SZ + Görlitz
Merken

Görlitzer sparen Gas und stellen auf Kamine um

Kurz vor seinem Ruhestand erlebt Schornsteinfegermeister Ulrich Ritter, wie die Energiekrise dazu führt, dass die Menschen wieder mehr mit Holz feuern. Für ihn ein Rückschritt.

Von Ingo Kramer
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Ulrich Ritter begann 1975 seine Schornsteinfegerlehre bei seinem Vater. Jetzt geht er in den Ruhestand, will aber noch ein bisschen bei seinem Sohn mitarbeiten.
Ulrich Ritter begann 1975 seine Schornsteinfegerlehre bei seinem Vater. Jetzt geht er in den Ruhestand, will aber noch ein bisschen bei seinem Sohn mitarbeiten. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Mit so einem Jahr konnte Ulrich Ritter kurz vor seinem Ruhestand nicht rechnen. „Seit der Wende hat 2022 die einschneidendsten Veränderungen gebracht“, sagt der 64-Jährige – und spricht von einem „Rückschritt zur Holzfeuerung.“

Das hat vor allem mit der Energiekrise zu tun. Waren es früher etwa 30 bis 40 neue Kaminöfen pro Jahr, für die er seine Zustimmung erteilt hat, so sind es dieses Jahr schon über 100. „Fast alle sind auf dem Land aufgestellt worden“, sagt Ritter. In der Stadt seien es in seinem Kehrbezirk maximal zehn. „Oft gibt es in der Stadt keine Schornsteine mehr“, sagt er. Anderswo liegen heute Heizleitungen oder Wasserrohre in den Schornsteinen. Oder Bauschutt – von früheren Abrissarbeiten. Und in Mehrfamilienhäusern sei die Zustimmung des Eigentümers erforderlich, um einen Kaminofen aufstellen zu können.

  • Hier können Sie sich für unseren kostenlosen Görlitz-Niesky-Newsletter anmelden.

Dennoch: Wer die Möglichkeit hat, nutzt diese inzwischen wieder öfter. „Auf dem Dorf hat bestimmt jeder Fünfte einen Kaminofen“, schätzt Ritter. In der Stadt sei es etwa jeder zehnte Einfamilienhausbesitzer. Auf dem Land gebe es auch viele Pellet- und Scheitholzkessel. Gerade in Königshain besitzen viele ein Stück Wald. Dort fällt Holz an – vor allem durch den Borkenkäfer. Da nutzen die Leute Scheitholzkessel. Ob einige auch wieder Kohle feuern, kann Ritter nicht sagen: „Man merkt am Rußansatz in den Schornsteinen, dass wieder mehr gefeuert wird – aber nicht, ob es Kohle ist.“ Von ganz wenigen Fällen weiß er, wo preisgünstig in Polen erworbene Steinkohle zum Einsatz kam. Das gebe aber meist ganz schnell Ärger mit den Nachbarn – und erlaubt sei es auch nicht. In solchen Fällen muss der Schornsteinfeger einschreiten, wenn er es bemerkt.

Ulrich Ritter hat auch ganz andere Zeiten erlebt. Er hat den Schornsteinfegerberuf von 1975 bis 1977 von der Pike auf gelernt und 1980 seinen Meisterabschluss gemacht. „Damals hat man sich bei den Kehrarbeiten noch richtig schwarz gemacht“, erinnert er sich. Die Schornsteinfeger gingen in die Fabrikschornsteine, in denen es Steigleitern gab. „Drinnen wurden die Wände mit dem Reisigbesen abgekehrt“, sagt Ulrich Ritter. Atemmasken wie heutzutage habe es damals nicht gegeben: „Nur einen Gummischwamm, ein Mundtuch und eine Schutzbrille.“ Am Ende sei bis auf die Augen alles schwarz gewesen.

Abschied nach mehr als 47 Berufsjahren

Zum 31. Dezember verabschiedet sich der Schornsteinfegermeister in den Ruhestand – nach mehr als 47 Berufsjahren. Seinen Kehrbezirk übernimmt ein junger Mann, der dieses Jahr seine Meisterprüfung bestanden hat. Er wartet noch auf eine Bescheinigung vom Finanzamt. Voraussichtlich zum 1. Februar kann er starten.

Ulrich Ritter ist Schornsteinfegermeister in dritter Generation, absolvierte die Lehre in Görlitz bei seinem Vater, war dann Geselle bei ihm, später Geselle beim Nachfolger des Vaters. 1986 erhielt er seinen ersten eigenen Kehrbezirk in Seifhennersdorf.

Nach der Wende wurde ein Auto nötig

Wenn er nun auf sein Berufsleben zurückblickt, dann auf zwei völlig verschiedene Abschnitte. Im Ersten – bis zur politischen Wende 1989/90 – bestand die Arbeit vor allem aus Kehren. „Ich konnte noch mit dem Fahrrad oder Moped fahren“, erinnert er sich. Nach der Wende musste er sich ein Auto anschaffen – wegen der Messgeräte, die zu transportieren waren. „Das waren richtige Koffer, der erste wog 20 Kilo“, berichtet er. Die moderne Heiztechnik habe nach der Wende sehr schnell Einzug gehalten. Auf den Dörfern wurden die Kohlebunker zu Öltanklagern, in der Stadt kamen zum Großteil Gasheizungen zum Einsatz. Und der Schornsteinfeger kam nunmehr vor allem zum Messen statt zum Kehren.

„Schon Mitte der 1990er Jahre war ich voll drin in den Messarbeiten an Heizkesseln und Thermen“, berichtet Ritter: „Da hat man sich kaum noch dreckig gemacht.“ Im Laufe der Zeit wurden die Messgerätekoffer kleiner, die Büroarbeit immer mehr. „Mein Vater hatte einen kleinen Schrank und einen Schreibtisch mit Schreibmaschine“, sagt Ritter. Heute steht sein ganzes Büro voll mit Aktenordnern.

Kehrtätigkeit wird künftig zunehmen

In Seifhennersdorf blieb er bis Ende 1996. Seit 1. Januar 1997 hat er seinen heutigen Kehrbezirk. Er umfasst die Südstadt, Teile der westlichen Innenstadt, aber auch das gesamte Schöpstal sowie Königshain. Wenn sich seit 1997 Dinge verändert haben, dann eher schleichend. Erst 2022 ging es schnell: „Die Kehrtätigkeit für die Schornsteinfeger wird wahrscheinlich ab dem nächsten Jahr spürbar zunehmen.“

Ganz aufhören möchte Ulrich Ritter noch nicht. Er will noch ein bisschen bei seinem Sohn mithelfen, der seit vier Jahren einen eigenen Kehrbezirk in Görlitz hat. „Und wenn mich Kunden fragen, mache ich auch in meinem Gebiet noch ein bisschen weiter“, sagt er: „Damit ich den Ruß noch ein bisschen in der Nase habe.“

Schornsteinfeger sei ein guter Beruf: „Er hat mir all die Jahre Spaß gemacht.“ Er könne ihn auch weiterempfehlen, denn er sei sehr abwechslungsreich: „Man ist immer an der frischen Luft, kommt viel mit Leuten zusammen und es ist immer ein bisschen Technik dabei.“ Das einzige Unangenehme sei die viele Büroarbeit. Das halte viele Gesellen davon ab, ihren Meister zu machen und einen eigenen Kehrbezirk zu übernehmen. Finde sich dann kein Nachfolger für einen Meister, werden Kehrbezirke aufgeteilt. Doch das habe Grenzen, die Bezirke seien schon sehr groß.

Ulrich Ritter geht mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Er freut sich, mehr Zeit für seine vier Enkel zu haben, die alle in und um Görlitz leben. Und er will sich als Rentner ein paar Sachen am Computer aneignen, einen Kurs besuchen: „Um mir selbst zu beweisen, dass ich das hinkriege.“ Seinen Kunden dankt er für die gute Zusammenarbeit: „Ich habe mich in meinem Kehrbezirk immer wohlgefühlt.“ Dort kam er bis jetzt mit einem Gesellen aus. „Zwei wären aber mittlerweile besser“, sagt er. Darum muss er sich nun aber nicht mehr kümmern.