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Warum das Görlitzer Publikum zwei Satiriker zu Tränen rührte

Jahrelang haben die Hobby-Autoren Mike Altmann und Axel Krüger die „Lesebühne Hospitalstraße“ im Apollo veranstaltet. Weshalb damit nun Schluss ist.

Von Marc Hörcher
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Kniefall vor ihrem Publikum: Meikel Neid (von links), Mike Altmann, Axel Krüger und Laander Karuso bei der letzten Show der Lesebühne „Hospitalstraße“ im Apollo-Theater in Görlitz.
Kniefall vor ihrem Publikum: Meikel Neid (von links), Mike Altmann, Axel Krüger und Laander Karuso bei der letzten Show der Lesebühne „Hospitalstraße“ im Apollo-Theater in Görlitz. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

"Das Apollo wurde zum Tränenpalast", schreiben Mike Altmann und Axel Krüger in einem Abschiedsgruß über die 41. und letzte Ausgabe ihrer „Lesebühne Hospitalstraße“ im kleinen Görlitzer Theater. Die beiden stadtbekannten Satiriker staunen nicht schlecht, als das Publikum sie mitten in der Show überrascht - mit einem selbst (um)gedichteten Abschiedslied. „Wir werden euch vermissen, weiß der Kopf und spürt der Bauch. Wir werden euch vermissen und ihr uns vielleicht ja auch“, singen sie. Der Refrain, er stammt übrigens ursprünglich aus einem anderen Abschiedslied einer bekannten Kölner A-cappella-Gruppe, verursacht merkbare Rührung bei den beiden sonst so coolen Hobby-Literaten. Doch als die Bühnen-Profis, die sie sind, drücken beide rasch die Tränchen weg, verbeugen sich, bedanken sich - und lesen die nächsten Texte.

Seit 2011 haben sie das getan. An rund 100 Abenden unterhielten sie das Publikum, zumeist im Apollo. Bis 2015 zunächst unter dem Titel „Jazzhappen“, gemeinsam mit dem musikalischen Direktor Michael Mönnig. Im November 2015 unter dem neuen Namen „Lesebühne Hospitalstraße“. Der soll Urbanität vermitteln, den Spielort adressieren - aber auch darauf verweisen, dass es wunderschön und befreiend sein kann, im „Hospital“ mal zwei Stunden lang gemeinsam über den kranken Zustand einer Stadt zu lachen.

Rund 400 Texte haben Altmann und Krüger für das Publikum im Apollo geschrieben. In essayistischen Kurzgeschichten der beiden selbst ernannten Popliteraten geht es mal um Schockbilder auf Zigarettenschachteln und die Freiheit, sich im Leben für das Falsche zu entscheiden, und mal um die Frage, ob früher wirklich alles besser war. Dann wieder um einen „Aggroday“, bei dem der Protagonist seiner Wut freien Lauf lässt und denselben bereits damit startet, seinen Wecker im Badezimmer zu ertränken. Beim „Waterboarding“ in „Klein-Guantanamo“ legt der Wecker „ein umfassendes Geständnis ab. Er wird mir nie wieder auf den Zeiger gehen“, grummelt es von der Bühne. Aber das Satiriker-Duo kann auch leise, gesellschaftskritische Töne anschlagen. Neben einer Kalauer-Krimigeschichte mit wortwörtlichen Schenkelklopfern deklamiert Altmann an diesem letzten Bühnen-Abend ein Liebesgedicht an Ostdeutschland. Darin thematisiert er die Zerrissenheit, die bis heute diesen Teil Deutschlands prägt - und nimmt die Vorurteile über das Land „ganz am Ende der A4“, die im Rest der Republik bis heute da sind, lyrisch aufs Korn.

Absprachen über irgendwelche Themen gibt es in all den Jahren nie - nur ein Gebot: Die politische Korrektheit habe man sich stets gegenseitig verboten, betont Krüger im Interview mit Sächsische.de. Und die beiden nehmen sich auch selbst auf die Schippe - oder gegenseitig, wenn etwa Krüger sich über die angebliche Zwergengröße seines Bühnenpartners lustig macht ("Senken Sie Ihren Blick nach unten für den Mann, der jetzt kommt..."). Altmann nimmt das seinerseits mit Humor, gründet in einer fiktiven "Bundestagswahl"-Show, die vor sechs Jahren als Ableger der "Hospitalstraße" im großen Saal des Gerhart-Hauptmann-Theaters stattfand, sogar die "Kleinen Partei Deutschlands (KPD)", für die er eine "Wahlkampfrede" hält.

Am Ende der Bühnenkarriere löst Krüger nun auf: Das sei alles Quatsch, Altmann sei eigentlich genauso groß wie er. Okay, Faktencheck - bitte mal nebeneinander aufstellen, die Herren. Krüger stellt sich - und geht sofort in die Hocke, beide feixen. Die Chemie stimmt einfach bei diesem dynamischen Duo, auch abseits der Bühne spielen sich die permanent die Bälle zu. "Wie ein altes Ehepaar", meint Altmann an anderer Stelle im Gespräch. Woher das kommt, können beide gar nicht so richtig erklären. Vielleicht wirklich einfach gute, jahrelange Freundschaft. Obwohl Krüger auf die Frage nach der Chemie ganz trocken antwortet: "Nein, das war gespielt. Wir hassen uns eigentlich." Nun ja, vielleicht nimmt man besser nicht alles ernst, was die beiden erzählen.

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Oft ist das Görlitzer Stadtgeschehen Thema bei den beiden, häufig Themen aus der „geliebten Heimatzeitung“, nicht selten war auch die Heimatzeitung selbst Ziel ihrer Satire. Unterstützend holten sie sich in all den Jahren jeweils einen musikalischen und einen literarischen Gast dazu. In der letzten Ausgabe waren das Laander Karuso und Meikel Neid. Aber auch Lokalmatadore wie Udo Tiffert und der sächsische Ex-Innenminister Heinz Eggert standen und lasen bereits mit dem Duo auf der Bühne. In einer der ersten Ausgaben war Sarah Bosetti zu Gast. Die hat mittlerweile ihre eigene Fernseh-Kolumne im ZDF und tritt regelmäßig in öffentlich-rechtlichen Sendungen wie „Extra 3“ oder „Nuhr im Ersten“ auf. „Im Grunde waren wir also immer ein Sprungbrett auf die Weltbühne“, resümiert Altmann, verschmitzt grinsend.

Und nun ist also Schluss. Wirklich, ganz ehrlich, endgültig, versichern beide. Warum? „Ich habe nichts mehr, was ich auf der Bühne anziehen kann“, sagt Krüger - und mit Blick zu Altmann: „Seit du mir gesagt hast, ich soll nicht immer nur Schwarz tragen, bin ich total verunsichert. Du bist also schuld.“ Okay, und warum wirklich? Weil man dann aufhören sollte, wenn es am schönsten ist, sagt Altmann. Bei den letzten sieben Shows in ihrer Abschieds-Saison war der Saal immer ausverkauft, das Publikum immer begeistert. Das sei doch „schöner, als sich einen abzuwürgen“.

Beruflich beraten sie das DZA

Über Langeweile dürften sich die beiden nach dem Ende der „Hospitalstraße“ bestimmt nicht beklagen. Beide sind in der Region bekannte Gesichter. Kleinkunstmäßig haben die beiden in den vergangenen Jahren den gesamten Kreis beackert - etwa, als Altmann 2019 die Sächsische Poetry-Slam-Meisterschaft als großes Event mit mehreren Vorrunden und einem großen Finale aufzog, mit Veranstaltungen in Zittau, Görlitz und Weißwasser. Er sitzt zudem im Görlitzer Stadtrat, beide leiten zusammen eine Agentur namens „Lausitz Matrix“, die unter anderem die Jobmesse „Oberlausitzer Karrieretage“ im Messepark Löbau veranstaltet und Online-Stellenbörsen betreibt. Beruflich beraten sie Unternehmen wie das Forschungszentrum der Astrophysik (DZA), welches in der Lausitz am Standort Görlitz entsteht.

Mike Altmann ist den Görlitzern unter anderem auch als Stadtrat bekannt. Einen Konflikt zwischen Bühnen-Satire und seriöser Lokalpolitik sieht er nicht, sagt er. Die Leute...
Mike Altmann ist den Görlitzern unter anderem auch als Stadtrat bekannt. Einen Konflikt zwischen Bühnen-Satire und seriöser Lokalpolitik sieht er nicht, sagt er. Die Leute... © SZ-Archiv
... hätten ihn ja schließlich genau so gewählt, wie sie ihn kennen, und dazu gehören eben auch seine Auftritte. Altmanns Sidekick Axel Krüger ist unter anderem auch Weinhändler. Die beiden Freunde ...
... hätten ihn ja schließlich genau so gewählt, wie sie ihn kennen, und dazu gehören eben auch seine Auftritte. Altmanns Sidekick Axel Krüger ist unter anderem auch Weinhändler. Die beiden Freunde ... © SZ-Archiv
.... kann man guten Gewissens als Oberlausitzer "Macher" bezeichnen, stoßen sie doch in der Region zahlreiche Projekte an. Neben der "Hospitalstraße" ...
.... kann man guten Gewissens als Oberlausitzer "Macher" bezeichnen, stoßen sie doch in der Region zahlreiche Projekte an. Neben der "Hospitalstraße" ... © SZ-Archiv
... moderierten sie im Apollo bis vor ein paar Jahren auch den Poetry Slam "Wordka". Bei beiden Veranstaltungen zu Gast ...
... moderierten sie im Apollo bis vor ein paar Jahren auch den Poetry Slam "Wordka". Bei beiden Veranstaltungen zu Gast ... © SZ-Archiv
... war auch Bühnen-Poetin Jessy James LaFleur, die mittlerweile eine Spoken Word-Aakademie in der Oberlausitz aufbaut.
... war auch Bühnen-Poetin Jessy James LaFleur, die mittlerweile eine Spoken Word-Aakademie in der Oberlausitz aufbaut. © SZ-Archiv

In einem Facebook-Post zum Bühnen-Abschied gibt Krüger sich nachdenklich - und lässt sich vielleicht, so könnte man es zumindest lesen, zwischen den Zeilen doch ein kleines Hintertürchen offen: „Ob es weitergeht, werden wir gefragt. Was als Nächstes kommt. Mal sehen. Geplant ist nix. Gedanken gibts. Manchmal muss man sie kreisen lassen.“ Auf Nachfrage betont er, das beziehe sich nicht auf Lesebühnen-Aktivitäten und generell auf gar nichts Konkretes. Aber Gedanken wollten eben manchmal raus, und grundsätzliche Lust zum Austausch ebendieser Gedanken bestehe weiterhin. Na, dann: Träne ausdrücken und weiter im Text.