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Görlitz: Wirrwarr am Straßenrand – Wenn Ampeln Blinde gefährden

Der blinde Stadtrat Mike Thomas klagt über Fallstricke für Blinde in den Görlitzer Fußgängerzonen. Sächsische.de war mit ihm auf der Berliner Straße unterwegs.

Von Marc Hörcher
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Der blinde Stadtrat Mike Thomas hat an manchen Stellen in der Stadt Probleme, wie hier an der Ampel vor dem Bahnhof. Er hört die Ampel nur, wenn sie Grün ist.
Der blinde Stadtrat Mike Thomas hat an manchen Stellen in der Stadt Probleme, wie hier an der Ampel vor dem Bahnhof. Er hört die Ampel nur, wenn sie Grün ist. © André Schulze

Mike Thomas steht vor dem Görlitzer Bahnhof, will in Richtung Berliner Straße laufen. Das ist schwierig für den blinden Görlitzer Stadtrat (Bürger für Görlitz, ehemals SPD). Wo sich die Fußgängerampel befindet, kann er nur erahnen. Denn es handelt sich um ein älteres Modell. Neuere Ampeln, so erklärt Thomas, geben, wenn sie auf „Rot“ stehen ein lautes „Klackern“ von sich, damit Blinde die Ampel finden können. Die dienstälteren Ampeln sind noch nicht so weit in Sachen Barrierefreiheit: Sie klackern nur bei „Grün“. Auch der Vibrationstaster an der Ampel ist nicht bei allen Modellen vorhanden.

In Dresden seien die neueren Ampeln Standard, sagt Thomas. Und in manchen Görlitzer Stadtteilen gibt es ebenfalls die moderneren Ampel-Varianten - beim Kaufland in Weinhübel etwa. „Ich bin nicht von Geburt an blind, sondern erst seit dem 14. Lebensjahr“, sagt er, demzufolge kenne er das Görlitzer Stadtbild noch als Sehender. Anders sei es bei gebürtigen Blinden wie seiner Lebensgefährtin: „Wenn die nicht von mir wüsste, dass vor dem Bahnhof eine Ampel steht, würde sie es gar nicht merken“, sagt er. So könne es mitunter richtig gefährlich werden im Straßenverkehr.

Die Ampeln sind nicht die einzigen Fallstricke. Auf der Berliner Straße sind es Händler, die Aufsteller und Waren auf dem Fußweg präsentieren und Gastronomen mit ihren Tischen und Stühlen. Klar, er hat Verständnis dafür, dass Umsatz gemacht werden muss, sagt er. Aber vieles steht mitten auf der Straße, ärgert er sich.

Absperrband ist gefährlich, aber Bauarbeiter helfen immer

Wer verstehen will, wo die Fallstricke für Blinde in den Görlitzer Fußgängerzonen liegen, muss sie sich zeigen lassen. Also unternehmen wir mit Thomas einen Spaziergang, bei dem er demonstriert, wo es kritisch ist - auf dem Weg vom Bahnhof, die Berliner Straße runter bis zum Postplatz. Gleich auf den ersten hundert Metern liegt linker Hand die Baustelle. Wir umgehen diese, laufen stattdessen rechts entlang. Grundsätzlich kann es für Blinde gefährlich sein, wenn nicht wie hier auf der Berliner Straße mit Bauzäunen abgesperrt wird, sondern nur mit Absperrband. Da rutscht der Stock schnell mal drunter, beschreibt Thomas. Bemerkenswert ist: Bauarbeiter eilen ihm in der Neißestadt immer schnell zur Hilfe, um ihn sicher vorbeizumanövrieren, erklärt er.

Weniger Rücksicht nimmt anscheinend mancher Autofahrer. Es sei ein Problem, dass sie oft bis in die Kurve parken, so der Blinde. „Hier kann ich nur an den Schienen sehen, dass ich auf der Straße bin“, sagt er. Ja, Thomas sagt „Sehen“, ganz bewusst, macht Sprüche über seine Benachteiligung, lacht dabei ab und zu und wirkt nicht so, als wolle er Mitleid einfordern. Rücksichtnahme aber wohl schon. Etwa von den Gastronomen, an deren ersten Tischen und Stühle er mit seinem Stock stößt. „Stehen viel zu weit links“, müssten eigentlich nahe am Imbiss stehen.

Außerdem würde er sich Zäune als Abgrenzung wünschen, ähnlich wie die „Brasserie“ am Postplatz, die es mittlerweile nicht mehr gibt, sie hatte. Natürlich sei das ein Kostenpunkt für die Händler, aber letztlich auch Absicherung gegen Unfälle. Der Stock kann kaputtgehen, Thomas muss seinen regelmäßig erneuern, alleine wegen des Verschleißes an der Spitze. Das kostet laut Thomas 25 Euro, ein Blinden-Stock könne um die 110 Euro kosten. Generell, findet Thomas, klappe es auf der vom Bahnhof kommend linken Straßenseite besser, dort seien Händler bedachter darauf, Barrieren zu beseitigen.

Verkehrsgeräusche oder lauter Wind können das Hören des Ampelsignals zusätzlich erschweren.
Verkehrsgeräusche oder lauter Wind können das Hören des Ampelsignals zusätzlich erschweren. © André Schulze

Gleichzeitig weiß er: Selbstverständlich betrifft Barrierefreiheit nicht nur Sehbehinderte, sondern auch Rollstuhlfahrer, die Seniorin mit dem Rollator oder den Vater mit Kinderwagen. Was für Rollstuhlfahrer gut ist - nämlich abgesenkte Bordsteine - kann für den Blinden problematisch sein, weil er nicht merkt, wo die Straße beginnt. Dem Blinden helfen da Leitlinien. In Görlitz ist das mal gut, mal schlecht gelöst, meint Thomas. Auf dem Bahnhofsvorplatz etwa sind die dekorativen Boden-Elemente quasi nicht zu unterscheiden von Leitlinien. Sowohl das Thema „Barrierefreie Ampeln“ als auch die sonstigen Barrieren hat Thomas kürzlich in der Stadtrats-Sitzung eingebracht. Bürgermeister Benedikt Hummel antwortete, dass die alten Ampel-Modelle nach und nach bei anstehenden Erneuerungs-Arbeiten ersetzt werden sollen. Bezüglich der Hindernisse wünscht sich Thomas, dass es einen gemeinsamen Begehungstermin mit Vertretern aller Fraktionen gibt, um dann Lösungen zu finden.

Aus dem Rathaus heißt es auf Anfrage von Sächsische.de zu diesem Thema: „Um den neuesten technischen Stand der Barrierefreiheit in Bezug auf die Belange von seheingeschränkten Bürgern zu erreichen, sind in Görlitz zehn Ampelanlagen zu modernisieren. Dies betrifft die Taster zur Anforderung, die Tonsignalgebung und die Ampelsteuerung.“ Bislang hat es am Geld gefehlt. Weil nur sehr wenige Straßenbauprojekte die Ampelanlagen mit einbeziehen, sei die Mehrheit der Anlagen nicht auf dem neuesten technischen Stand.

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Ein Großteil der Anlagen stamme aus den Jahren 1992 bis 1994. Sie befinden sich, räumt Rathaus-Sprecherin Juliane Zachmann ein, sowohl ausrüstungstechnisch als auch steuerungstechnisch nicht auf dem aktuellsten Stand der Technik. Die Probleme beträfen aber keinen speziellen Stadtteil, die älteren Anlagen stehen über die Stadt verteilt, so Zachmann.