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Bus auf Abruf: Ist das Dresdner Mobishuttle ein Modell für das ländliche Sachsen?

Minibusse holen im Dresdner Norden Menschen fast vor der Haustür ab und bringen sie an ihr Ziel. Ein Zusatzangebot der Verkehrsbetriebe für weniger gut angebundene Stadtteile. Was der Service kostet, wer ihn nutzt und warum.

Von Sandro Pohl-Rahrisch
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Von der Arbeit abgeholt: Marcus Trenkmann hat sich in Dresden vom On-Demand-Service "Mobishuttle" nach Hause fahren lassen.
Von der Arbeit abgeholt: Marcus Trenkmann hat sich in Dresden vom On-Demand-Service "Mobishuttle" nach Hause fahren lassen. © Sven Ellger

Dresden. Neun Kilometer trennen Marcus Trenkmann vom Feierabend. Gut 20 Minuten müsste er sich an diesem Nachmittag von der heißen Augustsonne schmoren lassen, wollte er am Boschwerk, ganz weit im Dresdner Norden, auf den Linienbus warten. Nach zehn Minuten Fahrt ginge es in die Straßenbahn, nach weiteren elf Minuten wieder in den Bus. Falls alles klappt, könnte er eine Stunde nach Schichtende endlich die Füße hochlegen. Sofern der junge Dresdner die Umsteigezeiten von zwei Minuten schafft.

Falls, könnte, müsste. Tatsächlich steht für Marcus Tränkmann an diesem Nachmittag ein Minivan mit Fahrer vorm Chipwerk. Steve Schäfer sitzt am Lenkrad, er trägt ein weißes Hemd, etwas Parfum und hat die schnellste Route zum Waldschlößchen im Navigationsgerät – in den Feierabend.

Innerhalb einer Viertelstunde ist das Mobishuttle da

Schäfer hat gerade die Spätschicht in einem der Dresdner Mobishuttles angetreten. Jenen gelb-weiß beklebten Minivans, die in den Stadtteilen Klotzsche, Pieschen, Neustadt und in der Ortschaft Weixdorf auf Abruf bereit stehen. Sie ergänzen das bestehende Bus- und Bahnangebot und fahren täglich zwischen 4 und 1 Uhr, am Wochenende rund um die Uhr, unabhängig von Fahrplänen und den Linienwegen der Busse und Bahnen.

Die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) bieten damit Menschen eine Beförderung an, die einen vergleichsweise weiten Weg zur nächsten Haltestelle haben oder von Nachtlinien abgeschnitten sind. An dem Projekt, das sich in der Testphase befindet, ist der Fahrdienstleister Clevershuttle beteiligt.

Jetzt, am frühen Nachmittag, ist die Nachfrage noch relativ gering. Steve Schäfer wird mit seinem E-Van von der Leitstelle an den Bahnhof Klotzsche geschickt, soll sich dort für Fahrgäste in der Nähe bereithalten. "Gegen 17, 18 Uhr rufen uns meist Schichtarbeiter, zum Beispiel von Infineon oder Bosch, die nach Hause wollen." Viele von ihnen buchen ihre Fahrten per App im Voraus. Aber auch spontane Fahrten sind möglich. In der Regel sei das Shuttle dann innerhalb einer Viertelstunde da, so Schäfer. Ziel sei es, möglichst viele Fahrgäste auf dem Weg mitzunehmen, die in dieselbe Richtung wollen.

Steve Schäfer fährt eines der Mobishuttles in Dresden.
Steve Schäfer fährt eines der Mobishuttles in Dresden. © Sven Ellger

Marcus Trenkmann hat das Shuttle an diesem Nachmittag dagegen für sich. Er hat in der hintersten Reihe Platz genommen, kann die Beine ausstrecken, sich im Luftzug der Klimaanlage abkühlen. "Ich würde für meinen Arbeitsweg mit Bus und Bahn viel länger brauchen und müsste zweimal umsteigen", sagt er. Ein Auto besitzt er nicht. Vor einem halben Jahr erst ist er auf das Mobishuttle aufmerksam geworden, seit kurzem nutzt er es regelmäßig.

Voraussetzung ist ein gültiger Fahrschein - eine Einzelfahrt oder das 49-Euro-Ticket zum Beispiel. Wer das nicht besitzt, zahlt einen Grundpreis für eine Einzelfahrt - drei Euro. Für den Abholdienst zahlt er dann noch etwas drauf, der Preis errechnet sich aus der Strecke und dem zu dieser Zeit vorhandenen Bus- und Bahnangebot.

Gibt es für dieselbe Strecke und zu derselben Uhrzeit ein gutes Bus- und Bahnangebot, zahlt man mehr. Ist das Gebiet schlecht an den ÖPNV angebunden, weniger. Das gilt auch für nachts, wenn Busse und Bahnen gar nicht oder nur im Stundentakt rollen. Zwischen drei und etwa sieben Euro kommen für den Dresdner pro Fahrt dazu, je nach Tageszeit.

Schichtarbeiter, Umsteiger und Partyvolk

Mit einem kräftigen Ruck zieht Marcus Trenkmann die Schiebetür auf, steigt an der Haltestelle Waldschlößchen aus und verabschiedet sich von Steve Schäfer. Der sieht schon den nächsten Auftrag auf seinem Smartphone, nur wenige Meter entfernt, kurz hinter der Kreuzung wartet der nächste Fahrgast. Ein junger Mann, der nach Klotzsche möchte. Mehr als ein "Hallo" und ein "Ciao" wird er auf der Fahrt nicht sagen. Manche Gäste wollen reden, andere tragen Kopfhörer oder möchten einfach nur ihre Ruhe haben. "Das ist ganz unterschiedlich und kommt auch auf den Fahrer an, ob er ihnen ein Gespräch anbietet."

  • Mehr als 9.000 Menschen aus Ost- und Mittelsachsen haben für den Mobilitätskompass Einblick in ihr Mobilitätsverhalten gegeben. Der Mobilitätskompass wurde unter wissenschaftlicher Begleitung der Evangelischen Hochschule Dresden und in Kooperation mit der Agentur "Die Mehrwertmacher" entwickelt und ausgewertet, die darauf geachtet haben, dass die Aussagen belastbar sind. Bis Anfang Dezember veröffentlicht Sächsische.de die regionalen und lokalen Ergebnisse. Alle erschienenen Beiträge finden Sie auch auf www.saechsische.de/mobilitaetskompass

Auf dem Weg nach Klotzsche sammelt Schäfer noch einen zweiten Jugendlichen in der Neustadt ein, lässt ihn am Neustädter Bahnhof raus und nimmt Kurs auf den Dresdner Norden. Von Älteren, die zum Beispiel zum Lebensmitteleinkauf gefahren werden wollen, werde das Shuttle eher selten gebucht, sagt der Fahrer, der pro Schicht durchschnittlich 15 Fahrten absolviert. Viele Gäste ließen sich zum Beispiel zur Grenze des Gebiets bringen, in dem das Mobishuttle unterwegs ist. Dort steigen sie dann in die Straßenbahn um, um in die Dresdner Altstadt zu gelangen.

Am Wochenende sei darüber hinaus viel "Partyvolk" unterwegs, erzählt der Fahrer. Menschen, die von den Clubs im Industriegebiet in die Neustadt gebracht werden wollen. Andere lassen sich vom Neustädter Bahnhof in den recht nahgelegenen Alaunpark chauffieren, wieder andere zu Ikea und zurück. Da werde auch mal das eine oder andere Möbelstück mit in den Minibus gehievt.

"Das Grundkonzept ist zukunftsfähig"

"Das Grundkonzept ist meiner Meinung nach zukunftsfähig", findet Schäfer. Nicht in jedem gerade dünn besiedelten Gebiet rechne sich ein großer Bus, der in regelmäßigem Takt fährt. On-Demand-Angebote, also Minibusse auf Abruf, könnten da eine Lücke füllen, auch im ländlichen Raum. Wenn sie sich denn rechnen.

In der Testphase werden Daten gesammelt, um herauszufinden, ob mit dem Mobishuttle neue Fahrgäste gewonnen werden können, von welchen Gruppen es angenommen wird und ob dadurch weniger Autos auf Dresdens Straßen unterwegs sind. Ende des Jahres soll über einen Weiterbetrieb diskutiert werden. Der insgesamt dreijährige Testbetrieb kostet insgesamt 6,5 Millionen Euro. Dieser beinhaltet auch den Kauf der Fahrzeuge.

Zwischenergebnisse liegen bereits vor. Laut Stadtverwaltung sind im März 2023 insgesamt 10.200 Fahrgäste befördert worden. Das entspreche durchschnittlich 300 Fahrgästen pro Tag. "Im Vergleich zu anderen On-Demand-Verkehrsprojekten weist das Mobishuttle bereits jetzt eine überdurchschnittliche Fahrgastzahl auf." Aktuell seien etwa 13.000 Personen registriert.

Die Altersstruktur erstrecke sich über eine Bandbreite von 16 bis 86 Jahre, wobei die Altersgruppe bis etwa 50 Jahre aktuell deutlich stärker vertreten sei. Das Shuttle werde hauptsächlich für Freizeitzwecke genutzt, etwa um zu Veranstaltungen zu gelangen. 29 Prozent der Befragten gaben an, sich damit zur Arbeit bringen zu lassen. Weitere Gründe seien unter anderem Arzttermine und Behördengänge.

Steve Schäfer wird noch bis 1 Uhr nachts durch den Dresdner Norden fahren. Und hofft, dass die Minivans dies auch über 2024 hinaus noch tun werden.

Der Mobilitätskompass - Mitmachen und Reise gewinnen

  • Worum geht es? Der Mobilitätskompass ist eine Umfrage zu Mobilitätsangeboten und -wünschen in der Region. Die Umfrage wurde mit wissenschaftlicher Unterstützung der Evangelischen Hochschule Dresden entwickelt. Jeder kann sich beteiligen.
  • Wie kann ich teilnehmen? Den Fragebogen finden Sie im Internet unter www.saechsische.de/mobilitaetskompass . Die anonyme Umfrage läuft bis Ende September. Die Ergebnisse werden wissenschaftlich ausgewertet und im November präsentiert.
  • Warum mitmachen? Mit Ihren Antworten helfen Sie, dass ihre Meinung gehört wird. Die Kompass-Befragungen der Sächsischen Zeitung zeichnen nicht nur ein Stimmungsbild, sie führen auch zu Veränderungen. Darüber hinaus haben Sie die Chance, an einer Verlosung teilzunehmen und attraktive Preise zu gewinnen, unter anderem eine Wanderreise für zwei Personen an die Amalfi-Küste nach Italien.