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Lukas Rietzschel: Sonnige Grüße aus Los Angeles

Der sächsische Schriftsteller Lukas Rietzschel weilt für drei Monate in Los Angeles – und schickt von dort diese Kolumne.

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Wahrzeichen von Los Angeles: Der "Hollywood"-Schriftzug
Wahrzeichen von Los Angeles: Der "Hollywood"-Schriftzug © dpa

Von Lukas Rietzschel

Was ich in den ersten Wochen in Los Angeles kennengelernt habe, ist vor allem meine grenzenlose Naivität. Ich ärgere mich sehr darüber. Von ehemaligen Stipendiaten der Villa Aurora hatte ich schon gehört, dass es unmöglich sei, die Stadt ohne Auto zu erkunden, und habe die Hinweise nicht ernst genommen. Dass es in vielen US-Großstädten keinen Nahverkehr gibt, wie ich ihn in Deutschland schätze und leider viel zu oft nicht schätze, das war mir bewusst. Ich dachte mir, ein Bus wird schon fahren und meine Füße habe ich ja glücklicherweise auch bei mir.

No car no life, so heißt das hier

Die Villa Aurora, das ehemalige Wohnhaus der Feuchtwangers im Exil, liegt in den Hügeln von Pacific Pallasides. Von der Terrasse aus sieht man den Pazifik und den Strand von Santa Monica. Kolibris fliegen im Garten von Blüte zu Blüte (Dank starker Regenfälle in den letzten Monaten explodieren gerade die Wildblumen – so schreibt es die New York Times), die Sonne scheint, leichter Wind, T-Shirt-Wetter. Eine Viertelstunde ist das Meer vom Haus entfernt, aber ich komme nicht hin.

Es gibt keine Fußwege. Ein sechsspuriger Highway trennt das Wohngebiet vom Strand, ihn zu überqueren ist lebensgefährlich. Um einkaufen zu gehen, habe ich die ersten Tage den Fahrdienst Uber genutzt und den Fahrern von meinem Schock gegenüber der amerikanischen Autokultur erzählt. Sie haben mich ausgelacht. No car no life. So heißt das hier.

Lukas Rietzschel bei einer Podiumsdiskussion in der Dresdner Frauenkirche
Lukas Rietzschel bei einer Podiumsdiskussion in der Dresdner Frauenkirche © Jürgen Lösel

Es wäre wahrscheinlich nicht einmal unbedingt notwendig, in die Stadt zu fahren. In der Villa kann ich hervorragend arbeiten, komme konzentriert und so gut wie lange nicht mit dem neuen Roman voran, bin umgeben von meinen tollen Mitstipendiaten, könnte mir Essen und Trinken einfach liefern lassen. Aber dann leuchten am Abend die Lichter dieser 14-Millionen-Einwohnerstadt auf. Die Frage „Was verpasse ich da gerade?“ lässt sich mit jedem Tag schwerer ignorieren. Also habe ich nun einen Mietwagen und bin in die Stadt gefahren. Nächster Fehler.

Los Angeles ist keine Stadt im klassischen Sinne, womit ich eine europäische Stadt meine. Es gibt kein Zentrum, keine Mitte. Nichts, das man ansteuern könnte, um von dort etwas zu erkunden. Bummeln und Schlendern, das sind europäische Begriffe zur fußläufigen Erschließung urbaner Räume. Mit diesem Vokabular kann man in Los Angeles nur scheitern. Die Stadt sieht aus wie ein Vorort. Flache Einfamilienhäuser sind aneinandergereiht, Autos in Garagen, Autos davor. Zwischendrin gibt es mal eine Tankstelle und einen Supermarkt, dann geht es schon zur nächsten Highway-Auffahrt.

Ich fühle mich so deutsch wie nie

Mein Versuch, wahllos ein Ziel anzusteuern, um mich von dort weiterzubewegen, kann nur scheitern. Ich muss vorher wissen, welches Museum ich besuchen möchte, wo ich danach einen Kaffee trinken will, in welchem Park ich spazieren möchte und wo ich danach zum Essen bleibe. Ich muss die Routen planen, die Parkplätze und vorher Sitzplätze und Karten reservieren.

Auf diese Weise holt Los Angeles alle meine pedantischen Charakterzüge hervor. Ich fühle mich so deutsch wie nie. Planung, Planung, Planung. Es bleibt daher kaum Zeit, mich mit den Medienskandalen zu Hause und den daraus nutznießenden Romanneuerscheinungen zu beschäftigen. Das Ganze hat also sein Gutes. Ich ärgere mich vor allem über mich selbst und nicht so sehr über andere.

Der Schriftsteller Lukas Rietzschel, geboren 1994 in Räckelwitz, ist bis Juni 2023 zu einem Aufenthaltsstipendium in der Villa Aurora in Los Angeles, dem früheren Exildomizil des Schriftstellers Lion Feuchtwanger.