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Der kleine Baselitz. Wie der Kamenzer Bruder des weltberühmten Malers um seine Geschichte ringt

Günter Kern ist der Bruder des berühmten Malers Georg Baselitz. Ihr Verhältnis ist angespannt, gerade, was den Blick auf die Familiengeschichte angeht. Ein Hausbesuch.

Von Torsten Hilscher
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Günter Kern, Bruder des weltberühmten Malers Georg Baselitz, lebt in Kamenz. Seine Wohnung ist mit Kunst dekoriert. Hier steht er vor einem signierten Plakat zu einer Ausstellung seines Bruders von 1985.
Günter Kern, Bruder des weltberühmten Malers Georg Baselitz, lebt in Kamenz. Seine Wohnung ist mit Kunst dekoriert. Hier steht er vor einem signierten Plakat zu einer Ausstellung seines Bruders von 1985. © Foto: Anne Hasselbach

Kamenz. Kunst, überall Kunst an den Wänden, so weit das Auge reicht. Dort Signets von Gerhard Richter, dort Unterschriften von Georg Baselitz. Würde wer in Kamenz Spuren hochkarätiger zeitgenössischer Künstler suchen, er käme an Günter Kerns Privatadresse nicht vorbei. Kein Wunder für den Bruder vom großen Baselitz, mag man meinen. Dem weltberühmten Maler, für dessen Werke Sammler Millionen hinblättern.

"Ich habe selbst nie ein Kunstwerk geschaffen", beschwichtigt Günter Kern. "Aber ich interessiere mich sehr für Kunst. Das bringt mir sehr viel. Über Kunst zu sprechen ist für mich Frieden", sagt der hochgewachsene 82-Jährige. Und so nimmt es nicht wunder, dass seine großzügige Wohnung an einem der schönen Kamenzer Parks geschmackvoll dekoriert ist mit großformatigen Bildern und signierten Plakaten des international gefragten Verwandten.

Gleich im Flur prangt ein Plakat für eine Ausstellung von Georg Baselitz: "Paris 1985". Die Einladung zur Vernissage hatte Kern bereits in der Tasche, doch die DDR-Oberen ließen ihn nicht fahren. Im Arbeitszimmer "hängt" er selbst - gemalt vom Bruder, kopfüber, wie es dessen Markenzeichen ist. Es ist eine Kopie, das Original wurde verkauft.

Über der Couch im Arbeitszimmer ebenfalls eine Kopie, doch hochwertig und vom Original nicht zu unterscheiden. Es ist ein flächiges Bild von Gerhard Richter, dem ebenfalls millionenteuren anderen deutschen Malerfürsten. Kern und er stehen sich gut. Richter hat die Reproduktion eigenhändig signiert. Es ist nicht der einzige reproduzierte und signierte "Richter", der in Kerns Wohnung hängt. Über dem Schreibtisch prangen Widmungen: ebenfalls von Richter und vom österreichischen Liedermacher und Kunstimpressario André Heller.

Schülerzeichnungen von Baselitz entdeckt

"Und hier", Kern holt eine Mappe aus dem Schrank, macht eine Kunstpause, "hier habe ich den neuesten Fund." Es sind Zeichnungen von Georg, die dieser 1957 am Kamenzer Lessing-Gymnasium in seine Schulhefte kritzelte. "Ich habe sie gerade im Nachlass unserer Eltern gefunden", so Kern. Die wahrscheinlich ältesten bislang bekannten Baselitz-Kunstwerke.

Eines der jüngst entdeckten Frühwerke von Georg Baselitz. Der heute weltberühmte Maler hatte sie 1957 in seine Schulhefte gekritzelt.
Eines der jüngst entdeckten Frühwerke von Georg Baselitz. Der heute weltberühmte Maler hatte sie 1957 in seine Schulhefte gekritzelt. © Foto: Anne Hasselbach

Zu sehen sind eine Windmühle, die Kamenzer Hauptkirche St. Marien sowie ein Frauenakt. "Möglicherweise Mercedes aus Bautzen", überlegt Kern. Eventuell die damalige Flamme von Georg, als der selbst noch Kern hieß, bevor er sich 1961 nach Deutschbaselitz benannte. Dort wurde er geboren.

Noch ist unklar, was aus den Zeichnungen wird. Kern bringt die Vereinigung Ehemaliger Lessingschüler Kamenz ins Spiel, die einen Ankauf ermöglichen könnte. Auch eine Ausstellung an der Schule hält er für denkbar. "Es wäre schön, wenn die Bilder in der Region bleiben", wünscht sich Kern. Wenn, ja wenn der berühmte Bruder mitspielt.

Der Maler Georg Baselitz 2018 in seiner Ausstellung im Kupferstich-Kabinett in Dresden. Seine Wurzeln liegen in Deutschbaselitz, das heute ein Ortsteil von Kamenz ist.
Der Maler Georg Baselitz 2018 in seiner Ausstellung im Kupferstich-Kabinett in Dresden. Seine Wurzeln liegen in Deutschbaselitz, das heute ein Ortsteil von Kamenz ist. © Archivfoto: Thomas Kretschel

Der ist nicht nur medienscheu, sondern auch eigen, was das eigene Schaffen anbelangt. Kern zufolge will er von Werken, die vor seiner Flucht aus der DDR entstanden, nichts wissen. Das habe er am Beispiel eines Gemäldes erlebt. Generell hofft er jedoch, dass auch Georg altersmilde wird. "So wie Gerhard Richter jetzt." Tatsächlich hat dieser der Freilegung eines Frühwerks im Dresdner Hygiene-Museum zugestimmt. Ein Wandgemälde mit Propaganda-Motiven. Noch vor zwei, drei Jahren wäre dieser Schritt undenkbar gewesen.

Filmemacher plant Doku über ungleiches Brüderpaar

Doch die Brüder Baselitz und Kern haben nicht das beste Verhältnis, wie Kern selbst sagt. Man merkt ihm an: Es schmerzt. Ein Knackpunkt sei die Sicht auf die Familiengeschichte und die DDR. Dabei könnte es doch so einfach sein: Hier der Maler-Bruder, der abgehauen war, da der Bruder, der geblieben ist. Den die Stasi im Visier hatte, der sich in der Kirche engagierte. Der trotz aller Widerstände aufrecht als Diplom-Pädagoge durchs Leben ging, im Frühjahr 1990 die SPD in Kamenz neu mitbegründete, zum Vizelandrat des Landkreises Kamenz aufstieg - und der seine Geschichte erzählen möchte, die ohne den nun berühmten Bruder zwangsläufig nicht auskommen kann.

So war es eine schwere Geburt, als Kern die Geschichte der Brüder dem Schriftsteller Lukas Rietzschel aus seiner Sicht erzählte, der daraus den Roman "Raumfahrer" machte. Kern kennt es schon, dass Anwälte sich einschalten, wenn er Georg erwähnt oder ihm Bilder zuschreibt, von denen der nichts wissen will. "Er ist ein Narzisst", entfährt es Günter Kern.

Doch inzwischen hat Kern weitere Wege gefunden, seine Sicht auf DDR und Familie zu erzählen. Eine 80-seitige Broschüre ist erschienen. Er spricht vor Schülern und warnt vor den Gefahren für die Demokratie, die er aufziehen sieht. "Der Spiegel" recherchiert zum Leben der ungleichen Brüder. Noch 2024 könnte dort eine Anthologie erscheinen, welche die Biografien gegenüberstellt. Und der in Bautzen geborene und in Berlin lebende Filmemacher Konrad Herrmann plant einen Dokumentarfilm zu den Brüdern.