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Weniger Gläubige, weniger Kirche?

Im Interview erklärt der Superintendent Tilmann Popp, wie sich der Kirchenbezirk Bautzen-Kamenz der Herausforderung stellt und was sich für Gläubige ändert.

Von Heike Garten
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Superintendent Tilmann Popp muss den Umgestaltungsprozess in der ev.-luth. Kirche im Raum Bautzen/Kamenz leiten und mitgestalten.
Superintendent Tilmann Popp muss den Umgestaltungsprozess in der ev.-luth. Kirche im Raum Bautzen/Kamenz leiten und mitgestalten. © Steffen Unger

Bautzen/Kamenz. Die evangelisch-lutherische Landeskirche befindet sich mitten in einer umfassenden Strukturreform. Im Bereich der Superintendentur Bautzen-Kamenz betrifft das die Regionen Bautzen, Neschwitz-Königswartha, Gröditz, Oberland Nord, Oberland Süd, Bischofwerda-Gaußig-Göda-Burkau, Massenei, Pulsnitz und Kamenz. Sächsische.de sprach mit dem Superintendenten Tilmann Popp zu den Gründen der Reform, den Auswirkungen und den Reaktionen.

Herr Popp, die evangelische Kirche der Region befindet sich in einem strukturellen Wandel. Warum ist dieser erforderlich?

Der Strukturwandel betrifft die gesamte Landeskirche, nicht nur unsere Region. Die Mitgliederzahlen sind in den vergangenen Jahren zurückgegangen und gehen auch weiter zurück. Darauf müssen wir als Kirche reagieren. Dazu soll die Verwaltung vereinfacht werden, um Kräfte für die Seelsorge und die Verkündigung zu bündeln.

Wie genau sieht denn die Reform bzw. der Strukturwandel aus?

Im Kirchenbezirk Bautzen-Kamenz haben wir neun Regionen gebildet. Die Gemeinden organisieren künftig ihre Verwaltung gemeinsam. Dieser Prozess der Umgestaltung wird die Gemeinden sicherlich die nächsten zwei Jahre beschäftigen. Das wird zunächst Kräfte beanspruchen. Langfristig werden dann aber Ressourcen frei, die für unsere eigentlichen Aufgaben genutzt werden können. Das betrifft nicht nur die Gottesdienste, sondern auch die Jugendarbeit, die seelsorgerischen Tätigkeiten, die Missionarsarbeit und den kulturellen Bereich.

Nach welchen Grundlagen haben Sie die Kirchen-Regionen gebildet?

Die Regionen sind so gewählt, dass sie voraussichtlich die nächsten 20 Jahre Bestand haben. Zuerst haben wir die gewachsenen Strukturen im Blick, das heißt, Regionen gehen zusammen, die auch in anderen Bereichen einen Zusammenhalt bilden. Rein zahlenmäßig rechnen wir auf eine Pfarrstelle mit etwa 1.300 Gemeindegliedern. Als Beispiel: Die Region Bautzen hat 4,5 Pfarrstellen ohne den Superintendenten und rund 7.400 Mitgliedern. Und im Kirchspiel Pulsnitz sind es derzeit drei Pfarrstellen auf rund 4.500 Glieder. Eine Pfarrstelle ist dort derzeit unbesetzt, aber ausgeschrieben. 

Die Region Kamenz hat reichlich 6.700 Gemeindeglieder und 5,5 Pfarrstellen. An dieser Region lässt sich sehr gut verdeutlichen, dass wir auf das Schrumpfen der Gemeindeglieder nicht nur durch Strukturanpassung reagieren. Dort gibt es viele Formen der Gemeindearbeit, so christliche Pfadfinderguppen, die junge Menschen ansprechen. Um dies zu unterstützen, haben wir für diese Region eine zusätzliche halbe Pfarrstelle geschaffen.

Wird es weniger Gottesdienste in den einzelnen Gemeinden geben?

Gottesdienste sind für uns ein zentraler Bestandteil. Deswegen werden die Gemeinden genau überlegen, ob man an dieser Stelle kürzt. Denkbar ist auch, dass in den Regionen über neue Formen von Gottesdienst nachgedacht wird. Dort wo mehrere Gemeinden zusammen sind, sind auch die Möglichkeiten größer. So müssen bei den Gottesdiensten nicht nur Pfarrer tätig sein, sondern die Gemeinden können selbst aktiv werden. 

Wichtig ist, dass die Gemeinden einer Region enger zusammen arbeiten, dass gemeinsam Aufgaben übernommen werden, dass gemeinsam Projekte geplant und realisiert werden. In der Region Pulsnitz klappt das gut. Die Gemeinden müssen bereit sein, als Region zusammenzuarbeiten. So soll es künftig überall sein.

Die Gemeinden sollen sich als Region sehen. Heißt das, dass Gläubige zum Gottesdienst auch mal in einen anderen Ort fahren müssen?

Ich selbst bin in meiner Funktion als Superintendent regelmäßig in verschiedensten Gemeinden zum Gottesdienst unterwegs. Das erlebe ich durchaus als eine Bereicherung. Ich verstehe aber auch, dass Menschen eine Bindung zu ihrer Heimatkirche haben. Wir müssen versuchen, beides in Einklang zu bringen: die Möglichkeit der Gottesdienste vor Ort und die Chancen auch mal etwas Neues kennenzulernen.

Wie reagieren die Gemeindemitglieder auf diese Entwicklung?

Die Meinungen gehen auseinander. Manche Gläubige wollen den Gottesdienst in der Kirche im eigenen Ort, andere fahren gern mal woanders hin, auch um die Atmosphäre dort zu erleben. Das Alter spielt keine Rolle. Oft sind es sogar die Älteren, die gern mal in eine andere Kirche gehen.

Wie soll ein Pfarrer, der jetzt für mehrere Gemeinden zuständig ist, das Arbeitspensum bewältigen?

Das Arbeitspensum für die Pfarrer und Mitarbeiter der Verwaltung ist sehr hoch. Gerade im jetzigen Umbauprozess kommen zusätzliche Belastungen auf die Kollegen zu. Ich bin dankbar für das, was zurzeit von Haupt- und Ehrenamtlichen geleistet wird. Auch die Aufgaben von Pfarrern sind im Wandel begriffen. Es muss jetzt mehr gelenkt und geleitet werden. 

Vor allem wird es darauf ankommen, Menschen zu befähigen, selbst wieder mehr in der Kirche mitzuwirken. Das ist das evangelische Prinzip. Gemeinde lebt von den Menschen vor Ort und wird von diesen gestaltet. Die Gemeinden selbst reagieren ganz unterschiedlich auf diese Entwicklung, aber ich muss sagen, einige machen schon richtig tolle Sachen.

Gibt es Einschränkungen bei anderen kirchlichen Aktivitäten als bei Gottesdiensten?

Im Moment bindet der Umgestaltungsprozess Kräfte, die an anderen Stellen fehlen. Ich glaube, derzeit kommen bestimmt einige Bereiche zu knapp. Aber das ist eine vorübergehende Sache.

Wie reagieren die Kirchenvorstände und die Mitglieder auf die Pläne?

Jede Veränderung ist eine Anstrengung für die Kirchenvorstände. Es gibt unterschiedliche Meinungen. Es ist ein Prozess, der nicht von allen einhundertprozentig mitgetragen wird. So war man zum Beispiel in der Kamenzer Region am Anfang sehr skeptisch. Nach einem Jahr ist dort eine Veränderung zu spüren.

Wie hat sich die Zahl der Kirchenglieder entwickelt?

Die Zahlen sind rückläufig, das ist ein Fakt. Dem müssen wir uns stellen. Diese Tendenz ist in ganz Deutschland zu beobachten. Und wir gehen davon aus, dass die Zahl weiter zurückgehen wird. Aus diesem Grund ist ja die Reform so wichtig. Wir wollen und müssen den Gläubigen in der evangelischen Kirche eine Heimat geben, in der sie ihren Glauben leben und sich selbst einbringen können.

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