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So gelangte ein zerschossenes ukrainisches Auto von Görlitz in ein Dresdner Museum

Vor anderthalb Jahren hatte das kaputte Auto von Familie Lysechko für Aufsehen in Görlitz gesorgt. Bis heute lebt die Familie hier - ihr Auto hat es ins Militärhistorische Museum geschafft.

Von Susanne Sodan
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Danil und sein Vater Oleksandr Lysechko nahmen im Sommer 2022 Abschied von ihrem "Retter", als das Auto zunächst in ein Autohaus gebracht wurde, und im November dann nach Dresden.
Danil und sein Vater Oleksandr Lysechko nahmen im Sommer 2022 Abschied von ihrem "Retter", als das Auto zunächst in ein Autohaus gebracht wurde, und im November dann nach Dresden. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Die Einladung steht. Wenn Oleksandr und Olena Lysechko und ihr Sohn Danil wollen, sind sie nach Dresden zu einer Führung durch das Militärhistorische Museum der Bundeswehr eingeladen. Und wenn sie wollen, können sie dann auch ihr Auto wiedersehen. Es ist der dunkelblaue, zerschossene Lifan, der vor anderthalb Jahren für Aufsehen in Görlitz sorgte.

Damals stand er eines Tages auf dem P+R-Parkplatz in Weinhübel, mit Einschlaglöchern. Die Stadtverwaltung hatte einen Aufkleber auf die Frontscheibe gepappt, die keine Frontscheibe mehr war. Das zerstörte Glas hatte Oleksandr Lysechko vor der Flucht aus der Ukraine mit Plexiglas ersetzt. Verkehrstauglich jedenfalls war das Auto nach westeuropäischen Maßstäben nicht mehr, durfte daher auch nicht im öffentlichen Verkehrsraum abgestellt werden. Das besagte der Aufkleber. Öffentlich zu sehen ist das Auto jetzt trotzdem. Es steht seit einer Woche im Foyer des Militärhistorischen Museums (MHM) Dresden.

Auch jetzt steht etwas an dem Auto geschrieben - seine Geschichte, und die Geschichte von Familie Lysechko. Sie stammt aus Mariupol, einer Stadt, die von dem russischen Angriff auf die Ukraine mit als erstes betroffen und umkämpft war. Am 13. März 2022 spürten Lysechkos das zum ersten Mal am eigenen Leib. Drei Projektile schlugen in unmittelbarer Nähe ihres Hauses ein. Laut dem MHM Dresden stammten sie von Mehrfachraketenwerfern, mit denen russische Streitkräfte das Viertel, in dem Lysechkos lebten, beschossen hatten.

So geht es Familie Lysechko heute

Die Folgen zeigte Oleksandr Lysechko später der SZ auf Handyfotos: Geborstene Fensterscheiben, Schutt und Staub im ganzen Haus, verwüstete Räume, Einschlaglöcher in der Fassade. Die beiden Autos von Lysechkos: von einer dicken Staubschicht überzogen und massiv beschädigt. Noch mehrere Monate - und Angriffe - hielten Lysechkos in Mariupol aus, bis sie im Juni 2022 flohen. Das besser erhaltene Auto hatte Oleksandr Lysechko, der früher selbst als Mechaniker arbeitete, wieder so weit hergestellt, dass es fuhr.

Noch heute leben Lysechkos in Görlitz. Es gehe ihnen soweit ganz gut, sagt Oleksandr Lysechko. "Nur an das feuchte Klima können wir uns nicht gewöhnen", scherzt er. Lange hatte es gedauert, einen Schulplatz für Danil zu finden. Es klappte schließlich, aber nicht in Görlitz, sondern in Kodersdorf. "Die Schule ist gut", aber für einen Zehnjährigen recht weit entfernt. Danil steht jeden Tag um sechs Uhr auf.

Auch das Ehepaar Lysechko drückte in den zurückliegenden Monaten noch mal die Schulbank und lernte Deutsch. Bis zum A2-Zertifikat ist er bislang gekommen, erzählt Oleksandr Lysechko. Allerdings, schildert er, reicht das noch nicht, um einen guten Job zu finden. "Ich möchte weiter lernen." Die schweren Momente, die gibt es trotz allem Optimismus freilich bis heute. "Natürlich vermissen wir unser Zuhause und unsere Freunde und Bekannten."

Verschrottung nicht übers Herz gebracht

Das Auto, es war immer eine kleine Verbindung zur Heimat. Es zu verschrotten jedenfalls konnte die Familie, nachdem sie damals in Görlitz eingetroffen war, nicht über sich bringen. „Das Auto ist doch ein Stück Geschichte", hatte Oleksandr Lysechko gesagt. Dass dieses Auto sie überhaupt bis nach Deutschland bringen würde, hatten sie nicht gedacht. Außerdem fehlte Geld für eine Verschrottung. Die andere Variante wäre gewesen, das Auto in einer Garage unterzustellen, was aber noch mehr gekostet hätte. Die Rettung kam in Form von Raimund Kohli, der das Auto bei seinem Autohaus unterstellte, bis eine Lösung gefunden war. Allzu lange, erzählt er, musste er sich gar nicht um das Auto kümmern.

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Das MHM war damals auf die Geschichte aufmerksam geworden, und bot Familie Lysechko an, das Auto als Schenkung in seine Sammlung aufzunehmen. Das klappte: Am Morgen des 23. November 2022 wurde es an Mitarbeiter des Militärhistorischen Museums Dresden übergeben und nach Dresden transportiert, erzählt Kurator Thoralf Rauchfuß. Im Zentrum der Ausstellungen des MHM "steht immer der Mensch, sei es als Täter oder Opfer", sagt Rauchfuß. "Viele Menschen besitzen ein Auto. Es gehört sozusagen zur Normalität ihres Lebens", erklärt er, warum Lysechkos Lifan so interessant ist für das Museum. "Das beschädigte Fahrzeug markiert das plötzliche Zerbrechen dieser Normalität für eine Familie. Den Moment als der Krieg zu ihnen nach Hause kam."

Auto hat seinen Platz gefunden

Daran erinnert das Fahrzeug nun im Museums-Foyer in Dresden - anlässlich des zweiten Jahrestages der russischen Vollinvasion ist es seit voriger Woche als „Das besondere Exponat“ ausgestellt. Thoralf Rauchfuß hatte das Auto vorgeschlagen. "Der brutale Überfall Russlands auf die Ukraine ist eine existenzielle Bedrohung für die Freiheit Europas und die globale Sicherheit", und damit freilich ein Thema für ein Militärhistorisches Museum. Erst Anfang des Jahres trat Rauchfuß seinen Dienst am MHM Dresden an, um ein Schaudepot zur Präsentation militärischen Großgeräts zu konzipieren. "Bei der Sichtung des Sammlungsbestandes erhielt ich von einer Kollegin den Hinweis auf dieses Fahrzeug."

"Ich denke", sagt Autohaus-Inhaber Raimund Kohli, "das Auto hat den Platz gefunden, an den es gehört." Lysechkos waren vor einiger Zeit in Dresden, um beim Museum noch mal ihre Geschichte zu schildern. "Ich habe das Auto kurz gesehen", sagt Olekandr Lysechko, da stand es noch in einer Garage. Klar seien da Gefühle hochgekommen.