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Nur ein Dresdner darf meist Christian Thielemann fotografieren

Die Deutsche Fotothek übernimmt das Werk des preisgekrönten Bühnen-Fotografen Matthias Creutziger. 600 ikonografische Bilder sind bereits zugänglich.

Von Bernd Klempnow
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Zur Fotografie kam Matthias Creutziger, Jahrgang 1951, als Autodidakt. Ab 1976 schrieb er Rezensionen über Jazz-Konzerte, die er ab 1979 mit eigenen Fotos ergänzte. Seit 1983 wirkte er als freiberuflicher, später festangestellter Fotograf.
Zur Fotografie kam Matthias Creutziger, Jahrgang 1951, als Autodidakt. Ab 1976 schrieb er Rezensionen über Jazz-Konzerte, die er ab 1979 mit eigenen Fotos ergänzte. Seit 1983 wirkte er als freiberuflicher, später festangestellter Fotograf. © Copyright by Ruthild Creutziger

Dresden. Gesichter von Musikern in Aktion haben fast immer großen Unterhaltungswert: Da werden unbewusst Grimassen gezogen, die Augenbrauen spektakulär gehoben oder zusammengezogen, da wird mitgesummt oder gesungen, mit der Zunge geschnalzt oder Drohgebärden aufgesetzt. Freilich muss man als Zuschauer günstig sitzen, um etwa dem Pianisten oder Dirigenten ins Gesicht schauen oder den Perkussionisten hinter seinem Trommelberg überhaupt zu sehen zu können.

Gut also, wenn ab und zu ein Fotograf ganz dicht an die Künstler herankommt und diese Momente festhält. Etwa den vom Schlagzeuger Günter Baby Sommer, als der 1982 offenbar im großen Glück war. Ob er sich selbst in einen Flow getrommelt hatte, ob das Zusammenspiel mit den anderen Musikern so gut lief oder er das After-Konzert-Bier in Vorfreude schon genoss?

Den Genuss an Musik festhalten: Jazzer Günter Baby Sommer trommelte sich 1982 in einen kleinen Rausch.
Den Genuss an Musik festhalten: Jazzer Günter Baby Sommer trommelte sich 1982 in einen kleinen Rausch. © SLUB/DF/Matthias Creutziger

Einer, der solche ganz markanten Augenblicke festzuhalten vermag, ist der Dresdner Fotograf Matthias Creutziger. Er hat das Gespür, wenn Außergewöhnliches wie eben Sommers Trommel-Verzücken passiert.

Er erkennt, wenn beispielsweise der leicht schaukelnde Gang des kleinwüchsigen und an der Glasknochenkrankheit leidenden Jazzpianist Michel Petrucciani auf der Bühne das Publikum in besondere Spannung versetzt. Und er hat das Vertrauen seiner „Opfer“, dass er sie in Situationen zeigen kann, die für gewöhnlich nicht veröffentlicht werden – wie der sich amüsierende Stardirigent Sir Colin Davis.

Vollstes Vertrauen: 2007 gelang bei einer Probe in der Semperoper dieser Schnappschuss von Sir Colin Davis – der ihn auch freigab.
Vollstes Vertrauen: 2007 gelang bei einer Probe in der Semperoper dieser Schnappschuss von Sir Colin Davis – der ihn auch freigab. © Matthias Creutziger

Über vier Jahrzehnte ist der Autodidakt derart unterwegs, hat Orchester begleitet. Fotoaufträge für bedeutende internationale Schallplattenlabels großartig realisiert, selber Jazz- und Experimentalkonzerte organisiert. Er gilt als einer der wichtigsten Fotografen, die sich dem facettenreichen Themenfeld der Musik verschrieben haben, der Klassik und vor allem dem Jazz.

Am liebsten von rechts fotografieren: Christian Thielemann weiß sehr wohl, wie er auch auf Fotos gut aussieht.
Am liebsten von rechts fotografieren: Christian Thielemann weiß sehr wohl, wie er auch auf Fotos gut aussieht. © Matthias Creutziger

Jahrzehntelang begleitete er als Hausfotograf der Semperoper auch die Sächsische Staatskapelle Dresden – und tut es bis heute. Der aktuelle Chefdirigent Christian Thielemann lässt nur ihn zu, nimmt seine Fotos sogar zur Werbung mit zu anderen Orchestern. Und so kommt er nun in die Deutsche Fotothek der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek – eine Schatzkammer, die als „Archiv der Fotografen“ die Werke bedeutender deutscher oder in Deutschland arbeitender Fotografen hütet und zugänglich macht.

Dort ist nun der sogenannte Vorlass von Matthias Creutziger aufgenommen worden. Knapp 600 Fotos sind übergeben und im Portal der Fotothek online zugänglich, die spätere Übernahme des gesamten Archivs wurde vertraglich vereinbart.

Dicht dran: Nur wenige Künstler – hier Jazzer Lionel Hampton 1983 in Dresden – lassen für gewöhnlich Fotografen so nah an sich heran.
Dicht dran: Nur wenige Künstler – hier Jazzer Lionel Hampton 1983 in Dresden – lassen für gewöhnlich Fotografen so nah an sich heran. © SLUB/DF/Matthias Creutziger

„Fortan haben wir nicht nur Porträts von Jazz-Ikonen wie Miles Davis oder Michel Petrucciani in unserer Sammlung, sondern wir können das Schaffen des heute 71-Jährigen in seiner gesamten inhaltlichen Bandbreite von den frühen 1980er-Jahren bis in die Gegenwart online präsentieren“, sagt Agnes Matthias, Kuratorin des Archivs. Und auch der so Geehrte freut sich: „Für mein großes, arbeitsintensives Archiv ist es wohl das Beste, was damit passieren konnte.“

Leser der Sächsischen Zeitung und von saechsische.de dürften viele Aufnahmen kennen. Auch jene von ausdrucksstarken Serien, wenn der Fotograf auf Kuba das Straßenleben oder in Südeuropa das Spiel von Licht und Schatten aufnahm und ungewöhnliche, vielfach preisgekrönte Foto-Kalender gestaltete.

Trotzdem nehmen seine Porträts von Musikern in Schwarz-Weiß eine Schlüsselposition im Gesamtwerk ein. Sie sind geprägt von einer besonderen Intensität, leisten das eigentlich Unmögliche: Sie lassen den Betrachter die Musik in ihrem je eigenen Charakter tatsächlich empfinden, obgleich die Bilder ja stumm sind.

Die SLUB lädt am 20. 4. ab 18 Uhr zum Podiumsgespräch in den Klemperer-Saal ein. Der Eintritt ist frei. Unter dem Motto „Gültigkeit des Augenblicks“ spricht Journalist Martin Morgenstern mit Matthias Creutziger und Günter Baby Sommer über Musik und Fotografie. Den Live-Stream finden Sie hier.