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Sparen oder die Bürger belasten - wofür entscheidet sich Görlitz?

Die Stadt steht vor schwierigen Haushaltsberatungen im Herbst. Spätestens ab 2024 drohen Löcher im Stadtsäckel. Wie sie gestopft werden, das wird jeder Görlitzer spüren.

Von Sebastian Beutler
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So groß die Freude beim Görlitzer OB Octavian Ursu und den Kindern der Kita "Südstadtmäuse" beim Richtfest im April noch war, auch bei diesem Kita-Neubau dürften Mehrkosten entstehen.
So groß die Freude beim Görlitzer OB Octavian Ursu und den Kindern der Kita "Südstadtmäuse" beim Richtfest im April noch war, auch bei diesem Kita-Neubau dürften Mehrkosten entstehen. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Noch liegt ein Großteil der Birkenstock-Gewerbesteuerzahlung vom Vorjahr auf den städtischen Konten. 68 Millionen Euro hatte das größte Industrieunternehmen in Görlitz einmalig an die Stadt gezahlt nach seinem Verkauf an eine amerikanisch-französische Beteiligungsgesellschaft.

Allein 42 Millionen Euro dieser Summe benötigt die Stadt im kommenden Jahr, um die ausbleibenden Schlüsselzuweisungen aus Dresden zu ersetzen. Zusätzliche sieben Millionen Euro werden nächstes Jahr für die Kreisumlage fällig, 2,5 Millionen Euro fließen in einen Finanzausgleichsfonds für alle Städte und Gemeinden in Sachsen.

Die Birkenstock-Millionen helfen aber auch der Stadt Görlitz zu sparen. So musste die Stadt 2021 und 2022 keine neuen Kredite in Höhe von 4,1 Millionen Euro aufnehmen, und bis zum nächsten Jahr tilgt die Stadt variable Kredite in Höhe von sieben Millionen Euro - bei den derzeit enorm schnell steigenden Zinsen schlägt sich das im Haushalt sofort nieder.

Umstellung der Förderung für den Straßenbau sicher

Eigentlich müssten bereits im Herbst die ersten Entwürfe für den Doppelhaushalt 2023/2024 vorliegen. Doch dieses Ziel ist sehr ambitioniert. Wie die Stadtverwaltung der SZ mitteilt, rechnet sie im Oktober mit ersten konkreten Werten für die Haushaltsplanung 2023. Dann wird auch klarer werden, ob Görlitz 2024 mehr Geld aus Dresden erwarten kann.

Diese Hoffnung hatten Finanzministerium und die kommunalen Spitzenverbände nach ihren erfolgreichen Verhandlungen zum Finanzausgleich in den nächsten beiden Jahren im Frühsommer geweckt. Demnach steigt die Finanzausgleichsmasse für alle Kommunen im Freistaat 2023 um 460 Millionen auf 4,1 Milliarden Euro, 2024 sollen gar 4,5 Milliarden Euro im Topf sein.

Und ab 2023 wird auch die Förderung des Straßenbaus umgestellt. Bislang mussten die Kommunen ihre Anträge auf Förderung beim Freistaat Sachsen stellen. Das ändert sich nun. Die Kreise und kreisfreien Städte erhalten ein festes Kommunalbudget für Straßen- und Radwegebau. Es soll ab 2023 rund 115 Millionen betragen. Die Kreise entscheiden dann über die Anträge der kreisangehörigen Kommunen. Nach welchen Kriterien das geschieht, ist aber noch offen. Jedenfalls wird der Kreis Görlitz dann über die Anträge der Stadt Görlitz wie auch aller anderen Kommunen aus dem Landkreis Görlitz befinden. Der Freistaat erhofft sich davon eine Entbürokratisierung des Antragsverfahrens.

Alle Bauvorhaben kosten mehr als gedacht

Dass die Haushaltsplanung wieder einigermaßen schwierig sein wird, machte die Stadt gegenüber der SZ bereits deutlich. "Die Haushaltsplanung steht generell unter dem Vorzeichen der geänderten Rahmenbedingungen im Hinblick auf die Energie-, Material- und Baupreisentwicklung sowie dem künftigen Tarifabschluss des öffentlichen Dienstes."

Kaum ein städtisches Bauvorhaben kann derzeit die Kosten einhalten. So war es zuletzt auch bei der Blockhausbrücke der Fall, wo die Stadt nur deswegen glimpflich davonkam, weil die Stadtwerke Görlitz und die Deutsche Bahn den Großteil der Mehrkosten schultern. Aber auch bei dem Kita-Neubau in der Südstadt und beim Feuerwehrgerätehaus auf der Cottbuser Straße können noch Mehrkosten lauern.

Zwar versucht die Stadt sie zumeist durch Einnahmen an anderer Stelle wie die Veräußerung von Grundstücken gegenzufinanzieren. Doch manchmal ist das nicht möglich wie bei der Blockhausbrücke, sodass dann doch die Birkenstockgelder zum Stopfen dieser Löcher herhalten müssen. Das aber verschärft den Spardruck ab dem Jahr 2024, wo schon nach der alten Planung der Finanzplan ein Defizit von knapp vier Millionen Euro aufwies. Die Stadt könnte schon bald in die knifflige Lage kommen, dem Kreis ein Sparkonzept vorzulegen, um nachweisen zu können, dass sie ihren Aufgaben in der Zukunft nachkommen kann.

Vieles hängt vom Kassensturz im Herbst ab

Die Fraktionen im Stadtrat hatten schon beim Etat 2021/2022 Vorschläge gemacht, um Geld im Haushalt zu sparen. Motor Görlitz/Grüne verlangten ein Personalentwicklungs- und -sparkonzept, die AfD wollte mit höheren Pachten für Kleingärten und Garagen sowie einer höheren Spielapparatesteuer punkten. Auch sah die größte Fraktion Möglichkeiten zur Einsparung bei verschiedenen, meist soziokulturellen Projekten. Vermutlich werden alle diese Vorschläge erneut eingebracht. Höhere Belastungen für die Bürger sind freilich schon in normalen Zeiten höchst unpopulär, vor dem Hintergrund der hohen Energie- und Lebenshaltungskosten derzeit umso mehr.

Viel hängt davon ab, was Kämmerin Birgit Peschel-Martin im September oder Oktober über die Lage der städtischen Finanzen zu berichten hat. Im vergangenen Jahr überraschte sie beispielsweise damit, dass die Personalkosten aus verschiedenen Gründen fast zwei Millionen Euro unter den geplanten Ausgaben lagen. Auch wird viel davon abhängen, wie sich die Gewerbesteuereinnahmen nach der Corona-Zeit erholen oder durch die Ukraine-Krise die Görlitzer Wirtschaft einen weiteren Schlag zu verkraften hat.

Eine Position wird ganz gewiss besser ausfallen als gedacht. 600.000 Euro plante die Stadt als Verwahrentgelt bis 2025 für die Birkenstock-Millionen auf den städtischen Konten ein. Doch da die Zinsen schneller gestiegen sind und die Banken die Verwahrentgelte spätestens seit diesem Montag abgeschafft haben, dürfte die Stadt weitaus weniger an die Kreditinstitute dafür überwiesen haben.