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Stadtwerke: So soll Wärme in Görlitz bezahlbar bleiben

Für 83 Millionen Euro soll das Fernwärmenetz in Görlitz/Zgorzelec bis 2030 klimaneutral umgestellt werden. Effekte sollen Bürger im Geldbeutel spüren.

Von Sebastian Beutler
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Vor knapp einem Jahr trafen sich alle Beteiligten in Görlitz und unterschrieben eine Absichtserklärung, die Fernwärme in Görlitz und Zgorzelec bis 2030 klimaneutral auszubauen.
Vor knapp einem Jahr trafen sich alle Beteiligten in Görlitz und unterschrieben eine Absichtserklärung, die Fernwärme in Görlitz und Zgorzelec bis 2030 klimaneutral auszubauen. © Nikolai Schmidt

Der Green Deal ist in aller Munde. In Europa. National. Und auch in Görlitz an der Neiße. Das liegt an einem ehrgeizigen Projekt: die gemeinsame Versorgung beider Städte mit Fernwärme und das auch noch klimaneutral bis 2030. Da wird die Energiewende lokal ganz konkret.

Was die Energiewende bedeutet, spüren die Stadtwerke seit Jahren. Ihre Kunden womöglich auch. Als Energieunternehmen unterliegen die Stadtwerke dem europaweiten und seit Anfang des Jahres auch nationalen Co2-Zertifikatehandel. Für ihren Co2-Ausstoß müssen die Stadtwerke solche Zertifikate kaufen, die Kosten fließen in die Preise für Strom und Wärme ein. Jährlich steigen die Kosten für die Zertifikate. Zum einen, weil Deutschland die Preise bis 2025 festlegt, anschließend sollen sie sich am Markt im Spiel von Angebot und Nachfrage frei finden. Zum anderen wird der Umfang der Zertifikate von der EU Jahr um Jahr verringert - das soll den Druck ausüben, dass die Unternehmen in klimaneutrale Technologien investieren.

Blockheizkraftwerke sind ein großes Glück

Das Heizwerk in Zgorzelec muss dringend umgerüstet werden.
Das Heizwerk in Zgorzelec muss dringend umgerüstet werden. © Archivfoto: Pawel Sosnowski

Dabei haben die Stadtwerke mit ihren Blockheizkraftwerken noch Glück. Als sie in den 1990er Jahren der damalige Geschäftsführer Hartmut Gottschling errichten ließ, hatte er ein gutes Näschen. Heute sind die Stadtwerke froh, diese Brücken-Technologie zu haben. Mithilfe von Gas kann sowohl Wärme als auch Strom erzeugt werden. Diese Kraft-Wärme-Kopplung wird finanziell gefördert. Die Werke sind hocheffizient, sagt Stadtwerke-Chef Matthias Block. Und doch greift auch hier der Wandel, stellt sich das Unternehmen auf rückläufige Förderung ein. Zugleich bietet es seit Jahren nur noch Öko-Strom an. Auch das für eine bessere Umweltbilanz.

In Zgorzelec ist der Druck um ein Vielfaches höher. Dort müssen Kommunen und Unternehmen bis 2022 in einem ersten Schritt bestimmte Emissionswerte einhalten. Das Heizkraftwerk, das im Moment Kohle aus der Grube Turow für die Wärme verbrennt, muss komplett umgebaut werden. In einem ersten Schritt wird der Zgorzelecer Wärmerversorger das Kraftwerk auf Gasbetrieb umstellen. Dadurch gewinnt es Zeit, bis zur endgültigen Umrüstung auf Biomasse und der Verbindung mit dem Görlitzer Fernwärmenetz, um dann auch Wärme über die Grenze liefern zu können.

Stadtwerke-Vorstand, Matthias Block (rechts), freute sich vor zwei Jahren gemeinsam mit Hartmut Petermann, Bereichsleiter Erzeugung bei den Stadtwerken, über neue Technik im Blockheizkraftwerk Königshufen, gleich an der Endhaltestelle der Straßenbahn.
Stadtwerke-Vorstand, Matthias Block (rechts), freute sich vor zwei Jahren gemeinsam mit Hartmut Petermann, Bereichsleiter Erzeugung bei den Stadtwerken, über neue Technik im Blockheizkraftwerk Königshufen, gleich an der Endhaltestelle der Straßenbahn. © nikolaischmidt.de

75.000 Tonnen Kohlendioxid sollen eingespart werden - im Jahr

Genau das versuchen die Stadtwerke nun bereits seit zwei Jahren zusammen mit dem Zgorzelecer Wärmeversorger ZPEC. Das Ziel ist klar: 2030 soll die Wärmeversorgung beider Städte ohne Gas oder Kohle auskommen. 75.000 Tonnen Kohlendioxid sollen auf diesem Wege eingespart werden. Der Energiesektor in der Doppelstadt wiederum ist für 60 Prozent aller CO2-Emissionen verantwertlich. Das Projekt hat alles, was Politik gegenwärtig liebt: grenzüberschreitend, Modellvorhaben, Energiewende, Klimawandel.

Und so findet es auch allenthalben lobende Worte. Erst stellten sich die Bürgermeister von Görlitz und Zgorzelec hinter das Vorhaben, dann der sächsische Ministerpräsident und der Marschall der Wojewodschaft Niederschlesien. Der Görlitzer Oberbürgermeister stellte es auch bei Umweltministerin Svenja Schulze in Berlin vor, nun wollen alle Beteiligten zur EU nach Brüssel.

Das wird auch nötig sein. Denn das Vorhaben hat mittlerweile solche Dimensionen angenommen, dass sich selbst Stadtwerke-Vorstand Matthias Block manchmal kneifen muss. Die Stadtwerke haben bereits seit Jahren begonnen, schrittweise auf dem polnischen Markt Fuß zu fassen. Aber für eine grenzüberschreitende Fernwärmeversorgung gibt es nur bedingt ein Vorbild. Frankfurt und Slubice schlossen vor Jahren ihre Systeme zusammen, aber geben im Grunde immer nur dann Wärme an den jeweils anderen ab, wenn der seine Anlagen wartet.

Ohne Fördermittel wird aus dem Vorhaben nichts

Das soll in Görlitz/Zgorzelec ganz anders werden. Zunächst sollen beide Fernwärmenetze verbunden werden. Dafür ist eine 2,5 Kilometer lange Leitung zwischen dem Heizwerk im Norden von Zgorzelec und dem Blockheizkraftwerk in Görlitz-Königshufen nötig. Dann müssen alle Kraftwerke auf Biomasse und erneuerbare Energien umgestellt werden. Und schließlich sollen auch noch die Fernwärmegebiete Görlitz-Weinhübel, Goethestraße und Rauschwalde umgestellt werden. Alles zusammen, so lauten erste Schätzungen, könnte rund 83 Millionen Euro kosten.

Wie das bei solchen Schätzungen häufig der Fall ist: Manches ist derzeit nur schwer zu beziffern, Baukosten steigen auch. Es würde niemand wundern, wenn am Ende doch 100 Millionen Euro nötig sind. So viel Geld aber können weder die Stadtwerke noch das Zgorzelecer Wärmeversorgungsunternehmen ZPEC aufbringen, selbst wenn dort jetzt mit edis Energa eine Tochter der deutschen EON eingestiegen ist und 75 Prozent der Anteile hält. Beide sind auf Fördermittel angewiesen. Und zwar auf eine hohe Förderung: 70, 80 Prozent wären gut.

Beteiligte setzen auf großzügige EU-Förderung

Auch deswegen ist die EU nötig. Denn solche Summen sind selbst auf nationaler Ebene kaum zu holen. Doch bevor es um die Fördermittel geht, müssen die Anträge so vorbereitet werden, dass sie sofort eingereicht werden können, wenn die Förderprogramme freigeschaltet werden. Noch ist das nicht der Fall, und niemand kann so richtig sagen, wann es so weit sein wird. Nur so viel ist klar, wenn sie freigeschaltet werden, dann muss der fertige Antrag praktisch gleich eingereicht werden.

Die Stadtwerke rechnen noch mit ein paar Wochen, im besten Falle ein paar Monaten bis zum Herbst für diese Phase. Da ist es verständlich, dass sie die Zeit gut nutzen wollen. So haben sie bereits als eines von acht EU-weiten Projekten beim Tares-Programm der EU einen Erfolg landen können: Sie erhalten 200 Beratungsstunden für das Projekt. So sollen rechtliche Aspekte und vor allem mögliche Hürden für das Vorhaben frühzeitig geklärt werden.

Noch mehr Unterschriften für das Fernwärmeprojekt: In diesem Frühjahr unterstützten auch Sachsens Premier Michael Kretschmer (li.) und der Marschall der Wojewodschaft Niederschlesien, Cezary Przybylski (re.) das Projekt auf der Görlitzer Altstadtbrücke.
Noch mehr Unterschriften für das Fernwärmeprojekt: In diesem Frühjahr unterstützten auch Sachsens Premier Michael Kretschmer (li.) und der Marschall der Wojewodschaft Niederschlesien, Cezary Przybylski (re.) das Projekt auf der Görlitzer Altstadtbrücke. © Martin Schneider

Görlitz sieht sich in einer Vorreiterrolle

Zugleich hoffen die Stadtwerke auf eine Förderung für eine Machbarkeitsstudie durch das Sächsische Umweltministerium. Anträge dürfen dort nur Kommunen stellen, deswegen hat die Stadt den Antrag eingereicht, die Stadtwerke sichern den Eigenanteil von zehn Prozent. Die Maximalsumme für die Förderung beträgt 500.000 Euro. Die Machbarkeitsstudie wird nochmals Fragen der Technik, der Wirtschaftlichkeit, des Rechts und des späteren Betriebs untersuchen. Zwar rechnen die Stadtwerke mit Kosten von 800.000 Euro für diese Studie, aber die Förderung wäre besser als nichts. Hat man die Studie, fließen deren Ergebnisse in den großen Fördermittelantrag ein. Es muss also alles in den nächsten Monaten klappen.

Trotz dieses Zeit- und Finanzdrucks sind die Stadtwerke ziemlich zuversichtlich, dass zumindest alles bis zu dem Fördermittelantrag klappt. Das liegt nun wiederum an der vorbehaltlosen politischen Unterstützung. Beide Länder wollen dieses Vorhaben verwirklichen, gilt es doch als ein Schaufensterprojekt und Modell für andere. Wenn es sogar in Görlitz und Zgorzelec klappt, dann kann es auch an anderen Stellen in Europa funktionieren. Block weiß von ähnlichen, wenn auch nicht grenzüberschreitenden Plänen in Braunschweig, Leipzig und München. In dieser Liga spielt Görlitz nun mit.

In einer Liga mit München oder Braunschweig

Wenn alles klappt, könnten Görlitz/Zgorzelec bereits 2030 ihre Fernwärmeversorgung klimaneutral betreiben. Damit wären sie Schrittmacher und früh dran, wie Stadtwerke-Vorstand Matthias Block sagt. Andererseits verschärfen die Länder der EU überall gerade ihre Klimapläne. In Deutschland zwang das Bundesverfassungsgericht die Politik dazu, auch für die Zeit nach 2030 klare Abbauschritte des Co2-Verbrauchs festzulegen, damit dann nicht innerhalb weniger Jahre zu große Einsparungen nötig sind - und dadurch die Freiheit kommender Generationen zu stark und die der heutigen Generation zu wenig eingeschränkt wird.

Für die Stadtwerke ist mit diesem Vorhaben aber nicht nur der Ehrgeiz verbunden, etwas Besonderes zu schaffen. Es geht am Ende um die Geldbörsen ihrer Kunden. "Sozial verträgliche Preise für Energie werden die Lebensbedingungen für unsere Bürger positiv beeinflussen oder gar verbessern", davon ist nicht nur Block überzeugt.

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