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Wie geht es weiter im Fall Gil Ofarim?

Das Landgericht Leipzig hat die ersten Prozesstermine im Fall Gil Ofarim platzen lassen. Ein ungewöhnlicher Schritt, der weitreichende Folgen für das Verfahren haben könnte.

Von Karin Schlottmann
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Muss vorerst nicht vor Gericht: Der Sänger Gil Ofarim. Foto: ProSieben
Muss vorerst nicht vor Gericht: Der Sänger Gil Ofarim. Foto: ProSieben © ProSieben

Die Entscheidung ist ebenso überraschend wie rätselhaft. Wenige Tage vor dem geplanten Beginn des Prozesses gegen den Sänger Gil Ofarim am vorigen Montag hat das Landgericht Leipzig alle Termine aufgehoben und den Neustart auf Frühjahr 2023 verschoben – sehr zur Freude der Verteidiger. Ihr wichtigstes Ziel, den Prozess erst einmal zu stoppen, sei erreicht, lautete ihr Kommentar. Wann und unter welchen Bedingungen das Verfahren fortgesetzt werden wird, ist offen. Fest steht nur, dass Erwartungen, dieser Gerichtsprozess werde ablaufen wie jeder andere, enttäuscht werden dürften.

Die Vorgeschichte

Es begann mit einem Video: Auf seinem Instagram-Kanal berichtete Gil Ofarim im Oktober vorigen Jahres über einen antisemitischen Vorfall in einem Leipziger Hotel. Ein Mitarbeiter habe ihn beim Einchecken aufgefordert, seine Halskette mit Davidstern abzunehmen, dann könne er ein Zimmer bekommen. Das Video verbreitete sich rasant und löste bundesweit Empörung aus. Die Staatsanwaltschaft ermittelte und kam zu dem Schluss, dass die Antisemitismus-Vorwürfe Ofarims gegen den Hotel-Bediensteten unwahr seien. Sie erhob Anklage gegen Ofarim wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung. In einer zweiten, noch nicht vom Gericht zugelassenen Anklage wirft sie ihm vor, im Zusammenhang mit diesem Fall eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben zu haben.

Die Absage

Vor Beginn des Prozesses hatten die Verteidiger Befangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden Richter eingereicht. Sie blieben erfolglos, auch vor dem Oberlandesgericht Dresden. Dem Beginn der Hauptverhandlung hätte also nichts mehr im Wege gestanden. Doch drei Tage nach dem Beschluss des OLG ließ der Vorsitzende Richter den Prozess überraschend platzen. Offenbar schwer genervt über die Medienarbeit der Verteidiger, deren „Fehlinterpretationen“ von Gerichtsentscheidungen und der Ankündigung, wegen „alltäglicher prozessualer Vorgänge“ das Bundesverfassungsgericht einschalten zu wollen, sei es geboten, die Termine abzusagen. Zudem hatte der Nebenkläger, der Mitarbeiter des Hotels, kurz vor Prozessbeginn einen Antrag gestellt, mit dem er seine Ansprüche auf Schadensersatz gegen Ofarim bereits im Strafprozess geltend machen will.

Der Prominentenstatus

Ein richtiger Promi ist Gil Ofarim wohl nicht. Er verdient sein Geld als Künstler und hat eine große Fangemeinde in den sozialen Netzwerken. Über die Frage, ob Promis im Gerichtssaal besser oder schlechter behandelt werden als „normale“ Angeklagte, wird oft gestritten. So war es bei den Gerichtsverfahren gegen den Tennisspieler Boris Becker, den Bayern-München-Manager Uli Hoeneß, den Meteorologen Jörg Kachelmann und Altbundespräsident Christian Wulff.

Die Antwort auf diese Frage hängt auch von der jeweiligen Interessenslage ab. Promis könnten sich bessere Anwälte leisten, würden mit Samthandschuhen angefasst und wüssten eher, ihre Rechte und Möglichkeiten zu nutzen, glauben Kritiker. Im Gegensatz dazu argumentieren Verteidiger gern, prominente Angeklagte würden von Justiz und Öffentlichkeit eher strenger behandelt, es würde an ihnen ein Exempel statuiert werden, um die Erwartungen der Öffentlichkeit zu befriedigen.

Die Ofarim-Anwälte sprachen gar von einem „Schauprozess“ gegen ihren Mandanten. Der Vorwurf hat seine Wirkung anscheinend nicht verfehlt. Denn die Verschiebung des Prozesses um mindestens ein halbes Jahr begründete der Richter auch mit diesem Argument. Er wolle damit dem von den Verteidigern kolportierten Eindruck entgegenwirken, der Angeklagte werde „ob seines tatsächlichen oder vermeintlichen Prominentenstatus‘ schlechter behandelt als „durchschnittliche“ Angeklagte, heißt es in der Begründung.

Die Fortsetzung

Verfahrensdauer und Zeitablauf können die Überlegungen zur Strafzumessung beeinflussen. Das bedeutet, die Verzögerung kann, falls Ofarim überhaupt verurteilt werden sollte, Folgen für das Strafmaß haben. Zudem entsteht der Eindruck, das Gericht habe unter dem Druck der Verteidiger nachgegeben. „Ein fatales Signal“, sagte Martin Wohlrabe, Berater und Experte für Krisen-PR in Berlin. „Aber auch wenn Ofarim meint, er hat jetzt eine Schlacht gewonnen, hat er sich meiner Einschätzung nach keinen Gefallen getan“. Normalerweise sei es das Interesse der Betroffenen, Vorwürfe schnell auszuräumen. „Als Angeklagter öffentlich auf den Putz zu hauen, ist nie eine gute Idee.“ In den meisten großen Wirtschaftsprozessen seien die Anwälte in der Regel erfolgreich, wenn sie auf schrille Töne in der Öffentlichkeit verzichten, sagte Wohlrabe.

Die gerichtlich verfügte Pause soll als „Zeit des Innehaltens“ genutzt werden, um hinsichtlich der Ehrdelikte einen Ausgleich zwischen Angeklagtem und Nebenkläger herbeizuführen. Das ist zumindest der Wunsch des Gerichts. Die vier Verteidiger haben einen Täter-Opfer-Ausgleich aber bereits entschieden abgelehnt. Sie streben einen „absoluten Freispruch“ an.

Auch die Leipziger Staatsanwaltschaft versprüht wenig Optimismus. Ein Ausgleich zwischen Täter und Opfer setze voraus, dass der Täter geständig ist oder die Tat zumindest nicht bestreitet, teilte Behördensprecherin Jana Friedrich mit. Mit Kritik am Vorgehen des Gerichts hält sich die Staatsanwaltschaft sehr zurück. Auch zur Frage, ob ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot vorliege, wollte sie sich nicht äußern. Die Staatsanwaltschaft strebe aber an, auf die Abstimmung möglichst zeitnaher neuer Hauptverhandlungstermine hinzuwirken.