen, waren mit einem Großaufgebot vor Ort.
Landes- und Bundespolizei arbeiten eng zusammen, waren mit einem Großaufgebot vor Ort. © Danilo Dittrich

Offenbar war an der Schleusung auch ein Fahrzeug beteiligt, das vorausfahrend die Lage sondierte. Es handelt sich in dem Fall um einen Mercedes der B-Klasse. Den Fahrer, einen 48-jährigen Mann ebenfalls türkischer Herkunft, nahm die Polizei vorläufig fest.

Die Zahl der Flüchtlinge, die über die deutsch-polnische Grenze kommen, nimmt derweil zu, nicht nur im Bereich Ludwigsdorf, sondern generell zwischen Ostsee und Zittauer Gebirge. Bis einschließlich Donnerstag registrierte die Bundespolizei nur für den laufenden Monat 4.889 unerlaubte Einreisen mit einem Bezug zu Weißrussland.

Im laufenden Jahr wurden somit insgesamt bereits 7.300 unerlaubte Einreisen mit Weißrussland-Bezug durch die Bundespolizei festgestellt, heißt es aus dem Präsidium in Potsdam. In Sachsen wird es derweil in den Erstaufnahmeeinrichtungen in Dresden, Chemnitz und Leipzig eng. Die Auslastung liegt hier bei etwa 80 Prozent. Die Landesdirektion denkt inzwischen an den Ausbau der Einrichtungen, will Flüchtlinge in andere Bundesländer schicken.

Freitagnachmittag, Michael Engler steht immer noch unter den Windrädern in Schöpstal. Vom geflüchteten mutmaßlichen Schleuser türkischer Abstammung fehlt weiterhin jede Spur. "Wenn die Situation weiter so anhält, habe ich schlimme Befürchtungen für den Winter", sagt Michael Engler. Frostige Temperaturen, ausgezehrte Menschen, die durch Polen an die deutsche Grenze gebracht werden - das ist ein Szenario, das sich derzeit hier in Sachsen wohl keiner ausmalen will, schon gar nicht in der Politik.

Die Suche nach dem Mann, der die 30 Iraker und Iraner über die Autobahn von der weißrussischen Grenze durch Polen gebracht und bei Schöpstal einfach ausgeladen hat, bleibt am Freitag bis zum Abend jedenfalls ohne Ergebnis. "Ich hoffe, wir bekommen ihn", sagt Michael Engler. Der Abend ist noch lang.