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"So klar war noch nie die Rede vom Aus des Musiktheaters"

Die neue Theaterstudie beunruhigt vor allem die Sänger, Musiker, Tänzer und Schauspieler in Görlitz und Zittau. Sie ärgert auch, wie die Politik diskutiert.

Von Ines Eifler
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Das Görlitzer Theater – nur noch ein Ort für eingekaufte Produktionen? Die Künstler hoffen, dass es dazu nicht kommt.
Das Görlitzer Theater – nur noch ein Ort für eingekaufte Produktionen? Die Künstler hoffen, dass es dazu nicht kommt. © Danilo Dittrich/Archiv

Für die Künstler am Gerhart-Hauptmann-Theater ist es wie ein Schlag ins Gesicht. Seit über einem Jahr können sie nicht arbeiten, zumindest nicht wie gewohnt. Sie erfahren von allen Seiten, wie es den Menschen fehlt, ins Theater zu gehen und miteinander Kultur zu erleben.

Und nun, während alle hoffen, zumindest die Sommertheaterbühnen im Görlitzer Stadthallengarten und im Zittauer Klosterhof sowie die Waldbühne Jonsdorf bespielen zu können, erfahren sie von einem geheim gehaltenen Gutachten, das unter anderem der Görlitzer Landrat in Auftrag gab. Es empfiehlt, das Görlitzer Musik- und Tanztheater abzuwickeln, das Orchester mit dem Sorbischen Nationalensemble in Bautzen zu vereinigen und das Schauspiel in Zittau dem Bautzner Theater unterzuordnen.

Geld für alle Studien würde für ein Jahr Theater reichen

"Mich regt auf, dass diese Studie überhaupt in Auftrag gegeben wurde", sagt der Görlitzer Baritonsänger Hans-Peter Struppe. "Schließlich ist allgemein bekannt, dass man substanziell nur sparen kann, wenn man das Theater schließt." Trotzdem werde alle paar Jahre eine solche Studie in Auftrag gegeben, immer teuer, immer mit dem gleichen Ergebnis. "Jeder erfahrene Theatermitarbeiter hätte das zusammenschreiben können", sagt Struppe. "Für das Geld, das in den vergangenen 30 Jahren für Studien ausgegeben wurde, könnten wir locker ein ganzes Jahr Theater machen."

Hans-Peter Struppe (hier als Mesmer in "Tosca") will kein geschlossenes Theater.
Hans-Peter Struppe (hier als Mesmer in "Tosca") will kein geschlossenes Theater. © André Schulze/Archiv

Außerdem habe die Entscheidung für ein Theater noch nie wirtschaftlich begründet werden können. Es sei immer eine politische Entscheidung. Die Frage sei auch, ob eine Stadt, die ihr Theater aufgibt, damit nicht noch viel mehr preisgäbe und ob sie langfristig wirklich spart. "Viele Menschen ziehen ja gerade nach Görlitz, auch weil es hier noch ein Theater gibt, das die Kultur der Stadt prägt." Und zwar ein individuelles Theater, das von der Nähe zwischen Mitarbeitern und Publikum lebt und damit ein wichtiger Bestandteil der Stadtgesellschaft ist. Diese Bindung könne ein Theater, das nur Produktionen einkauft, nicht aufbauen.

Hoffnung auf Ideen jenseits des Gutachtens

Das sieht auch Struppes langjährige Kollegin Yvonne Reich so. Neben der Berechnung, wie viel Geld man sparen könne, seien bisherige Studien immer auch zu dem Ergebnis gekommen, wie wichtig das Theater für die Stadt ist, dass die Görlitzer nicht darauf verzichten möchten und dass eine Stadt mit Theater attraktiv für Unternehmen ist, die ihren Mitarbeitern etwas bieten möchten.

Yvonne Reich hofft, dass das "Gewitter" am Theater vorübergeht.
Yvonne Reich hofft, dass das "Gewitter" am Theater vorübergeht. © André Schulze/Archiv

"Ich weiß, wie prekär die finanzielle Situation in Stadt und Kreis ist, hoffe aber sehr, dass dieses Gewitter an uns vorüberzieht", sagt die Sopranistin. "Vielleicht lässt sich ja auf einer anderen Ebene als über dieses Gutachten diskutieren, was man noch tun kann, um die Kosten niedrig zu halten."

Orchester: "Fusionen bringen keine Vorteile"

Von der Idee, Oper und Operette einzusparen, sind auch die Orchestermusiker ganz und gar nicht begeistert. "Klare Position: ohne Musiktheater würde uns ein ganz entscheidender Teil fehlen", sagt der Solofagottist Martin Bandel im Namen des Orchestervorstands. "Wir können uns nicht vorstellen, dass das wirklich dem Wunsch des Landrats entspricht". Darüber, dass die Neue Lausitzer Philharmonie mit dem Sorbischen Nationalensemble vereint werden könnte, hat der Vorstand nicht einmal gesprochen, "so absurd ist er", sagt Bandel.

Denn die Neue Lausitzer Philharmonie ging 1996 als Kulturraumorchester aus einer Fusion der Lausitzer Philharmonie Bautzen mit dem Görlitzer Theaterorchester hervor. Ein kleinerer Teil der Bautzener Musiker kam damals nach Görlitz, viele wechselten ins Sorbische Nationalensemble. Das Bautzener Publikum habe diesen Verlust einer eigenen Philharmonie bis heute nicht ganz verziehen, sagt Martin Bandel. Entsprechend unvorstellbar sei nun die vorgeschlagene Fusion. "Eine Fusion hat noch nie Vorteile gebracht, es geht immer auch anders."

Nach einer Fusion der Neuen Lausitzer Philharmonie und des Sorbischen Nationalensembles wären die Musiker zwar mehr Leute, aber sie sind skeptisch. Auf diesem Foto ist coronabedingt nur das halbe Orchester zu sehen.
Nach einer Fusion der Neuen Lausitzer Philharmonie und des Sorbischen Nationalensembles wären die Musiker zwar mehr Leute, aber sie sind skeptisch. Auf diesem Foto ist coronabedingt nur das halbe Orchester zu sehen. © André Schulze (Archiv)

Auch dass damit der Aufstieg in ein "B-Orchester" und mehr Gehalt für die Musiker verbunden sei, locke keinen. Das sei den Görlitzer Musikern auch 1996 schon versprochen worden. Ab einer Größe mit 66 Planstellen – ein Dutzend mehr als die Neue Lausitzer Philharmonie – wird ein Orchester in die Tarifgruppe B eingestuft. Werden aber einige Stellen eingespart, verdienen die Musiker wieder laut Tarif C. So war es nach der ersten Fusion.

Tänzer gehören bereits zu Geringverdienern

Dass die Unternehmensberater von falschen Zahlen ausgingen, vermuten die beiden Leiter der Tanztheatercompany, Ballettmeister Marko E. Weigert und Chefchoreograf Dan Pelleg. Sie seien für die Studie zwar mehrmals befragt worden, aber die Berater hätten ihren Ideen von Einsparungen offenbar trotzdem Schätzungen der durchschnittlichen Ausgaben von Tanztheatern in Deutschland zugrunde gelegt. Dabei gehören die Görlitzer Tänzer zu denen im Theater, die am geringsten verdienten, und das Tanztheater arbeitet mit enorm kleinem Budget.

Außerdem sind die beiden Choreografen schockiert über die Intransparenz, mit der die Studie in Auftrag gegeben wurde. "So etwas kann man nicht im Geheimen verhandeln", sagt Dan Pelleg, "dazu gehört ein offener Austausch."

Chor hofft, dass Pläne nicht umgesetzt werden

So war auch Barbara Siegel vom Theaterchor verwundert, zum ersten Mal aus der Zeitung von der Studie zu erfahren. "Es war zu erwarten, dass das Musiktheater mal wieder infrage gestellt wird, wenn Ende 2022 der Kulturpakt ausläuft", sagt die Sängerin. Aber so deutlich sei bisher noch nie von einer Schließung die Rede gewesen.

Das sorge natürlich für Verunsicherung. "Ich hoffe inständig für Görlitz und Umfeld, für das Publikum und uns Mitarbeiter, dass es dazu nicht dazu kommt, sondern die kulturelle Identität, die wir als Theater bieten, nicht verloren geht."

Zittauer Schauspieler sind sprachlos

Erschrocken war auch die Schauspielerin und Dramaturgin Patricia Hachtel vom Zittauer Schauspielensemble. Sie habe ihre Kollegen zwischen "Sprachlosigkeit und Unverständnis" erlebt, als das Gutachten in einer Zoom-Konferenz angesprochen wurde. Würden die Sparpläne wirklich umgesetzt, würden die Schauspieler zwar nicht ihren Job verlieren wie die Sänger und Tänzer.

Auch das Zittauer Ensemble ist sprachlos: Anders als hier wenige Wochen vor Pandemiebeginn, als Martha Pohla, Patricia Hachtel, Sabine Krug und Maria Weber (v. l.) im Musical "Heiße Ecke" begeisterten.
Auch das Zittauer Ensemble ist sprachlos: Anders als hier wenige Wochen vor Pandemiebeginn, als Martha Pohla, Patricia Hachtel, Sabine Krug und Maria Weber (v. l.) im Musical "Heiße Ecke" begeisterten. © Pawel Sosnowski

"Aber es wäre trotzdem ein gewaltiger Einschnitt", sagt Patricia Hachtel. Jeder Standort habe sein spezielles Publikum, mit dem Musiktheater ginge ein Stück lebendiger Kultur verloren, mit dem sich viele Menschen stark identifizieren. "Kultur kann man nicht an Zahlen bemessen. Sie kann nur entstehen, wenn sie frei ist." Man sehe doch gerade, was passiert, wenn kultureller Austausch nicht stattfindet und die reale Begegnung fehlt.

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